Servus in die Runde!
Versprochen ist versprochen – diesen Monat wird es positiver. Und nicht nur das, es wird (Achtung, Superlativ!) am positivsten! Für die gar nicht mal so kalten Novembertage lade ich Sie zu einer Opernvorstellung in die lesBar, die unsere Herzen erwärmt. Gold, Pomp, Glanz und Gloria – zu sehen und zu hören. Musikalischer Minimalismus, der nicht als solcher wirkt. Seien Sie gespannt!
Erinnern Sie sich an Ihre letzte künstlerische Erleuchtung? So einen Moment, in dem ein Kunstwerk jedweder Art Sie dazu gebracht hat, fortan mit einem anderen Blick durch die Welt zu laufen? Ein kulturelles One-Way-Ticket ohne Chance auf Wiederkehr? Dankbar darüber, bereits mehrere dieser Art erlebt zu haben, möchte ich Sie nun an einer dieser raren Gelegenheiten teilnehmen lassen. Vielleicht springt der Funke auf Sie über.
London, März 2016. An der English National Opera hat eine Opernproduktion Premiere, die nicht nur das Publikum in Scharen begeistert, sondern inszenatorisch wie musikalisch ein Meilenstein der zeitgenössischen Musiktheatergeschichte werden könnte (Wer weiß sowas schon vorher?). Ich verfolge zunächst die Trailer, dann die Pressestimmen, schlussendlich sogar die Verleihung des Laurence Olivier Awards für „Best New Opera Production“ – dem Oscar der britischen Theaterlandschaft. Und dann: Vorstellungen abgespielt, Produktion eingekellert, das übliche Vorgehen an einem englischen Opernhaus. Ich hatte es nicht rechtzeitig nach London geschafft. Das gespannte Brodeln in mir wuchs.
London, Februar 2019. Fast drei Jahre nach der Premiere sagt mir eine Freundin, die maßgeblich am Erfolg der Produktion beteiligt ist, das schönste Wort für einen liebenden Bühnenfetischisten: Wiederaufnahme. Noch bevor sie fertig gesprochen hatte, waren Flüge und Hotel für erste Vorstellungswoche gebucht und ich fühlte mich wie Rimski-Korsakows „Hummelflug“ klingt – nur aufgeregter. Adventskalender sollten das ganze Jahr über verkauft werden, um Vorfreude erfahrbarer zu machen – mit variablen Designs und Inhalten. Ich hätte sieben davon gekauft. Endlich würde ich Philip Glass’ Akhnaten sehen!
Nun war es nicht so, dass ich mich in den drei Jahren zwischen Premiere und Wiederaufnahme komplett dem sehnsüchtigen Warten verschrieben hatte. Aton sei Dank gab es eine Radioübertragung einer Vorstellung in der BBC, die mir zugänglich gemacht wurde. In anderen Worten: Ich konnte die Oper, die die Lebensgeschichte des altägyptischen Pharaos Echnaton beleuchtet, bereits komplett mitsingen, als am 11. Februar 2019 die ersten Hieroglyphen auf der Bühnenleinwand erschienen. Dass das Libretto zu großen Teilen auf Altägyptisch, Akkadisch und Aramäisch verfasst ist, war dabei kein Hindernis.
Was dann geschah, ist die perfekte Inkarnation des Wortes ‚unbeschreiblich’. Energie, nichts als Energie, pure Energie. Es kitzelt mich in den Fingern, das Unbeschreibliche doch zu beschreiben, aber es wäre sinnlos. Worte – verzeihen Sie die Pathetik – genügen nicht im Ansatz dies zu beschreiben. Somit lasse ich es. Koitus interuptus à la Tristan. „Rette dich!“
Warum erzähle ich Ihnen das überhaupt, wenn ich dann doch zurückziehe? Ganz einfach: Sie können es endlich selbst erleben!

New York, November 2019. Mit der Metropolitan Opera (MET) hat nun das wohl einflussreichste Opernhaus unserer Zeit die Londoner Akhnaten-Produktion eingekauft. Natürlich sitze ich im Premierenpublikum und freue mich, das alles schon einmal gesehen zu haben. Von Sehen dürfte nämlich bei meinem Blick vom fünften Rang auf die Bühne nicht mehr die Rede sein. Ich erahne die Bilder, die Jonglage, die Bewegungen. Was ich jedoch dank der grandiosen Akustik des Gebäudes weiterhin wahrnehme, ist der wohl beste Opernchor der Welt, eines der herausragendsten Orchester unserer Zeit (Dirigentin, Glass-Expertin und meine liebe Freundin Karen Kamensek gibt ihr furioses MET-Debüt) und die unvergleichlichen Stimmen von Dísella Lárusdóttir, J’Nai Bridges, Zachary James und allen voran His Royal Highness dem Pharao: Anthony Roth Constanzo. Der Countertenor (problematisch verkürzt: Mann singt wie Frau) hatte bereits in London in der Hauptrolle brilliert und darf nun auch das amerikanische Publikum von den Sitzen reißen – was er auch tut.
