
Philip Behrendt et al.: Literarische Orte im Ruhrgebiet Cover: Klartext
Die Redaktion der Literaturkarte.Ruhr präsentiert mit den Literarischen Orten im Ruhrgebiet den Beweis dafür, dass das Ruhrgebiet bereits seit Jahrhunderten eine überaus vielseitige literarische Geschichte aufweist. Geknüpft sind die Romane, Gedichte, Dramoletten und sonstigen Textformen an Orte, die sich als Ausflugsziele wunderbar in eine Reihe weiterer Attraktionen der Metropole Ruhr eingliedern. Wer seine Lektüre etwa mit einer Shoppingtour, einem Cafébesuch oder einer ausführlichen Wanderung verbinden möchte, kommt hier garantiert auf seine Kosten.
von THOMAS STÖCK
Das Ruhrgebiet – aus literarischer Sicht eine brachliegende Landschaft? Mitnichten! Die Redaktion der Literaturkarte.Ruhr präsentiert seit dem Wintersemester 2015/16 im Rahmen eines universitären Lehrprojekts an der Ruhr-Universität Bochum die Literaturlandschaft des Ruhrgebiets. In mehreren hundert Markern werden so neben kulturellen Institutionen Orte im Ruhrgebiet aufgezeigt, die eine literarische Erwähnung finden. Aus dieser Arbeit ist im Frühling 2019 eine Publikation hervorgegangen: die Literarischen Orte im Ruhrgebiet. Im Wegweiser zu Schauplätzen der Literatur versammeln sich Granden internationalen Formats, welche das Ruhrgebiet wortwörtlich beschreiben. Mal wird bei Frank Goosen der Bismarckturm im Bochumer Stadtpark in eine Reise in die eigene Vergangenheit eingeflochten, dann wieder lässt sich Gordon Meade durch den Botanischen Garten der Ruhr-Universität zu einem Gedicht inspirieren. Weitere namhafte Autoren bevölkern die Buchseiten: Thomas Bernhard beispielsweise, der in einer Dramolett-Trilogie seine ambivalenten Gefühle gegenüber seiner Wiener Heimat analog widerspiegelt in den Gefühlen des damaligen Intendanten des Bochumer Schauspielhauses Claus Peymann gegenüber der Ruhrgebietsstadt. Oder auch der Exilant Joseph Roth, der bereits in den 1920ern den Hafen von Ruhrort und das dortige Treiben porträtiert.
Literarische Variationen zwischen gestern und heute
Zeitgenössische und von alters her stammende Kunstwerke reihen sich im literarischen Ruhrgebietsführer dicht aneinander. So ist Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) auf den Buchseiten ebenso vertreten wie Karl Arnold Kortum (1745–1824). Droste-Hülshoff nimmt die Ermordung eines Erzbischofs im Jahre 1225, Engelbert von Köln, zum Anlass eines ihrer Gedichte in einer 1844 erschienenen Sammlung. Heinrich Kämpchen nahm sich dieses Erzählgegenstands 1909 gleichfalls an – und nimmt mit seiner Beschreibung der Isenburg zu Hattingen ebenfalls seinen Platz ein in diesem illustren Reigen. Dem bereits erwähnten Kortum wiederum setzte die Stadt Bochum mit dem Kortumbrunnen 1986 ein Denkmal, sodass auch dessen Komisches Heldengedicht in drei Theilen, die Jobsiade, die hiesigen Seiten ziert.
So klingend wie die Autorennamen, so vielfältig sind die vorzufindenden Texte angelegt. Lyrik, Dramatik und erzählende Texte, Sagensammlungen (Paul Bahlmanns Volmarsteins Sagenschatz), Manifeste (Ferdinand Kriwets Manifest zur Umstrukturierung des Ruhrreviers zum Kunstwerk) und Chroniken (Liselotte Rauners Erzählende Chronik. Wattenscheid im Laufe der Zeit), sogar Comics (Klaus Trommers Superstar) finden sich hier versammelt. Dem Team der Literaturkarte.Ruhr gelingt es demnach, die Vielfalt des Ruhrgebiets auch literarisch nachzuzeichnen.
Die Schönheit des Bummeltums mit einem halben Schönheitsfleck
Wer sich den Wegweiser zur Hand und die literarischen Orte in Augenschein nimmt, den lädt das Buch zum Verweilen ein. Unter „Weitere[n] Infos“ finden sich Cafés und Wanderrouten, Museen, diverse andere Attraktionen und – das für Literaten wohl Wichtigste – Buchhandlungen versammelt. Wer einmal an einem literarischen Ort angekommen ist, kann auf diese Weise tief in die Szenerie des Ruhrgebiets einblicken. Somit richtet sich der Reiseführer gleichsam an alte Bekannte und neue Ruhrgebietsenthusiasten, um so dem Bummeltum in einer sonst hektischen Alltagswelt zu frönen. Leider haben sich auf den Seiten jedoch auch zwei Fehler eingeschlichen: Zum einen ist die Seitenzählung im Inhaltsverzeichnis ab der Hälfte um zwei Seiten verschoben, zum anderen – für den aus Castrop-Rauxel stammenden Rezensenten ungleich schlimmer – findet sich kein einziger Eintrag über die „Europastadt im Grünen“ bzw. das heimliche Zentrum der Metropolregion Ruhrgebiet…
Wer über diesen halben Schönheitsfleck hinwegzusehen vermag, dem bereiten die Literarischen Orte im Ruhrgebiet bestimmt viel Freude mit zahllosen Ausflugszielen im gesamten Pott, zumal die Redaktion unter dem Punkt „Weitere Literatur“ zum stetigen Weiterlesen einlädt. Wem das immer noch nicht genug ist, dem kann folgende Textsammlung über das Ruhrgebiet anempfohlen werden: Ruhrgebiet (Europa erlesen), 2009 im Wieser-Verlag erschienen.
Philip Behrendt, Anna Brendt, Tina Häntzschel, Stephanie Heimgartner, Leonie Hohmann, Caroline Königs, Sofie Mörchen (Hg.): Literarische Orte im Ruhrgebiet. Wegweiser zu Schauplätzen der Literatur
Klartext, 144 Seiten
Preis: 16,95 Euro
ISBN: 978-3-8375-1906-8