Mit der lesBar im römischen Exil

Ein neuer Tourismus, ein überfülltes Land, ein Ausgestoßener, eine kaputte Stadt mit alten Häuschen, ein unflexibles Sternerestaurant, ein Hauch von Heimat, ein bemühter Kellner, ein orangefarbenes Manna und eine gehörige Portion Ironie. Begleiten Sie mich in die Exil-lesBar und freuen Sie sich über ein Stück Deutschland in der Fremde!

von NICK PULINA

Urlaub in Deutschland
Das Gute liegt so nah
In den Städten hängen Plaketten
Goethe war hier, Goethe war da

[…]

Urlaub in Deutschland
Das Gute liegt so nah
Warum nicht Mal Wolfsburg?
Goethe war sicher auch schon da

Rainald Grebe

Servus in die Runde!

Deutschland ist voll! Gut, Sie lesen (hoffentlich) seit Monaten regelmäßig meine Wein-Kolumne, die ohne den COVID-gesteigerten Alkoholgenuss so sicherlich nicht zustande gekommen wäre – darum geht es aber nicht. Auch nicht um rhetorisch fadenscheinige Boot-Metaphern des rechten Randes. Aktuell besser gefüllt denn je: Hotels, Pensionen und Campingplätze in deutschen Landen.

Von Rügen bis Rheingau, von Büsum bis Baden und Friesland bis Franken haben sich Heimattourist:innen kreativ bis leidensfähig zu zeigen, um den hoch verdienten Sommerurlaub nicht unter freiem Himmel verbringen zu müssen. Was einigen Zeitgenöss:innen zwar nicht schaden würde, in Anbetracht des wenig sommerlichen Wetters doch eher einer Survival-Übung à la Nehberg gleichkäme.

Bekommen Sie bitte nicht dein Eindruck, ich würde den neuen Inlandstourismus belächeln. Ganz im Gegenteil: Sie haben meinen vollsten Respekt! Ob Sie sich nun auf Mallorca aufgereiht und einbalsamiert am Strand wenden, an der Müritz die freie Kultur des Körpers ausleben oder in fescher Wanderkleidung den Harz erklimmen: Ich beneide Sie um Ihre Privilegien!

Solange täglich rund 70 Flüge das 17. Deutsche Übersee-Bundesland – noch getarnt unter spanischer Flagge – mit dem Festland verbinden, ist sowieso alles gut, die Welt ist noch in Ordnung. Für diejenigen, die dazugehören und schnell genug ein Airbnb gebucht haben.

Werte Mitbürger:innen, ich habe es wirklich versucht! Glauben Sie mir, keine Plattform blieb unbesucht, kein Kontakt unbebettelt. Jeder Posten in meinem Telefonbuch wurde mit der Bitte belästigt, mir bei der Suche nach einer zeitgeist-konformen Unterkunft im Herzen unseres Landes zu helfen. Ohne Erfolg, alles ausgebucht, alles voll. Ich war auf mich allein gestellt.

So musste ich mich also geschlagen geben. Was blieb mir auch anderes übrig? Die Welt war gegen mich. Ich ergab mich meinem Schicksal und verließ mein Land in Zeiten seiner touristischen Blüte. Ins Exil getrieben wegen unschlüssiger Reiseplanung… Nun denn, zumindest im Herzen blieb ich meiner Nation treu: Es trieb mich, wie den dichten(den) Vater der Nation, über die Alpen in die Overknee-förmige Mittelmeerrepublik. Genauer gesagt: in deren weltliches und religiös-allumfassendes Zentrum.

Wenn Dresden auch als Elbflorenz bezeichnet wird, sollte Rom als Tiberdresden in die Reiseführer dieser Welt eingehen. Auch Dresden hat: Alte Gebäude – Check. Kunst und Kultur – Check. Gutes Essen – Check. Dolce Vita – Joa. Kaputte Gebäude – Nun ja… länger her, dafür aber viele. Ein drollig-lebendiges Flüsschen inmitten der Stadt – Hier haben wir es: Eins zu Null fürs Elbflorenz. 

