
„Dantons Tod“ am Düsseldorfer Schauspielhaus Foto: Thomas Aurin
Mit Dantons Tod in der Regie von Armin Petras eröffnet das Düsseldorfer Schauspielhaus die neue Spielzeit. Es zeigt Georg Büchners Drama über die Französische Revolution in fantastischen Impressionen, die jedoch leider durch überlange Geschrei-Passagen unterbrochen werden. Überraschend beeindruckende Szenen täuschen daher nicht über die monotonen Darstellungen hinweg.
von JASMIN GIERLING
Büchners Drama behandelt die Spaltung der Französischen Revolution in zwei Lager: Robespierre als vorgeblich Tugendhafter und Danton, der verhaltene Profiteur der Revolution. Während das arme Volk Hunger leidet und statt Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nichts als die Guillotine im Nacken verspürt, versuchen die Jakobiner verzweifelt, die Revolution aufrecht zu erhalten – blutrünstig kämpfen sie für die Republik. Das Scheitern der Französischen Revolution schlägt in La Terreur um: Massenmord durch die Guillotine an allen, die verdächtigt werden, Gegner der Revolution zu sein, angeführt durch den drängenden Robespierre. Die Dantonisten wollen dagegen handeln, sehen trotz ihrer luxuriösen Vorzüge die Not des Volkes; ihr Anführer gibt sich bloß sexuellen Trieben hin. Dementsprechend wird Danton selbst als Gegner der Revolution gehandelt, seine leeren Worte des Tatendrangs umhüllt er in Humor und Selbstsicherheit, die sein dekadentes Leben allerdings nicht verschleiern können. Schließlich werden die Dantonisten durch das aussagekräftige Todesurteil denunziert. Robespierre, Danton und die Französische Revolution scheitern.
Büchner versteht es, keine Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen. Das Volk wechselt stetig die Seiten, Robespierre und Danton gleichen sich zu sehr, um als Anführer wahrhaftig geteilter Lager zu gelten. Ein Wechselspiel von Farce und Tat.
In Petrasʼ Inszenierung wird ebendiese Ambivalenz der Charaktere deutlich ausgespielt. Figürliche Sympathie? Fehlanzeige. Auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses stehen Grausamkeit, Blut, Geschrei und menschlicher Trieb unter französischer Flagge.

„Dantons Tod“ am Düsseldorfer Schauspielhaus Foto: Thomas Aurin
Blutig rutscht die Rebellion auf die Bühne
Düsseldorf eröffnet die Spielzeit mit einer Konfrontation von Masse und Individuum. Das Volk, Danton, Robespierre und Nebenfiguren: Alle sind sie gegeneinander, gegen das System und die Revolution. Sie ist längst keine Erlösung mehr. Zumeist stehen viele Charaktere simultan auf der Bühne, aus dem blutigen Gewühl treten dann einzelne Figuren heraus. Der selbstsichere Danton, humorvoll und souverän gespielt von Wolfgang Michalek, steht den Ansichten des Kampfgeistes Robespierre gegenüber. Lieke Hoppe spielt den trügerischen, kriegerischen und schließlich scheiternden Robespierre in einer Hosenrolle facettenreich und kraftvoll. Alles gerät aus den Fugen, auf der Bühne herrscht Chaos, die Brutalität wird ausgestellt. Quälend, unter permanentem Geschrei lässt Petras die Figuren den Saal von ihrem Leid überzeugen. Blut, Kälte, Dunkelheit und Nebel begleiten visuell den Leitsatz „Bürger, es ist Krieg!“ Sehr selten wird der Büchner-Text nicht geschrien. Als Kontrast zur herrschenden Rohheit stellt Cathleen Baumann rührend die Marion dar. Dieser Szene ebnet der Regisseur wiederum ungewöhnlich viel Raum: ein emotionaler Ausgleich zum restlichen triebgesteuerten Tumult. Zu aktuellen, politischen Themen positioniert sich die Inszenierung nicht. Der Abend ist überaus textlastig, verlangt Handlungskenntnis, um ihn tatsächlich zu genießen.
An vielen Stellen kann aber die herrlich bespielte Bühne (Bühnenbild: Olaf Altmann) Handlungsunwissenheit wettmachen. Die dunkle Rampe bietet in sich bereits eine einzigartige Dramatik, unvergessliche Bilder. Gekonnte Lichtführung und Nebeleinsatz lassen sie als mystische Rutsche erscheinen, welche die Schauspieler hochklettern und hinunterschlittern. Ein einziges Auf und Ab – ein bewegter Spiegel der Figuren.
„Ab heute sind alle Menschen gleich!“
Armin Petras stellt das Scheitern der Französischen Revolution dar: Es gibt keine Freiheit, keine Einigkeit, keine Brüderlichkeit. Die Einzelnen verschwinden hinter der Masse, die von Krieg bestimmt ist. Charakterausbildung wird bloß angedeutet, sogar die Entwicklung und die wahren Gesichter der Protagonisten verschwinden hinter Gebrüll. Umso mehr wird damit aber die Ähnlichkeit Dantons und Robespierres gezeigt, denn beide präsentieren sich als ambivalent. Unehrlichkeit, Schuld, Reue und Selbstsicherheit; kein Gut, kein Böse – alles geht im Trubel zwar unter, kann aber vor allem hinsichtlich der Besetzung als Analogie der Charaktere verstanden werden. Geschlechterrollen sind hier frei von Klischees, denn anders als Büchners Text erwarten lässt, erscheinen Frauen nicht als Objekte sexueller Begierde, sondern, ebenso wie die Männer, stark, selbstsicher und überwiegend animalisch.
Höhepunkt der Inszenierung ist Saint Just (in einer Dreifachrolle: Cathleen Baumann) am Mikrofon. Durch die Ankündigung der Verhaftung Dantons, des Fortbestehens der Revolution und des andauernden Sterbens jeglicher Gegner, während im Hintergrund eine blutige Orgie gefeiert wird, vermittelt Saint Just den trügerischen Glanz der Revolution.
Der Abend strotzt vor Dynamik, hat beispiellose Augenblicke, aber auch strapazierende Durststrecken. Durchweg stark gespielt, begleitet von imposanter Bühne und stimmiger Musik ist Dantons Tod ein Erlebnis, welches Konzentration erfordert.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Montag, 28. Oktober
Freitag, 22. November
Samstag, 30. November