Auseinanderstreben der Welt

Nora Bossong: Schutzzone; Suhrkamp

Was im Kleinen möglich ist, geschieht auch im Großen. Mit Schutzzone verbindet Nora Bossong das private Schicksal einer heimatlosen Weltenbürgerin mit den Problemen des Internationalen Rechts. Dabei bedient sich die Autorin vermeintlicher Absurditäten, die beim Lesen jedoch einleuchten und ihre Funktion erfüllen. Ein Roman über die Hilflosigkeit der Welt.

von ALINA WOLSKI

New York, Burundi, Genf, Bonn… Das sind nur einige Schauplätze in Nora Bossongs neuem Roman. Über Umwege kommt die Protagonistin Mira als Diplomatin in die Vereinten Nationen, wo sie zwischen stundenlangen Verhandlungen, weltfremden Forderungen und dem geltenden Recht versucht, den Betroffenen zu helfen. Häufig erfährt sie, dass sie nicht viel mehr tun kann, als ihnen zuzuhören, für eine kurze Zeit in ihre Welt einzutauchen, aber doch nicht begreifen zu können, wie es ihnen wirklich geht, was geschehen ist. In der Wahrheitskommission in Genf arbeitet Mira die Kriegsverbrechen auf. Doch was ist Wahrheit, was Schuld und Gerechtigkeit? Und wer hat das Recht, über all das zu entscheiden? Das sind die zentralen Fragen des Romans. Eingebettet wird die Suche nach Antworten in Ereignisse zwischen Miras Kindheit bei Bonn und dem Völkermord in Burundi, zu dessen Aufklärung sie vor Ort berufen ist.

Völkermord in Burundi

Burundis Geschichte ist bewegt und bis heute teils ungeklärt. Seit der Ermordung des Ministerpräsidenten Rwagasore 1962, zwei Wochen, nachdem er gewählt wurde, ist Burundi von Gewalt und Auseinandersetzungen zwischen der Hutu-Mehrheit und der Tutsi-Minderheit geprägt. 1972 kam es zu einem missglückten Putschversuch durch die Hutu. Infolgedessen wurden schätzungsweise zwischen 100.000 und 250.000 Hutu ermordet. Es folgte ein Massaker an den Tutsi, daraufhin die Rache der Tutsi-dominierten Armee Burundis 1981, wobei zehntausende Hutu ums Leben kamen. Die ersten demokratischen Wahlen 1993 schienen Stabilität zu versprechen. Doch nur 100 Tage nach der Wahl wurde der neu gewählte Präsident bei einem Putschversuch von Tutsi-Militärs getötet und das Land verfiel erneut in ein politisches Chaos. Bei den auf den Putschversuch folgenden Racheakten kamen schätzungsweise 50.000 Menschen ums Leben. In dem darauffolgenden Bürgerkrieg sind seit Ende 1993 100.000 Personen getötet worden. Mit der Unterzeichnung des Abkommens von Arusha im Jahr 2000 wurden die langjährigen Kämpfe zwischen den Hutu und Tutsi unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen schließlich beendet.

Divergenz in allen Bereichen

Schutzzone lebt von Gegensätzen. Das Romangeschehen springt sowohl zeitlich als auch räumlich. Mal erfährt der Leser von Miras Kindheit, der Trennung ihrer Eltern, einer naiven Sicht auf die Welt. Dann steht die Arbeit in New York im Mittelpunkt, die Wahrheitskommission in Genf, der langsame Aufbau einer Liebesbeziehung zu einem alten Bekannten, schließlich Burundi. Burundi stellt einen Siedepunkt der Gegensätze dar. Zum einen ist dort vermeintlich Frieden, zum anderen sitzt das Trauma bei den Einheimischen tief. Die Mitarbeiter der Vereinten Nationen verbringen die Abende in Villen bei Poolpartys, während Einheimische in überfüllten Lagern wohnen und sich vor Vergewaltigungen fürchten.

Die Zusammenhänge, die Bossong herstellt, wirken zunächst absurd. Wie kann man eine Trennung der Eltern mit einem Völkermord vergleichen? Doch gerade diese Absurdität verdeutlicht die Unterschiede, die auf ein und demselben Planeten herrschen. Es handelt sich um eine Nebeneinanderstellung und nicht um eine Gleichstellung. Und schließlich wirkt die gesamte Welt bei Bossong hilflos: Völkerrecht, das im Zweifel nicht durchgesetzt werden kann; Familien, die aus unterschiedlichen Gründen auseinanderbrechen; Menschen, die allein bleiben mit ihrem Schicksal. Die Lösung des Romans: weitermachen. Auch wenn es hoffnungslos erscheint. Denn es wäre hoffnungsloser, zu resignieren.

Inhalt oder Form?

Die Vermittlung dieser Idee stagniert jedoch sprachlich. Einige Beschreibungen wirken affektiert, kompliziert, zu ausführlich. Bossong baut so Distanz auf, lässt den Leser nie ganz mitfühlen, ihn nur von oben auf die Geschehnisse blicken oder von der Seite einen flüchtigen Blick auf das Unheil erhaschen. Doch manchmal wird so auch der Lesefluss gehemmt. Man steckt gewissermaßen in Burundi, Genf, New York fest. Dort kann man sich weder mit den Menschen so richtig identifizieren noch mit dem Land. Als sprachliches Mittel verdeutlicht diese Distanz auf der einen Seite zwar das Weltgeschehen – dieses Nicht-von-der-Stelle-Kommen. Doch auf der anderen Seite verliert der Roman dadurch an stilistischer Eleganz. Schutzzone legt damit seinen Schwerpunkt entschieden auf den Inhalt und macht Abstriche bei der Form. Bei einem so wichtigen Thema ist das sicherlich im Zweifel die richtige Wahl. Eine Vereinbarkeit von beidem wäre jedoch optimaler gewesen.

So handelt es sich bei Nora Bossongs Roman um eine wichtige Erinnerung an die Ungerechtigkeit in der Welt. Konkrete Lösungen oder Antworten auf die aufgeworfenen Fragen hat Schutzzone jedoch nicht parat. Auch wenn einige Stellen übermäßig pathetisch oder klischeehaft wirken und andere wiederum nach übertriebener Schwarzmalerei, schafft der Roman trotzdem erhebliche Mehrwerte. Er verdeutlicht an ausgewählten Beispielen das Auseinanderstreben von Mensch, Gesellschaft und Recht – damit fordert er zum Nach- und Überdenken auf. Und am Ende heißt es: weitermachen. Egal, wie hoffnungslos die Lage auch wirkt.

 

Nora Bossong: Schutzzone
Suhrkamp, 332 Seiten
Preis: 24,00 Euro
ISBN: 9783518428825

 

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