Dem Tiber, in den Latein-Lehrbüchern hiesiger Gymnasien als flüssige Wiege der einstigen Weltmacht glorifiziert, möchten Sie nachts nicht allein auf der Straße begegnen. Dagegen erscheint es glatt nach einer tollen Idee, mit dem Wasser der Elbe die Nahrung für Ihr Neugeborenes anzumischen. Liebe Elb:innen, Sie wissen, was das heißt!

Ausgestoßen vom eigenen Volk fand ich mich also in der Fremde wieder, musterte bereitwillig antike Kirchen (irgendwas mit Petra… oder Peter… der alte Fremdenführer in dem Glaskasten-Auto konnte mir leider auch nicht wirklich weiterhelfen), zerstörte Tempel und kaputte Säulen (wie schön die Architektur vor Franco doch gewesen sein musste) sowie riesige Indoor-Graffiti von einem nicht genauer benannten Michel Angelo (bei den unsittlichen Schmierereien sicherlich ein Künstlername, alle Wette) und vermisste doch nichts mehr als eine schöne Dose Ravioli vom Camping-Kocher in der Uckermark.

Die mich umgebende Bevölkerung jener Stadt musste mein ungeheures Heimweh gespürt haben, denn sie gab sich alle Mühe, mich heimatlich fühlen zu lassen. Der Busfahrer am Flughafen schloss geflissentlich vor meiner Nase die Tür und verdammte mich zu zwanzig weiteren Minuten der Untätigkeit. Hach, ganz wie in Essen-Steele. Am Eingang zu einem dieser verfallenen Häuschen (es war rund und wohl mal so etwas wie ein Theater oder Zirkus gewesen) bemühte sich eine Gruppe anderer Besucher:innen liebevoll, sich in der Schlange so geschickt vor mich zu schieben, wie ich es sonst nur an Berliner U-Bahnhöfen erleben durfte. Den rührendsten Moment der deutschtümelnden Mimesis muss allerdings detaillierter berichtet werden, er hat mein Herz zum Hüpfen gebracht.

Eines Abends fand ich mich samt kurz zuvor kennengelernter Begleitung in einem hier nicht genauer benannten Restaurant der Stadt wieder. Den Namen des Etablissements verschweige ich aus Gründen des Schutzes jener Einrichtung. Ich sehe kommende Rom-Besucher:innen sonst schon in Scharen dorthin stürzen, um ebenfalls einen Moment der Heimat zu verspüren und die Integrität des Moments zerstören.

Das Restaurant, in einigen hochrangigen Guides äußerst wohlwollend erwähnt, bot mehrere Optionen der Verköstigung an – unter anderem ein fünfgängiges Überraschungsmenü, ein innovatives Achtgang-Menü, aber auch einen à-la-Carte-Service. Auf der Speisekarte vermerkt: der Hinweis, dass die Menüs nur tischweise serviert würden. So weit, so üblich. Dass sowohl Küchen- als auch Servicepersonal durchdrehen, wenn jeder Gast eine andere Menüfolge wählt, ist zwar etwas unflexibel, leuchtet aber ein. Doch dann kam der aufopfernd-liebevolle Moment, in dem mir das Gefühl von Service gegeben werden sollte, wie er einzig und allein den Deutschen zu eigen ist:

Da meine Begleitung über einen eher kleinen Magen verfügte, entschied sie sich, lediglich ein Hauptgericht von der Karte zu bestellen. Ich wählte das fünfgängige Überraschungsmenü. Soweit zumindest die Theorie. 

„That is not possible“.

