
“Così fan tutte” am Essener Aalto-Theater Foto: Matthias Jung
Essens gegenwärtiger Generalmusikdirektor Tomáš Netopil liebt nicht nur die großen Komponisten seiner tschechischen Heimat, sondern insbesondere auch Mozart. So übernimmt er nach Titus und vor Figaros Hochzeit nun die musikalische Leitung der Neuinszenierung von Così fan tutte. Regie führt der Engländer Stephen Lawless, zum ersten Mal am Aalto-Musiktheater. Er zeichnet diesen heiteren und zugleich bitterernsten Geniestreich aus dem Jahr 1790 als farbenfrohe Referenz ans klassische Bühnendekor.
von HELGE KREISKÖTHER
Dreimal arbeitete Wolfgang Amadeus Mozart zwischen 1785 und 1790 mit dem gewitzten wie tiefgründigen Librettisten Lorenzo Da Ponte (1749-1838) zusammen. Dabei entstanden, bei aller gebotenen Vorsicht vor musikalischen Superlativen, drei der meisterhaftesten italienischen Opern des 18. Jahrhunderts: Le nozze di Figaro – Die Hochzeit des Figaro (Uraufführung 1786 in Wien), Don Giovanni (1787 in Prag) und Così fan tutte, ossia La scuola degli amanti – So machen’s alle oder Die Schule der Liebenden (1790, wieder in Wien). Letztere geriet im Laufe der Zeit immer wieder in den Schatten der großen Vorgänger bzw. der ein Jahr später komponierten Zauberflöte. Dabei ist Così fan tutte ein nicht minder reizvolles, psychologisch vielschichtiges und historisch gesehen – man bedenke die gesellschaftlichen Unruhen angesichts der Französischen Revolution von 1789 – auffällig „freches“ Meisterwerk.
Mozart entwirft hier insbesondere in den dutzenden Ensembleszenen eine Musik, die schnell geliebt wurde, da sie einen permanenten „Schwebezustand zwischen Ironie und wahrem Gefühl, zwischen Schein und Wirklichkeit“ (Rolf Fath) erzeugt. Die bloße Handlung brüskierte dagegen die Zeitgenossen, da sie ausgerechnet die weibliche Treue und die Institution Ehe infrage stellt. Man beschimpfte das Textbuch als welsches (also italienisches) „Machwerk“ und stülpte Mozarts Noten mitunter sogar fremde Verse über. Aus heutiger Sicht ist diese Empörung kaum nachvollziehbar, denn was sich in der Così abspielt, ist wohl eher ein humoristischer Verweis auf das spannungsgeladene Verhältnis von Treue und Begierde(n).
So stachelt Don Alfonso die beiden italienischen Offiziere Ferrando und Guglielmo mit der vermeintlichen Untreue ihrer Verlobten Fiordiligi und Dorabella an (deren abenteuerliche Namen sind übrigens einem Epos von Ariost entnommen). Völlig gewiss, nichts befürchten zu müssen, gehen sie eine Wette mit dem Herausforderer ein und spielen den Angebeteten vor, in den Krieg zu ziehen, um dann als „Albaner“ verkleidet zurückzukehren und die Treue der jeweils anderen Frau zu testen. Das geht zwangsläufig in die Hose: Irgendwann wird Dorabella, später auch Fiordiligi schwach. Denn wie es Don Alfonso prophezeit hat, machen es bekanntlich alle Frauen so. Am Ende wird trotzdem gelacht.

“Così fan tutte” am Essener Aalto-Theater Foto: Matthias Jung
Italien von seiner Schokoladenseite
Sogleich mit den ersten Takten der kurzen und ungemein schmissigen Ouvertüre zu Così fan tutte hebt sich im Essener Aalto-Musiktheater der Vorhang. Das ungetrübte helle C-Dur des Orchesters, das als Tonart dann auch wieder den versöhnlichen Schlusschor der Oper dominieren wird, fügt sich hierbei wunderbar in die strahlend weißen, klassizistischen Räume, die auf der Bühne folglich vor dem Zuschauer ausgebreitet werden. Griechisch-römische Statuen, Vasen und Bilderrahmen lassen den Eindruck einer Museumshalle entstehen, wohingegen die detailgetreue Tempelruine später eine beinah arkadisch-idyllische Atmosphäre erzeugt – kontrastiert durch ein farbiges Bild des auflodernden Vesuvs im Hintergrund. Als lebhafte szenische Umsetzung von Goethes berühmter Italienreise hätte das ebenso gut getaugt. Doch sind alle Zutaten – von der kleinen Requisite bis hin zu den großen Säulen – dramaturgisch sorgsam ausgewählt, spielt die Così doch im Neapel des späten 18. Jahrhunderts.