Dass Philip Glass (*1937) in den USA eine große Fanbase hat, mag zum Teil seiner Herkunft geschuldet sein, jedoch auch an seinem charakteristischen Kompositionsstil, der trotz aller Elemente des Minimalismus hochgradig packend, emotional und atmosphärisch ist. Seine Musik war bereits in so mach einer großen Hollywood-Filmproduktion zu hören, erstrahlt jedoch in den Konzertsälen und Opernhäusern dieser Welt zu wahrer Größe. Fragt man mich nach meinem Lieblingskomponisten, kann ich mich zwischen Wagner und Glass nicht entscheiden. Statement.
Das allerbeste, was uns die MET-Umsetzung von Phelim McDermotts Jahrhundertproduktion beschert, ist deren HD-Liveübertragung in hunderte Kinos weltweit. Wo einmal ein so aufwändiges Projekt realisiert wurde, verstaubt es nie lange im Rollenarchiv. Und siehe da:
New York, 2021. Die Metropolitan Opera bringt neben McDermotts genialer Satyagraha-Inszenierung (ebenfalls eine Oper von Philip Glass) auch Akhnaten auf DVD heraus! Inzwischen ist diese in zahlreichen deutschen Onlineshops (und beim Operndealer Ihres Vertrauens) erhältlich. Sie können es – Sie müssen es selbst erleben! Hier nur ein kleiner Teaser, damit Sie es mir auch glauben. Wo das herkommt, gibt es noch viel mehr davon:
Für meine audiophilen Leser:innen: Ein Live-Album der New Yorker Produktion ist auf den gängigen Streaming-Anbietern verfügbar und steuert mit sicherem Ruder auf eine Grammy-Nominierung zu. Fingers crossed.
Den Genuss dieser Oper vinophil zu begleiten, ist nicht allzu leicht. Kommt sie doch mit sehr viel Intensität, Glanz und Energie daher, braucht es einen außergewöhnlichen Wein im Glas. Ich habe diesen (mithilfe eines der Produktion nahestehenden Genießers – Danke!) im 2013er Clos Saint Urbain – Rangen de Thann Gewürztraminer der Domaine Zind-Humbrecht aus dem Elsass gefunden. Dieser edelsüße Wein besitzt eine Strahlkraft, wie sie nur aus dieser Region des europäischen Weinbaus stammen kann. Dichte Aromenstruktur, hochgradig elegant-aromatische Noten von Honig, Nuss und reifen Aprikosen sowie eine immer noch animierende Säure geben diesem gereiften Gewürztraminer die Kraft, das Bühnengeschehen gebührend zu begleiten – nein, zu illustrieren. Seien Sie gewahr: Alles was Sie sehen, finden Sie in diesem Wein wieder. Pomp und Gloria, Dramatik und Tragik, Sehnsucht, ausgelassene Freude und Liebe. Diese Tiefgründigkeit müssen Sie selbst erleben.
Ich wünsche Ihnen einen großen Kunstgenuss, ein meditativ-atmosphärisches Entschwebtsein und eine künstlerische Erleuchtung wie sie mir beschert war. Mit etwas Glück schaffen Sie es auch einmal ins Publikum dieser Opernproduktion. Die MET bringt sie im Mai zur Wiederaufführung. Vielleicht klappt es ja. Zur Not auch im fünften Rang. Die Energie wird Sie erreichen!
Ende der ultimativen Lobhudelei.
Ihr
Nick Pulina
PS: Stellen Sie sich Akhnaten in der Krönungsszene bitte nackt vor. So ist es gedacht und in London auch umgesetzt worden. Diese Amis…
PPS: Freud und Leid liegen oft so nah beieinander. War Ihnen das zu positiv? Lesen Sie die Oktober-Kolumne und Sie werden befriedigt.
PPPS: Was war Ihre letzte künstlerische Erleuchtung? Lassen Sie es mich wissen unter @culinanick oder in der Kommentarspalte.
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