
Abo Iaschaghaschwili: Royal Mary. Ein Mord in Tiflis. Aus dem Georgischen von Lia Wittek; Cover: Edition.fotoTAPETA
Abo Iaschaghaschwili lässt Tiflis erschaudern: Ein Serientäter scheint in der Stadt sein Unwesen zu treiben. Dabei kommt schnell der Verdacht auf, dass es sich nur um ein großes Spiel handelt. Royal Mary. Ein Mord in Tiflis kann sich derweil nicht entscheiden, ob er nur ein guter Krimi oder zugleich auch hohe Literatur sein möchte.
von ALINA WOLSKI
Ende des 19. Jahrhunderts in Tiflis: In der georgischen Hauptstadt treffen die verschiedensten Kulturen aufeinander. Dies macht sich der Roman zunutze, indem er den Leser in jedem Kapitel in eine andere Perspektive versetzt. Die Geschichte beginnt in einem Pferdewagen, wo sich die Reisenden über das Verschwinden des bekannten Turnierpferds Royal Mary unterhalten. Im Pferdestall konnte statt des Tieres nur noch eine Rose aufgefunden werden. Es folgen Morde an den unterschiedlichsten Personen. An jedem Tatort bleibt abwechselnd eine weiße und eine rote Rose zurück. Ein nicht zu bändigender Elefant mischt die Szene zusätzlich auf. Ein Mann in Frauenkleidern wird erstochen. Und als wäre das alles noch nicht genug, steht auch noch der Besuch des persischen Schahs vor der Tür.
Der französische Agent Albre versucht, Ordnung in diese Geschehnisse zu bringen und die Mordserie aufzuklären. Eine verstrickte Agentengeschichte entwickelt sich aus dieser Szenerie. Es geht um politischen Einfluss, diplomatische Beziehungen und persönliche Sicherheit. Jede Seite vertritt ihre eigenen Interessen. Immer mehr Figuren betreten das Schachbrett, verschwinden wieder, ohne merklich Einfluss ausgeübt zu haben, werden dazu instrumentalisiert, eine andere Figur zu eliminieren oder müssen das Spiel selbst verlassen – bis es schließlich schachmatt steht.
Guter Krimi oder hohe Literatur?
Auf den ersten Seiten lernt der Leser die Tifliser Bars mitsamt ihren kleinkriminellen Schurken und Glücksspielbetrügern kennen. Mit diesen gehen Schlägereien und anstrengende, durch Beleidigungen geprägte Gespräche einher. Sie scheinen an dieser Stelle lediglich dem kriminellen Klima zu dienen und keine weitere Bedeutung für den Roman zu haben. Falsch gedacht. Das Motiv des Spiels greift Iaschaghaschwili später wieder auf und stellt einen ausgeklügelten Zusammenhang zu den Morden her. Die Geschichte von 1001 Nacht rund um Scheherazade stellt sich schließlich als zentral heraus. Zugleich vermittelt der Roman kulturelle Eigenheiten und historische Fakten. Er beschreibt das Tifliser Stadtbild und führt literarische Vergleiche an. Das alles passt. Nichts wirkt fehl am Platz oder belehrend. Nichtsdestoweniger gelingt es Royal Mary trotz der sich offenkundig entwickelnden Ambition nicht, mehr zu sein als ein guter, lehrreicher und unterhaltsamer Krimi. Das liegt hauptsächlich an der Sprache und den Beschreibungen.
Eindimensionale Charaktere, außergewöhnliche Geschichte
Zu Beginn mutet Royal Mary wie ein gewöhnlicher Krimi an: viel platter Dialog, kaum Nebenhandlung, wenig Beschreibung. Offensichtliches wird ausgesprochen. Statt den Figuren Leben durch ihre Handlungen einzuhauchen, meint Iaschaghaschwili jeden ihrer Charakterzüge direkt benennen zu müssen. Explizite, eindringliche Erklärungen wie: „Er war geschickt. Und aufmerksam beobachtete er seine Umgebung. Diese vorsichtige Art zu laufen war nicht alles, es fehlte ihm auch nicht an Tapferkeit“, führen dazu, dass die Figuren auf den Leser distanziert und eindimensional wirken. Leider bleibt das bis zum Ende des Romans der Fall. Mit keinem Charakter kann man sich als Leser wirklich identifizieren, obwohl jeder mit seinen Eigenheiten und Persönlichkeitszügen vorgestellt wird.
Jedoch verbessert sich die Erzählweise sehr schnell. Anekdoten werden eingebunden und die verschiedenen Erzählfäden laufen zusammen. Die Ideen, die hinter den Morden liegen, sind zu großen Teilen fabelhaft entwickelt. Sie wiederholen nicht die typische Kriminalgeschichte, sondern machen Royal Mary zu etwas ganz Eigenem und Außergewöhnlichem. So ist es kaum möglich, den Romanverlauf vorherzusehen – er bleibt eine beständige Überraschung. Mal lockt er den Agenten auf eine falsche Fährte, während der Leser sich beim nächsten Mal ganz sicher ist, dass die erwartete Handlung zu simpel wäre und sich von dieser einfachen Lösung dann doch überrumpeln lässt. Schließlich endet alles ganz anders als erwartet. Das macht Royal Mary zu einer fesselnden Lektüre, die auch ohne viel Aktion Spannung aufzubauen weiß. In der Kategorie des Kriminalromans gelingt Iaschaghaschwili ein großartiges Werk, das unterhaltsam ist und das sich von anderen Kriminalgeschichten absetzt. Zugleich vermittelt er Wissen über die europäische, arabische und asiatische Geschichte und verschiedene Kulturen. Doch sprachlich bleibt Royal Mary unter seinem Potential. Um neben einem ausgezeichneten Kriminalroman auch hohe Literatur zu sein, fehlt ihm an einigen Stellen schlicht der sprachliche Feinschliff.
Abo Iaschaghaschwili: Royal Mary. Ein Mord in Tiflis. Aus dem Georgischen von Lia Wittek
Edition.fotoTAPETA, 128 Seiten
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3-940524-60-7