Der märchenhafte Funke-Flow

Cornelia Funke und Guillermo del Toro: Das Labyrinth des Fauns; Fischer

Cornelia Funke ist als Jugendbuchautorin über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt und erfolgreich. Gemeinsam mit Regisseur Guillermo del Toro präsentiert sie mit Das Labyrinth des Fauns das Pendant zu dessen gleichnamigem Film aus dem Jahr 2006. Ofelias fantastischer Welt gelingt es in Buchform noch viel besser, den Leser auf die Reise in eine ferne Welt zu entführen.

von THOMAS STÖCK
In Märchen ist die Welt dankenswerterweise noch leicht verstehbar: Sie ist aufgeteilt in Gut und Böse und wir folgen den Protagonisten auf bunten Buchseiten in ihr großes Abenteuer, welches unseren grauen Alltag erhellt. Gerade Träumern wie der jungen Ofelia gelingt es so, die Widrigkeiten des eigenen Lebens spielerisch zu bewältigen. Doch nicht immer kann man eine solche Erzählung eingepackt in eine warme Wolldecke vor einem prasselnden Kaminfeuer genießen. Ofelia, die Protagonistin von Das Labyrinth des Fauns, ist Halbwaise, ihre Mutter Carmen ist frisch verheiratet und schwanger von Capitán Vidal. Nicht nur für Ofelia ist der Capitán das personifizierte Böse: der große, böse Wolf. Wie wunderbar Cornelia Funke einen solchen Schurken in eine Geschichte einführen kann, lässt sich am besten mit ihren eigenen Worten zeigen: „Das Böse nimmt selten sofort eine feste Form an. Oft ist es zuerst nicht mehr als ein Flüstern. Ein Blick. Ein Verrat. Doch dann wächst es und schlägt Wurzeln, noch immer unsichtbar, unbemerkt. Nur Märchen geben dem Bösen eine konkrete Gestalt. Die bösen Wölfe, die finsteren Könige, die Dämonen und Teufel…“

Der böse Stiefvater ist ein ebenso cleverer Bruch mit der Tradition althergebrachter Märchenmotive wie Carmens irriger Glaube an „das gefährlichste aller Märchen: An das, in dem der Prinz kommen und sie retten würde.“ Und doch ist in dieser aufreizend modernen Erzählung Platz für die Prinzessin Moanna, als die sich Ofelia entpuppt, die aus ihrer eigenen märchenhaften Welt in die grausame Realität ausgebüxt ist. Ofelias bzw. Moannas Zusammentreffen mit dem Faun, der die Prinzessin vor eine Reihe gefährlicher Prüfungen stellt, überschreiten dabei die Grenze zwischen Ofelias Fantasie und der Realität, wie sie die übrigen Figuren erleben. Dies erinnert an Don Quijote und dessen Kampf gegen Windmühlen und ähnliche Schreckgespenste seiner Fantasie – dies ist wohl wenig überraschend, immerhin zeichnet mit Co-Autor und Regisseur der Filmvorlage Guillermo del Toro ein hispanophoner Künstler verantwortlich für Ofelias Werdegang.

La belle fidèle – Die Treue zum Original

Wer bereits den Film kennt, wird vom weiteren Handlungsverlauf des Buchs nicht überrascht, denn Funke und del Toro kreieren dem Film als Entsprechung la belle fidèle, eine im Handlungsverlauf getreue Erzählung, die allenfalls im Handlungsstrang um Moanna ein wenig ausschweifender als der Film erzählt, wie genau die Prinzessin aus ihrer Welt entfleuchen konnte und was die übrigen Märchenfiguren damit zu tun hatten. Ansonsten finden sich wie im Film Dr. Ferreiro, Mercedes und ihr Bruder Pedro zusammen, um den großen, bösen Wolf zu bekämpfen. Dabei soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden, dass Capitán Vidal Soldat zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs war. Denn eigentlich lebt Ofelia im Jahre 1944, als Francos Truppen den Großteil der Partisanen besiegt haben und nur noch wenige zersprengte Gruppen – wie die um Pedro – Widerstand leisten.

Ofelias Märchen passt trotz der großen Treue zur filmischen Vorlage perfekt zu Funke, und so findet man auch in dieser Geschichte romantische Liebeserklärungen an das Geschichtenschreiben, Erzählen und Lesen: „Ofelia erinnerte [die Mutter] nicht daran, dass es für sie kein besseres Geschenk als ein Buch gab. Ihre Mutter würde das nie verstehen. Sie machte Bücher nicht wie Ofelia zu ihrer Zuflucht oder erlaubte ihnen, sie in eine andere Welt zu bringen. […] Bücher hätten ihr so viel mehr erzählen können, über diese Welt und über ferne Orte, über Tiere und Pflanzen, über die Sterne!“ Und für ihren im Mutterleib befindlichen Bruder, den Ofelia eigentlich nicht ausstehen kann, weil er doch die Mutter krankmacht, wird das Mädchen zur Geschichtenerzählerin: „Als bildeten Ofelias Worte eine Spur aus Brotkrumen, die durch die Nacht führte.“

Die persönliche Note im vielstimmigen Zusammenspiel

Es ist beeindruckend, dass trotz Co-Autorschaft, Übersetzung (von Tobias Schnettler) und der Übertragung vom Film in Buchform ein so stimmiges Gesamtkonzept entsteht, welches zugleich diesen ganz persönlichen Ton trifft, diesen Funke-Flow, wie er sich schon in den anderen Werken der Autorin ausdrückt. Auch die Illustrationen von Allen Williams, welche sich ebenfalls an den Bildern des Films orientieren, stützen diesen Gesamteindruck. Dieses Zusammenspiel vielstimmiger Kräfte findet in einer leicht zugänglichen Sprache Ausdruck, an der sich jedermann erfreuen kann. Wen ergreift nicht ein eiskalter Schauer, als Vidal das kleine Mädchen begrüßt: „‚Ofelia.‘ Der Wolf zermalmte ihren Namen zwischen seinen schmalen Lippen zu etwas, das so zerbrochen war wie ihre Mutter, und starrte auf ihre ausgestreckte linke Hand.“

Cornelia Funke und Guillermo del Toro: Das Labyrinth des Fauns. Aus dem amerikanischen Englisch von Tobias Schnettler. Mit Bildern von Allen Williams
Fischer Verlag, 320 Seiten
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-7373-5666-4

2 Gedanken zu „Der märchenhafte Funke-Flow

  1. Ohh ich bin dem Film bislang aus dem Weg gegangen, weil Fantasy nicht wirklich so mein ist, bin aber glühende Cornelia Funke Verehrerin…Daher komme ich gerade zum umdenken. 🙂 Deine Worte haben nun nochmal richtig die Lust geweckt, daher auch diesem Band eine Chance zu geben. Eine tolle, komplexe Rezension, die trotzdem nicht zu viel verrät und, glaube ich, gut den Spirit des Romans wiedergibt: Kompliment! <3

    • Liebe Johanna,

      vielen Dank für das Kompliment, das freut mich wirklich sehr! Der Film hat mich sehr überrascht, weil ich im Vorhinein nur wusste, dass es um den Spanischen Bürgerkrieg geht. Dieses Zusammenspiel von fantastischen Elementen und historischer Aufarbeitung hat mir persönlich aber sehr gut gefallen. Das Buch fand ich sogar noch besser. Vielleicht lohnt es sich, den Film zuerst zu schauen, dann ist man hinterher nicht enttäuscht, wenn er nicht ans Buch rankommt 😉 viel Spaß bei der Lektüre und beim Film!

      Thomas

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