Rettichgeruch als Auslöser des Klassenkampfes

Naive Reiche, ausgebuffte Arme und erstaunlich viel Blut: Parasite, der neue Film des in seinem Heimatland gefeierten südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho, trumpft mit einer Mischung aus Familiendrama, Komödie und Sozialkritik auf und schafft es, die Schere zwischen Arm und Reich ohne viel Rumgefuchtel des moralischen Zeigefingers anzuprangern. Ein absolut gelungener Film!  

von CAROLIN KAISER

Wie auch schon im letzten Jahr ging der diesjährige Hauptpreis der Filmfestspiele von Cannes an einen ostasiatischen Film über eine in Armut lebende Familie, die gegen Ende des Filmes in juristische Schwierigkeiten gerät. Anders als in Hirokazu Kore-edas Shoplifters, wo eine Gruppe nicht-blutsverwandter Menschen vorgibt, eine konventionelle Familie zu sein, treffen wir in Bong Joon-hos Parasite auf eine Familie, die vorgibt, nicht miteinander verwandt zu sein. Ein weiterer Unterschied: Während der Japaner Kore-eda sich fast ausschließlich auf den Mikrokosmos Familie konzentriert, geht der Südkoreaner Bong direkt eines der großen Themen des Zeitalters des Kapitalismus an, nämlich: das soziale Gefälle zwischen stinkender Unterschicht und stinkreicher Oberschicht.

Vom ranzigen Kellerloch ins luftige High-End-Eigenheim

Im Zentrum der Geschichte steht die Familie Kim. Vater Ki-taek (Song Kang-ho) und Mutter Chung-sook (Jang Hye-jin) sind arbeitslos, Sohn Ki-woo (Choi Woo-shik) und Tochter Ki-jung (Park So-dam) konnten sich bislang nicht erfolgreich für ein Studium oder eine Ausbildung bewerben. Das Geld ist notorisch knapp und die Familie wohnt in einer schäbigen Kellerwohnung in einem ähnlich schäbigen Viertel von Seoul. Über einen alten Schulfreund ergattert Ki-woo jedoch eine Stelle als Nachhilfelehrer für die Tochter der reichen Familie Park, die in einem schicken, lichtdurchfluteten Designerhaus mit eigener Haushälterin wohnt. Einmal den Fuß in der Tür dieser Neureichenvilla, schafft es Ki-woo, seine Schwester als Nachhilfelehrerin für den hibbeligen Sohn der Parks unterzubringen. Mit Talent für Schauspiel und Betrug gelingt es den Kims schließlich, den Parks ihren bisherigen Chauffeur sowie die Haushälterin madig zu machen und die nun freien Stellen mit Vater und Mutter Kim zu besetzen. Dass es sich bei den neuen Angestellten um eine Familie handelt, bleibt allerdings ein Geheimnis. Der Verlauf des Filmes wartet mit der ein oder anderen Überraschung auf, weswegen an dieser Stelle zur weiteren Handlung nur noch eins gesagt sei: Auch bei den Parks gibt es einen Keller.

