Ein hipper Glühweinstand, ein vermeintlicher Grinch, eine tiefe Weihnachtsliebe, ein Kessel Verpanschtes, ein höherer Genuss bei niedrigerem Einsatz, ein zelebratives Ritual, eine Plätzchenmanufaktur, eine perfekte Back-Unterhaltung, ein Trupp mordender Weihnachtsmänner, ein verschneites Internat, ein verarmter Lord und jede Menge Hörspielspaß. Willkommen zur Weihnachtsfeier in der lesBar!
von NICK PULINA
„Glühwein? Nicht bei uns. Wir haben Schneepunsch, Pumpkin Spaced (!) Latte, Hot Aperol, Solero-Winterpunsch, Hot Toddy und Eggnog.“
Servus in die Runde,
was klingt wie eine zynische Gegenwartsbetrachtung eines altersreaktionären Schriftstellers, ist Realität. Man fragt mich, wie es denn möglich sei, Weihnachtsmärkte abzulehnen. Man meint schon, einen weihnachtsverneinenden Grinch enttarnt zu haben. Fehlanzeige! Ich liebe die Vorweihnachtszeit, backe Plätzchen, schmücke meinen künstlichen Weihnachtsbaum und genieße sogar das überstürzte und heillos anstrengende Weihnachtsshopping. Die einzige Ausnahme: Weihnachtsmärkte.
Das hat einen ganz einfachen Grund. Für das Geld, das ich den Glühweinstandbetreibenden in ihre stets muckelig warm beschalten Hälse werfen soll, kann ich mir zu Hause Flaschenweise höheren Genuss bescheren!
Ich weiß, für das Geld, das ich in einem Restaurant zahle, könnte ich viermal selbst kochen, Opern gibt’s für wenig Geld auf Spotify und Netflix ist auch günstiger als Kino. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gebe gern Geld aus, um daraus einen kulturellen oder gastronomischen Mehrwert zu ziehen, zur Not auch in autodestruktiven Mengen. Der Glühweinstand befindet sich jedoch außerhalb dieses Kosmos’, denn der einzige Genuss, den er der Menschheit zu bescheren vermag, besteht aus überwürztem, zu Tode gezuckerten Traubensaftgelumpe, das Sie ohne die zugesetzten Aromen nicht einmal Ihrer Oma einschenken würden!
Genug des Rants. Das Ganze hat bei genauerer Betrachtung ohnehin nur Vorteile. Sie können sich vom Weingut Ihres Vertrauens einen wirklich guten Rebensaft kommen lassen, der sich als Basis für einen Glühwein eignet, Zucker und Gewürze nach Ihrem Gusto zufügen und sich der Qualität des Glühpunsches sicher sein. Nehmen Sie einfach ihren Lieblingswein für unter 10€, gern auch in der Literflasche, und passen Sie die Zuckermenge an die Restsüße des Weins an. Fertig – das perfekte Getränk zum Plätzchenbacken!
Besonders in dieser ritualisierten Form der Gebäckproduktion steckt das wahre Potential der Weihnachtszeit. Suchen Sie sich Rezepte aus, auf die Sie selbst Lust haben, bereiten Sie sich einen schönen Glühwein dazu und geben Sie sich der festlich werdenden Stimmung hin.
Damit Ihnen bei Mehlflecken auf dem Pullover und von Ei verklebten Händen nicht die Jollyness vergeht, möchte ich Ihnen drei Hörspiele empfehlen, die Sie beim Backen hören können. Wenn Sie beim Wort ‚Hörspiel‘ an Benjamin Blümchen, Die drei ??? und Bibi Blocksberg denken und sich fragen, warum Sie sich diesem doch eher infantil geprägten Genre hingeben sollten, sei gesagt: weil es Spaß macht! Doch um diese Klassiker soll es hier nicht gehen, da setze ich weitreichende Kenntnis voraus.
