
Martin Vopěnka: Meine Reise ins Ungewisse. Unterwegs mit Benjamin; Cover: Drava
In Meine Reise ins Ungewisse. Unterwegs mit Benjamin versucht Martin Vopěnka, die vielschichtige Gefühlswelt von Vater und Sohn zu beschreiben, die ihre Ehefrau beziehungsweise Mutter verloren haben und sich auf einer Reise ohne Ziel immer näher kommen. Doch der Roman schildert die Emotionen zu direkt, er ist überladen und lässt dem Leser keinerlei Interpretationsspielraum.
von ALINA WOLSKI
Die Handlung ist schnell erzählt: Nach dem Tod der Ehefrau entscheidet sich der Vater, mit seinem achtjährigen Sohn Benjamin eine Reise ins Ungewisse anzutreten. Denn er meint, sein vorheriges Leben auf diese Art nicht weiterbestreiten zu können. So leitet der Weg die beiden aus Tschechien nach Österreich, Italien, Griechenland, Bulgarien und Rumänien. Unterwegs führen Vater und Sohn Gespräche über den Tod, lernen gelegentlich Einheimische kennen, gehen im Meer schwimmen und der Vater besucht ein Bordell. Parallel schwingt beständig seine Angst um Benjamin mit. Auf Grundlage dieser vorhersehbaren, zwanghaft dramatischen Handlungsstränge ist es keine Überraschung, dass der Vater gegen Ende des Romans bei einem Autounfall schwer verletzt wird und sein Gedächtnis verliert, während Benjamin mehrere Monate ohne etwas zu ahnen bei einer mittellosen Familie in den Bergen Rumäniens auf ihn wartet. Schließlich geht wie zu erwarten alles gut aus.
Reise, Tod und Leben
Das Arrangement ist das einer typischen Roadstory. Es ähnelt in den Grundzügen ein wenig Cormac McCarthys The Road, in dem ebenfalls ein Vater mit seinem Sohn unterwegs ist. Doch die Ursache des Aufbruchs unterscheidet sich. In McCarthys Roman herrschen Zerstörung und Krieg – die Protagonisten sehen sich dazu gezwungen, in den Süden zu laufen, um zu überleben. Vopěnkas Version zeigt damit einen großen Kontrast dazu auf: Vater und Sohn fliehen vor einer emotionalen Ausnahmesituation und nicht vor einer unmittelbaren Bedrohung. Sie halten es zu Hause einfach nicht mehr aus. Diese grundsätzlich spannende Konstellation setzt der Autor jedoch sprachlich nur dürftig um. Er übernimmt zwar die kurzen Dialoge zwischen den beiden Reisenden, wie auch McCarthy sie eindrucksvoll einsetzt, doch entfalten sie bei Vopěnka nicht annähernd stark ihre Wirkung. Andauernd lässt er den Vater über die Reise als Metapher spekulieren. Als alle Möglichkeiten genannt und durchdiskutiert sind, beginnt er wieder von vorne. Dann werden die nächsten Themen durchexerziert: Tod und das Leben danach, Kindererziehung, Erwachsenwerden…
Hinzu kommen die direkten Gedanken des Vaters. Als er von der Beerdigung seiner Frau nach Hause zurückkehrt, rekapituliert er: „Schon im Flur begriff ich, wie schwer es jetzt für uns sein würde, hier zu wohnen. An der Garderobe hing noch ihr Mantel, an der Tür lagen ihre Schuhe rum.“ Statt die Hinterlassenschaften seiner Frau und die Atmosphäre in der Wohnung zu beschreiben, sodass der Leser selbst zu dem Schluss kommt, dass die Situation für Benjamin und seinen Vater schwierig würde, spricht Vopěnka das Resultat explizit aus. Dies nimmt dem Roman viel literarische Eleganz und lässt die Erklärungen kitschig wirken. Alle paar Seiten ist der Vater zudem zu Tränen gerührt. Das ist besonders bei dem ohnehin schon emotionalen Sujet, das ein ausgewogenes Maß an atmosphärischen und nachvollziehbaren Beschreibungen benötigt, fatal.
Tränen und Sexismus
Ein immer wiederkehrendes Motiv auf der Reise ist das Verlangen des Vaters nach Frauen. Fast jede weibliche Person, die ihm begegnet, wird zu einem Objekt der Begierde. Er verkehrt in Nachtclubs sowie Bordellen oder mit unbekannten jungen Mädchen am Strand. Diese Beschreibungen im Roman wirken wie die Fantasien eines überheblichen, narzisstischen Mannes, der davon überzeugt ist, von jeder Frau bewundert und begehrt zu werden. Dabei ist es immer der Vater, der seine Interessen durchsetzt. Diese Frauen abwertende, sexistische Komponente im Roman stört schlichtweg und ist überdosiert. Sie macht den Protagonisten unsympathisch und die Geschichte unglaubwürdig. Tippfehler, Wortwiederholungen sowie unsaubere Übersetzungen („In Schuhen und Sachen streckten wir uns aufs Bett.“) tun ihr Übriges, um den Lesefluss anstrengend zu gestalten.
So scheitert Meine Reise ins Ungewisse. Unterwegs mit Benjamin daran, die Emotionen von Vater und Sohn anschaulich zu darzulegen, anstatt sie dem Leser explizit zu servieren. Zwar spielt der Roman an fernen Orten, deren Beschreibung authentisch und meistens auch spannend ist, doch trifft dies nicht auf die Handlung zu: Sie ist zu häufig vorhersehbar und bedient sich Stereotypen. Dies ist schade, denn die Ausgangssituation hat durchaus das Potenzial für ein einfühlsames, literarisch sowie inhaltlich abwechslungsreiches Werk.