Witze, Tränen und tolle Figuren

Zu den Stärken des Films gehören die eigenwilligen Figuren, die zwar alle bis zu einem Grad bestimmte Stereotype bedienen, aber dank eines großartigen Drehbuchs, wo fast jeder Satz im Nachhinein mehr bedeutet als zunächst gedacht (dazu später mehr), und ebenso großartiger Schauspielkunst nie generisch oder abgegriffen wirken. Frau Park (Jo Yeo-jeong) beispielsweise entspricht dem schon hundert Mal genutzten Typus der reichen, stets lächelnden und exzellent gekleideten Ehefrau, die eine schlechte Hausfrau und von dem Genie ihrer Kinder überzeugt ist. Die ausgebufften Kims wissen es gekonnt, Naivität und Gutmütigkeit Frau Parks auszunutzen und sie bei jeder Gelegenheit hinters Licht führen. So entkommt sie dem für diese Art von Figur typischen Schicksal, eher zu nerven als zu unterhalten. Jo Yeo-jeong schafft es dabei, die der Figur selbst unbewusste Abgehobenheit darzustellen – hier sei das mimische Schauspiel Jos erwähnt, das Frau Parks Entsetzen über den kleinsten gesellschaftlichen Normenbruch darstellt, als wäre sie Zeugin des Zusammenbruchs der Zivilisation –, gleichzeitig bei dem Zuschauer aber auch Sympathie für diese ahnungslose, naive Frau zu wecken. Eine weitere Stärke des Films: seine Balance zwischen Komik und Tragik. Während in der ersten Hälfte der Witzanteil sehr hoch liegt – besonders die Betrugsmaschen der Kims sind perfekt durchgeplant und von Bong in Szene gesetzt und schaffen das Lacherpotenzial der Spannung zwischen der Kim’schen Abgebrühtheit und der Park’schen Gutgläubigkeit komplett auszuschöpfen –, schlägt der Film in der zweiten Hälfte häufiger nachdenkliche Töne an. Seine komödiantischen Qualitäten verliert der Film allerdings nie und schafft es, Ernst und Quatsch in eine stimmige und unterhaltsame Symbiose zu bringen. Besonders das Ende des Films ringt dem Zuschauer sowohl ein Lachen als auch ein Tränchen ab.

Tabascosoße, Tipi, der Gestank alter Lappen – alles findet seine Verwendung

Für den Zuschauer besonders befriedigend ist, dass jedes gezeigte Detail, jede Bemerkung in dem Film irgendwann seine Verwendung findet oder auf kommende Ereignisse hindeutet. Die blutrote Tabascosoße, welche die Tochter Ki-jung auf ihrer Pizza isst, spielt nachher bei der Entlassung der alten Haushälterin eine Rolle. Das Tipi vom Sohn der Parks steht am Ende des Films wortwörtlich im Zentrum. Auch die Lampe mit Wackelkontakt und das Regal mit dem Pflaumenschnaps erlangen erstaunliche Handlungsrelevanz. Herr Parks (Lee Sun-kyun) Kommentar, dass sein neuer Chauffeur, also Vater Ki-taek, nach Rettich und alten Waschlappen stinke – so wie all die finanziell schlechter gestellten Menschen, die täglich mit der Straßenbahn fahren müssen –, wird im Verlauf des Films immer wieder thematisiert und löst schließlich gegen Ende des Films die große Katastrophe aus.

Wo wir auch beim großen Thema des Films wären: das schwierige Verhältnis zwischen armen und reichen Menschen und ihre Abneigung einander gegenüber. Besonders deutlich wird das an der unterschiedlichen Art und Weise, wie die Parks ihre vier neuen Angestellten behandeln. Sohn Ki-woo und Tochter Ki-jung geben sich als gut situierte Studenten aus und werden dementsprechend von den Parks als sozial Gleichgestellte mit Höflichkeit und Respekt bedacht. Vater Ki-taek und Mutter Chung-sook hingegen arbeiten lediglich als Bedienstete bei den Parks und werden als solche zwar auch höflich, aber eben nicht als Ebenbürtige behandelt. Jedoch wird auch bei den Kims deutlich, dass sie für ihre neuen Arbeitgeber nicht viel Respekt übrighaben und sie sie lediglich als Möglichkeit betrachten, ihre finanzielle Lage zu verbessern. Doch trotz dieser Abneigung herrscht bei den Kims durchaus der Wunsch vor, irgendwann einmal selber Teil der Gesellschaftsschicht der Parks zu sein.

Auch derjenige, der sich weniger für soziologische Fragestellungen interessiert, wird von Parasite gut unterhalten. Die gesellschaftskritische Dimension des Films ist leicht zu identifizieren, wird dem Zuschauer jedoch nicht aufgezwängt. Letzen Endes ist Parasite einfach ein sehr, sehr gelungener Film – mit oder ohne Klassenkampf.

Parasite (2019)

Seit dem 17. Oktober 2019 im Kino.

Regie: Bong Joon-ho

Darsteller: Song Kang-ho, Lee Sun-kyun, Jo Yeo-jeong, Jang Hye-jin, Park So-dam, Choi Woo-shik

Laufzeit: 132 Minuten.

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