„I’m sorry, Sir. Why is it not possible?“ 

Trommelwirbel

„Because it’s written there.“

Badum tsss

„You mean the paragraph which says that a menu has to be served for the whole table?“

„Exactly. We cannot do this.“

„But I only want to have one menu and she would simply like to have one main dish. It’s a surprise menu, just give me the same as she chooses.“

„Sorry, Sir. that’s not possible.“

„But why?!“

„Because it’s written there.“

„Excuse me, we don’t ask for one vegan eight course menu and a non-dairy, gluten free five course menu with non-alcoholic wine pairing. I can’t see the problem of making only one surprise menu and one main dish from your à la carte menu.“

„Well, it’s written there.“

*Einige Minuten, innere Beruhigungsmantras und unterdrückte Wutausbrüche später*

„DON’T TELL ME IT HAS SOMETHING TO DO WITH THE PREPERATION! I JUST BOOKED THIS GODDAMN TABLE TWO HOURS AGO! YOU DIDNT’T EVEN HAD THE CHANCE TO PLAN WITH US! I DON’T WANT A BLOODY DOLPHIN-RAGOUT ON ICE, JUST A SIMPLE MAIN DISH AND A MENU!“

„Sorry Sir, that’s not possible.“

„I KNOW, IT’S WRITTEN THERE!!! But you know what: I will choose a main dish too and after that we leave. Is this… possible?!“

Plötzlich bekam sein Blick etwas Panisches. Mich dünkte, ich hätte kleine, brennende Dollarzeichen an seinen Netzhäuten aufblitzen sehen.

„One moment Sir, let me ask the chef if it is possible for him to make an exception for you.“

Und was soll ich sagen, natürlich war es dem Service-Mitarbeiter – unter Aufwendung größter Überzeugungskunst, dem Verkauf einer Niere und einem aufgesetzten Schenkungsvertrag über das eigene Erstgeborene – gerade so möglich, eine Ausnahme – JUST FOR YOU! – zu erwirken. 

1.000 Kilometer entfernt von der legendären Inflexibilität der Deutschen ist die Gastfreundschaft so groß, dass diese Eigenheit sogar vorgetäuscht wird. Wäre uns zu Beginn des Essens nicht erstklassiges Olivenöl wie ein Wein präsentiert worden, hätte man fast meinen können, wir säßen in einem kölschen Brauhaus.

Essen und Weinbegleitung waren dann doch weniger gastfreundlich als erwartet und doch schmerzlich italienisch eingefärbt. Nun ja, auch die besten Gastgeber sind limitiert in ihrer Aufopferung. Was ich Ihnen jedoch mit auf den Weg geben möchte: einen der besten Orange Wines, die ich bisher getrunken habe.

Der 2018er VITOVSKA vom Weingut Škerk in Venetien (Friaul) ist genau dieser außergewöhnliche Aha-Moment-Wein, den sich viele Genießer:innen herbeisehnen. Ja, er ist Orange und auch einNaturwein, wie er im Buche steht. Unbehandelt, spontan vergoren sowie ohne Filtration und zusätzliche Schwefelung abgefüllt. Was dabei rauskommt, hat allerdings nichts mit den zahlreichen miefig-muffeligen Naturals zu tun, die wir viel zu häufig ins Glas bekommen. 

Er ist klar, sowohl optisch als auch aromatisch. Keine stinkigen Sponti-Noten, dafür präzise-ätherische Mineralität, Aromen von kandierter Orangenschale und Menthol und ein Trinkfluss, wie ihn nur die wenigsten Weine seiner Art erreichen. Ein Wein zum Niederknien, und das so weit entfernt von Trollinger, Lemberger und Goldriesling!

Sie sehen: Auch die Reise in die weite Unbekannte kann seinen Reiz haben, wenn Sie auf so liebe Menschen treffen, die alles dafür tun, dass sie sich wie zu Hause fühlen. Kürzlich las ich über einige rein deutschsprachige Clubhotels in Griechenland, Tunesien und Ägypten. Dort gehe man gar so weit, ausschließlich deutsches Essen zu servieren und den Macarena in einer extra angefertigten Übersetzung aufzuführen. 

Urlaub in Deutschland? Wozu, wenn sich doch alle so eine Mühe geben!

PS: Airbnbs in Rom sind zurzeit günstiger als Ferienwohnungen an der Nordsee.

PPS: Wer nicht fliegen will, nimmt einen Zug von München aus. Ich bewundere Sie!

PPPS: Wer den Wein probiert (verfügbar in deutschen Online-Shops), schreibe mir bitte @culinanick bei Instagram.

Kommentar verfassen