Für die Bühne wie auch für die Kostüme zeichnet Frank Philipp Schlößmann verantwortlich. Letztere entwirft er wiederum als eine bunte, aber keineswegs verkitschte oder brutal anachronistische Rokokomode. So stehen dem Männerpaar Dmitry Ivanchey (als Ferrando) und Martijn Cornet (als Guglielmo) die historisch korrekte Offizierstracht, aber auch die gewitzte, zeitgemäß typische „osmanische“ Verkleidung ausnehmend gut. Übertroffen werden sie optisch natürlich nur von Tamara Banješević (als Fiordiligi) und Karin Strobos (als Dorabella) mit ihren hinreißenden hellgrünen bzw. rosafarbenen Kleidern. Zwar mag es in der Oper primär um die Musik bzw. den Gesang und an zweiter Stelle um das Wort, den gesungenen Text, gehen, eine wesentliche weitere Ebene wird aber durch das rein Visuelle, den Reiz des Bühnenbilds, gefüllt. Stephen Lawless und sein genannter Assistent Schlößmann verstehen es grandios, diesen Reiz nicht bloß einzufangen, sondern über den gut dreistündigen Abend aufrechtzuhalten. Wo das Textbuch in einigen Rezitativen und Gesangsnummern erhebliche Längen mit sich bringt, schaffen sie mit ihrer Szenerie zwischen Antikenreminiszenz und Kostümfilm eine wunderbare stumme Bereicherung.
Hervorragend ausgewähltes und -tariertes Sängerensemble
Der Opernchor des Aalto-Theaters (Einstudierung: Patrick Jaskolka) hat an diesem Opernabend partiturgemäß zwar wenig zu tun – die Regie lässt ihn daher konsequenterweise unsichtbar bleiben –, meistert die ihm verbleibenden „zeremoniellen“ Einsätze aber gewohnt souverän. Das solistische Sängerensemble weiterhin ist frei von jedem musikkritischen Tadel. Punktgenau und bewundernswert sauber, was im Falle von Mozart’scher Stimmführung und Melodik schon etwas zu bedeuten hat, gestalten die vier Hauptfiguren, aber auch der mephistophelische Baurzhan Anderszhanov als Don Alfonso und die kecke Liliana de Sousa als involvierte Magd Despin(ett)a ihre Partien. Insbesondere die niederländische Mezzosopranistin Karin Strobos vermag mit ihrer natürlich klaren Stimme als betörende Dorabella hinzureißen – wie schon als Zerlina in der legendären Essener Don–Giovanni-Inszenierung von Stefan Herheim. Tamara Banješević, die im Aalto-Theater bereits in so mancher Neben- oder kleineren Rolle zu erleben war, scheint indessen mit und von der Fiordiligi eine deutliche stimmliche Reife erlangt zu haben. Schön, wenn Mozart-Rollen die Sängerinnen und Sänger zu solchen Höchstleistungen anspornen. Im Orchestergraben stehen die mozarterprobten Essener Philharmoniker unter Stabführung von Tomáš Netopil den Vokalsolisten auf der Bühne erfreulicherweise in nichts nach. Der bald 44-Jährige weiß seine Musiker energisch zu führen und dabei die schlanke Durchsichtigkeit zu wahren. Gleich ob La clemenza di Tito, g-Moll-Sinfonie oder eben Così fan tutte – Mozart liegt Netopil mindestens genauso gut wie Smetana, Dvořák, Janáček und Martinů.
Höhepunkte wie das Terzett Soave sia il vento (Weht leise, ihr Winde) zwischen Fiordiligi, Dorabella und Don Alfonso oder Ferrandos Arie Un’aura amorosa (Odem der Liebe) bereiten in Essen hochwertigen Hörgenuss. Nach dramatischen oder politischen Kriterien mögen andere Mozart-Opern zurecht mehr Gewicht haben, rein musikalisch betrachtet ist ihnen Così fan tutte allemal ebenbürtig. Auch wenn die Handlung bisweilen stagniert, ahnt man also in der Lawless-Inszenierung so manches Mal zu begreifen, was Brahms meinte, als er gegenüber einem Kollegen äußerte: „So schön wie Mozart können wir heute nicht mehr schreiben.“
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Mittwoch, der 5. Juni
Sonntag, der 9. Juni
Mittwoch, der 12. Juni
Vielen Dank für diese sinnige Kritiktext. Ich kann nur vollumfänglich zustimmen!