Mit Park liefert Marius Goldhorn ein popliterarisches Debüt, das seinesgleichen sucht. Selten war der als Genrebezeichnung eigentlich eher schwammige Begriff der ‚Gegenwartsliteratur‘ präziser anwendbar als auf diesen Roman, der die Leser:innen nicht nur mit auf eine Reise nach Paris und Athen nimmt, sondern auch einen erschreckend genauen Blick auf unsere westliche Welt ermöglicht, in der alle jederzeit online vernetzt sind. Willkommen im Hier und Jetzt.
von NICK PULINA
„Arnold ging in die Einstellungen.“ Als Einstieg in einen Roman ist dies nicht nur eine Vorausdeutung auf das Kommende, sondern ein klares Statement. Bereits hier scheiden sich die Geister der Generationen an der profan erscheinenden Frage des Verstehens: Was zieht ein Mensch, der kein ‚Digital Native‘ oder Anhänger einer ‚Generation X/Y/Z‘ ist, aus diesem Satz? Wahrscheinlich nicht viel.
Eine Push-Nachricht wie die andere
Das Digitale und noch viel mehr das Online-Sein an sich ist der Dreh- und Angelpunkt von Marius Goldhorns Erstling Park, der im Juni 2020 im Suhrkamp-Verlag erschienen ist. Auf den knapp 180 Seiten begleiten die Leser:innen den fünfundzwanzigjährigen Arnold zunächst nach Paris und dann nach Athen, wo er seiner (verflossenen?) Liebe durch kleinere Tätigkeiten beim Dreh eines Films helfen soll. Dabei ist er, wie der Großteil seiner Generation, jederzeit über irgendein Device online. Sei es das Smartphone, auf das alle paar Minuten ein sehnsüchtiger Blick geworfen wird, oder das Macbook, das zur kurzen Arbeitssession aufgeklappt wird. Permanent setzt sich Arnold einer Flut an Informationen aus, die ungefiltert und vor allem ohne jegliche Bewertung seinerseits über ihn hinweg rollt. Er recherchiert, ob Kakerlakenmilch Potential zum Superfood hätte, liest über ein gescheitertes Attentat in Spanien, bei dem sich die Attentäter:innen versehentlich selbst in die Luft gesprengt haben, fragt sich, was wohl mit dem in die Schwerelosigkeit ejakulierten Sperma auf der ISS geschieht, liest von einer Hungersnot in Lateinamerika und einem französischen Artischockenfestival. All diese Eindrücke stehen bar jeder Hierarchie nebeneinander und interessieren Arnold auch selten länger als die Sekunden, die er zum Überfliegen der Überschriften braucht.
Schreibstil als formales Zitat des Internets
Goldhorn spiegelt in diesem Roman das nüchtern-unbeteiligte Schriftbild des Internets mit faszinierender Präzision. Lakonisch-parataktische Hauptsätze reihen sich stumpf aneinander, Kommas sind eine wahre Rarität in diesem Text; alles liest sich wie ein Tweet: kurz und gebündelt. Auch vor anaphorischen Wortwiederholungen macht Goldhorn nicht halt, wenn er gefühlt zehn aufeinanderfolgende Sätze mit dem Namen seines Protagonisten beginnt, der irgendeine Tätigkeit ausführt. Subjekt, Prädikat, manchmal Objekt – hier ist keine Zeit für lange Sätze. Das Risiko eine aufploppende Push-Nachricht zu übersehen scheint zu groß. Wer eine anstrengend omnipräsente Verfremdung befürchtet, kann sich beruhigen: sie fügt sich perfekt in den dadurch umso popliterarischer wirkenden Text und behindert den Lesefluss nur gezielt dort, wo es gewollt ist, spielt sich sonst aber nicht in den Vordergrund. Form und Inhalt stehen in einer absolut passend erscheinenden Relation.
Liebe als Apotheose aus der vernetzten Welt?
Doch was soll diese Liebesgeschichte in der doch so gleichgültig-emotionslos daherkommenden Online-Bubble? Will Goldhorn – ähnlich wie Leif Randt in seinem nur drei Monate zuvor erschienenen Roman Allegro Pastell – zeigen, dass am Ende doch die Liebe über die Abgestumpftheit siegt und sei es auch auf eine bisher ungekannte Weise? So eindeutig wie Randt gibt Goldhorn darauf keine Antwort. Die Verbindung mit Odile bleibt trotz eines kurzen sexuellen Wiederaufflammens eher karg, mehr professionell als freundschaftlich, geschweige denn liebevoll. Als Arnold in Athen allerdings in gewalttätige Ausschreitungen zwischen Protestierenden und Polizei gerät und bei seiner anschließenden Verhaftung sein Smartphone konfisziert wird (er bekommt es nicht zurück), bleibt er erstaunlich ruhig. Wenn dann am Folgetag auch noch sein Flug überbucht ist, er erst am nächsten Tag nach Berlin zurückkehren kann und im Flughafenhotel der Akku seines Macbooks den ungeladenen Geist aufgibt, scheint hier doch eine Wandlung in ihm vorzugehen: Arnold nestelt nicht hektisch das Ladekabel in die Buchse. Erstmals seit Beginn des Textes – und wahrscheinlich seit vielen, vielen Jahren davor – ist Arnold offline und es scheint ihn nicht zu stören. Ob hier nun eine erlösende Kraft der Liebe vorliegt, ist zwar diskutabel, allerdings sollte nicht ignoriert werden, dass auch in der ausschweifenden Rückblende auf die gemeinsame Liebeszeit, die er und Odile vor einem Jahr miteinander verbracht haben, als sie Hals über Kopf für einige Monate in Arnolds Wohnung gezogen ist, die gleichgültigen Sätze an einigen Stellen aufbrechen und ein poetischer Schimmer durch die Risse der abgestumpften Informationsschale dringt. Vielleicht ist es am Ende doch die reale zwischenmenschliche Liebe, die den individuellen Geltungsdruck in der durchmedialisierten Gesellschaft abschwächen kann, vielleicht ist aber auch sie nur ein weiteres Puzzleteil im ‚perfekten’ Insta-Life.
Gegenwart wie sie gegenwärtiger nicht sein könnte
Wer Leif Randt drei Monate zuvor kreditiert hat, dass Allegro Pastell den Begriff der Gegenwartsliteratur neu geprägt habe und es keine Literatur gäbe, die näher an dem ist, was gemeinhin Gegenwart genannt wird, muss diesen Orden nun an Goldhorn weiterreichen. Sowohl sein Protagonist als auch seine Art des Schreibens und der ganze Habitus des Buches könnten gegenwärtiger und gültiger nicht sein. Er reiht sich perfekt in die Tradition der Popliteratur zwischen Stuckrad-Barre, Kracht und Randt ein, ist diesen allerdings in einem Punkt voraus: Er erhebt sich weder wertend über seinen Protagonisten, noch über die ihn umgebende Gesellschaft. Bei Goldhorn ist erst einmal alles gleich unwichtig und somit gleich valide. Es gibt kein Schwarz und Weiß mehr, es sind nicht einmal mehr Grauschattierungen vorhanden. Über große Teile des Romans scheint es so, als würde die Welt auf eine absolute Farblosigkeit zusteuern. Man mag es kaum glauben: Während der Lektüre erscheint dies nicht einmal als Dystopie. Hat uns die Farblosigkeit vielleicht schon längst eingeholt?
Marius Goldhorn: Park
Suhrkamp-Verlag, 179 Seiten
Preis: 14,00 Euro
ISBN: 978-3-51812-7643