Dass Hörspiele ausschließlich was für diejenigen seien, die das Backen durch ihre Finger in der Teigschüssel unterstützen, ist ein Klischee, das wohl seine Berechtigung hat. Zu sehr verbinden wir Benjamin-Bibi, Justus-Peter-Bob, Tim-Karl-Klöschen-Gaby etc. mit unserer Kindheit. Doch das ist längst nicht alles!
Kai Magnus Sting: Tod unter Lametta
Kabarettist Sting (nicht verwandt oder verschwägert) hat sein komisches Œuvre bereits in Vergangenheit mit einer herrlich witzigen Hörspielserie um einen alternden Kriminalkommissar erweitert. Dort gab es Tote im Kurhaus, in der Metzgerei, im Nachbargarten etc.
Das Dreamteam um Hauptkommissar Alfons Friedrichsberg, einen gemütlichen Genussmenschen, der sich bei voller mentaler Involvierung jedoch niemals hetzen lässt, und seine Kollegen Straten und Dahl muss auch in der ach so harmonischen Weihnachtszeit einen grausam-skurrilen Mordfall lösen: Eine Bande Weihnachtsmänner treibt ihr Unwesen und tötet auf bestialische wie festliche Weise Menschen. Hier wird jemand von einer Lichterkette erdrosselt, dort erliegt jemand dem vergifteten Festbraten. In welchem Zusammenhang die Toten jedoch stehen, ist unklar – Friedrichsberg und Co. müssen bis ans äußerste gehen und sogar in Santa-Kostüme schlüpfen, um Weihnachten und so manch ein Leben zu retten.
Mit von der sprechenden Partie sind niemand geringere als Sting selbst, der Hörspiel-Nerd Bastian Pastewka, Sprechkünstlerin Annette Frier und die Stimme, die jedes Hörerlebnis zu einem o(h)rgiastischen Höhenflug werden lässt: Jochen Malmsheimer.
Es ist heiter, es ist böse, es ist spannend und es ist vor allem eines: todeskomisch! Wer sich den Spaß etwas länger erhalten will, findet in der Aufteilung in 24 Tracks ein perfektes Adventskalender-Substitut. Sollten Sie diesen Weg wählen, haben Sie meinen tiefsten Respekt – diese Disziplin hätte ich nicht!
Thomas Plum: Blaues Herz
„Mein Name ist Berg, Hans Berg.“ Auch diese alternde Kriminalkommissar, der gehofft hatte, seine bond’eske Vorstellungsfloskel so schnell nicht wieder an einem Tatort sagen zu müssen, kommt in eine winterliche Bredouille. Er, der er sich doch eigentlich einen entspannten Ruhestand fernab von Mord, Totschlag und Aktenbergen gönnen wollte, wird auf einer Autofahrt von einer Lawine überrascht und flieht sich in ein nahegelegenes Mädcheninternat. Hier möchte er eigentlich nur eine entspannte und vor allem kurze Zeit verleben, um schnellstmöglich seine Reise fortsetzen zu können. Natürlich wird ihm diese Hoffnung verwehrt. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Spätestens als dann eine Leiche auftaucht, weiß Berg, dass er dieses Internat nicht so einfach hinter sich lassen kann.
Besetzt mit Ekkehard Belle, einst Darsteller, nun zurecht gefeierter Synchronschauspieler, gibt seinen bravourösen Hörspiel-Einstand als Kommissar, der doch eigentlich nur seine Ruhe haben will. Annegret von Garmisch, gestrenge Leiterin des Internats, äußerst zweifelhafte Hunde-Mama und Top-Antagonistin wird von Henrike Tönnes be-stimmt. Sie schafft es, dass die Zuhörer:innen sie nicht, aber auch absolut gar nicht mögen und trotzdem gebannt an ihren Lippen hängen.
Die weiteren Rollen werden von Saskia Haisch, Angelika Osusko, Pia-Rhona Saxe, Nina-Carissima Schönrock, Sara Wegner und Volkram Zschiesche zum Leben erweckt.
