Vom Schwärmen mit Schnaken

Harry Martinson: Schwärmer und Schnaken; Cover: Guggolz Verlag

In Harry Martinsons Schwärmer und Schnaken werden ausschweifend schwärmende, scheinbar willkürlich gesammelte Naturessays aneinandergereiht, in denen Weisheiten über das Schreiben, sowie Kritik an der Gesellschaft verwoben sind. Ein poetisches Naturbild für Liebhaber.

von VIKTORIA GORETZKI

„So geht in dieser Welt das eine in das andere über, und jeder Mensch kann lediglich einen Bruchteil des Ganzen erfassen.“ Was Harry Martinson in Schwärmer und Schnaken über den Menschen und seine Auffassungsgabe sagt, versucht er selbst in seinem Werk darzustellen. Schwärmer und Schnaken ist eine Sammlung von Naturessays, die Martinson Ende der 1930er Jahre verfasst hat. Einen einheitlichen Plot sucht der Leser hier also vergebens, stattdessen trifft er auf ausschweifende Naturbeschreibungen, die unterschwellig Gesellschaftskritik oder dem Leben an sich äußern.

Martinson heuerte mit 16 Jahren auf einem Schiff an und erzählt in seinem eingangs anzutreffenden Essay Wasserbrief autobiografische Details über die Seefahrt, welche mit den Beschreibungen der Meere verflochten sind. Martinson berichtet von den Lehrern, die ihn in seinem Leben begleitet haben, insbesondere von Stav, dem er die Abenteuerlust zu verdanken hat. Er erzählt von seinen Freunden und deren Tätigkeiten, die ihn auf den Reisen begleitet haben, und bringt, teils in Nebensätzen, teils explizit, Kritik an der Gesellschaft an. So kritisiert er den zunehmenden Walfang und – vor allem – die zunehmenden Spannungen in der Gesellschaft, die mit der aufkommenden Kriegsangst einhergehen. Martinsons Mutter emigrierte in die USA, woraufhin der Kontakt zu ihr abbrach. Die Amerikaflucht ist für ihn von großer Bedeutsamkeit, welche er nun mit der herrschenden Stimmung vergleicht:

 „Aber jüngst ging mir auf, dass eine neue Art der Emigration, eine große, breite, gewaltige bevorsteht und in Vorbereitung ist. Sie annonciert nicht in den Wartesälen der Nebenstrecken, wie sie es zur Zeit der Amerikareisen tat. Nein, das hat sie nicht nötig. Wir treiben dennoch darauf zu. Ihre Schiffe werden unter unseren Füßen gebaut. Bald wird sie beginnen. Es ist die große Emigration in den Tod, der jetzt den Völkern bereitet wird.“

Es ist das einzige Mal, dass Martinson so konkret wird und sich auf die herrschende Stimmung in der Gesellschaft bezieht.  

Über die Schönheit der Natur und ihre Vergänglichkeit

Er vergleicht den Menschen das eine oder andere Mal mit Insekten, welche sich gegenseitig im Lauf der Natur verspeisen und den Tod finden. „Uns tut das nichts, aber man fragt sich, weshalb das Leben unbedingt so sein muss. Es könnte ja auch anders sein. Aber wie?“ Das im Anschluss geschilderte Szenario gleicht einer Utopie, in der es keinen Krieg gibt, sondern Frieden verbunden mit Bewegung und Abenteuerlust. Doch für diese Utopie ist nun keine Zeit – „aber es kann ja noch werden“. Kritik verbunden mit ausschweifenden Metaphern über die Natur findet man nur zwischen den Zeilen, immer verborgen, mit dem Ganzen verwoben.

Das zentrale Thema der Essays sind die Naturbeschreibungen. Ob Meere, Seen, Wälder, Blumen, Insekten oder Witterungen – Martinson beschreibt die Natur in ihrer vollen Schönheit. Nicht nur Bilder malt er mit seinen ausführlichen Darstellungen, auch Gerüche und Geräusche sind permanent präsent. So riecht der Kerbel nach Lakritz und süßen Gewürzen, die Fliegen surren und zischen von Blume zu Blume, von Strauch zu Strauch. Aber nicht nur die Schönheit der Natur ist es, die er betont – sondern auch ihre Vergänglichkeit. Von toten Insekten bis hin zu sterbenden Mohnblumen, deren Blüten verwelken und lediglich Samen wie Urnen übrigbleiben. Die unterschwellig präsentierte Melancholie ist deutlich spürbar.

Vom Naturbetrachter zum Naturkünstler

In seinen Essays zeigt Martinson, wie sprachgewaltig er ist. Er beschreibt die Natur nicht nur, er ist ein Teil von ihr und verkörpert selbst das, was er in seinem Essay Über Naturdichtungen schildert, indem er den Leser in die Kunst der Naturbeschreibungen und das Geheimnis einer guten Naturbeschreibung einweiht. „Der Naturschilderer ist ein Künstler, der, auf eine Weise, die sie neu erscheinen lässt, die alten, einfachen Wahrheiten mittteilen kann.“ Wer Natur beschreiben möchte, sollte selbst ein Teil von ihr werden und sie nicht von außen betrachten und bewerten, sondern sie von innen heraus verstehen. Man liest die Beschreibungen nicht nur, denn es ist, als hätte man selbst die Blumen in einem Büchlein gepresst und erinnere sich beim erneuten Betrachten an ihre Schönheit.

Martinsons Stil ist ausschweifend, fast schwärmend, manchmal langatmig, definitiv etwas, das gemocht werden muss. Die unterschiedlich langen Essays reihen sich scheinbar ohne Verbindung aneinander, scheinen so angeordnet worden zu sein, wie es Martinson in den Sinn kam. Vom Meer zu den Seen über Berge und Wälder bis hin zu den Jahreszeiten: Wenn man denkt, eine Verknüpfung gefunden zu haben, kommt ein neues Ereignis, das erst einmal zusammenhangslos im Raum steht. Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht – so manches Mal deshalb, weil eine Passage sehr lang und ausschweifend beschrieben wird. Das macht dann auch die Bildlichkeit und Schönheit der Natur nicht wieder wett. Schwärmer und Schnaken von Harry Martinson – ein poetisches Bild der Natur für Liebhaber schwärmender Beschreibungen und Naturessays.

Harry Martinson, Schwärmer und Schnaken
Guggolz Verlag, 219 Seiten

Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3945370292

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