Das Setting, Reminiszenz an einen Agatha-Christie-Whodunit, birgt großes narratives Potential, das Plum bereits im ersten Teil der Serie sehr gut einzusetzen und auszuschöpfen weiß. Die Charaktere sind unterhaltsam, liebevoll überzogen und allesamt hervorragend vertont. Spannung und Witz geben sich die Klinke in die Hand und machen dieses Hörspiel zu einem kurzweiligen Genuss beim Kekse Ausstechen. Es bleibt zu hoffen, dass Teil Zwei nicht erst zum nächsten Fest erscheint!
Tommy Krappweis: Lord Schmetterhemd
Da in einer Liste von empfehlenswerten Hörspielen ein Kinder-Jugend-Titel genau so wenig fehlen darf wie der Name Tommy Krappweis, muss eine Empfehlung zweifelsfrei auftauchen: seine Neubearbeitung des Kinderbuchklassikers Lord Schmetterhemd von Max Kruse. Dieser Titel mag manch einem Kind der 80er und 90er aufgrund der gleichnamigen Adaption durch die Augsburger Puppenkiste ein Begriff sein. Da ich die Marionettenversion abgöttisch liebe, war es natürlich Ehrensache, dass Krappweis’ neue Hörpsielserie sofort am Erscheinungstag aufzusaugen war. Ich wurde nicht enttäuscht.
Der verarmte Lord Mac Shnatterman, der sich nichts sehnlicher wünscht, als einmal eine Fotoreise ins ferne Amerika anzutreten, sieht sich aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse gezwungen, das heruntergekommene Familienschloss Bloodywood Castle zu verkaufen. Doch Mac hat die Rechnung ohne seine Vorfahren gemacht. Diese, in keinster Weise von der Idee begeistert, den Stammsitz zu veräußern, suchen Mac heim und helfen ihm im Kampf um sein Schloss. Dass sie allerdings in Gestalt einer Truthenne, eines Bernhardiners und eines Kaninchens auftauchen, macht die ganze Sache doch etwas skurril.
Die Frage, ob Mac und seine Verwandten es schaffen, Bloodywood Castle im Familienbesitz zu halten und vielleicht sogar den Traum der Amerikareise in Erfüllung gehen lassen können, wird einige ausgedehnte Back-Sessions gebührend begleiten können.
Die hochkarätige Sprecherbesetzung um Stefan Günther, Colmirror, Oliver Kalkofe und Bastian Pastewka wird ergänzt von Krappweis’ genialer Regie. Man sitzt gemeinsam mit Mac im zerfallenen Gemäuer, hat den Geschmack von billigem Port auf der Zunge (definitiv keine Empfehlung!) und fühlt sich schlichtweg eingezogen von dieser Geschichte. Ausnahmslos alle Figuren sind spielerisch ausgestaltet und jede für sich gefüllt mit schier unendlichem komödiantischen Potential.
Bisher sind drei Teile der Serie erschienen und machen unbändige Lust auf mehr. Dafür können Sie den Ofen zur Not auch nochmal zu Ostern anschmeißen und weiter backen.
Ich hoffe, Ihnen die Herstellung der süßen Sünden etwas… versüßt zu haben und wünsche ein schönes Weihnachtsfest, möglichst wenig Stress und viel guten Glühwein.
Cheers, Ihr
Nick Pulina
PS: Wenn Sie über den Hörspielen in einen regelrechten Back-Wahn verfallen, verteilen Sie die Plätzchen doch einfach im Haus und verteilen Freude. Nur nicht vorher drauf husten!
PPS: Sollen Sie frappante Wissenslücken in Sachen Kinderhörspiele haben, melden Sie sich bei mir, ich gebe Nachhilfe.
PPPS: Haben Sie ein einzigartig gutes Plätzchenrezept, das Sie mit mir teilen möchten? Dann schreiben Sie mir @culinanick bei Instagram. Ich freue mich!
Fotos: Unsplash
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