Wagnersound mal anders – die Deutsche Oper am Rhein traut sich, die Partitur des ‚Meisters’ anzurühren und schafft dabei pandemiebedingt ein Opernwerk, wie es so noch nie zu erleben war. Tristan ist psychologisch, beziehungsgetrieben und gänzlich unerhört. Das Experiment glückt auf ganzer Notenlinie!
von NICK PULINA
Das Orchester ist Akteur, ist gleichberechtigt, ist Beziehungsmedium. Im Gegensatz zu anderen Komponisten seiner Zeit kommt bei Richard Wagners Musikdramen nicht nur Illustration des Bühnengeschehens aus dem Graben, sondern ein tragender Faktor der Handlungsentwicklung. Seine Orchester sind beinahe religiös verehrte Korpora, die Partituren die Heilige Schrift vieler Wagnerianer:innen.
Für die Deutsche Oper am Rhein wagt sich nun Eberhard Kloke an eine Bearbeitung des Tristan. Der Covid-19-Pandemie geschuldet war es Axel Kober, Generalmusikdirektor des Hauses, nicht möglich, eine normale Produktion in den Graben zu bringen. Zu groß ist das Orchester, zu beengt der Raum. Auf die Produktion zu verzichten war allerdings auch keine Option. Die Lösung: Das Orchester wird aufgebrochen und im Opernraum verteilt. Klokes Bearbeitung sieht mehrere Bühnenorchester vor, Musiker:innen im Zuschauerraum und eine Gruppe im Orchestergraben. Kurz nach Wiedereröffnung des Hauses wurde pro Abend lediglich ein Akt des Stückes im Düsseldorfer Opernhaus gezeigt – fünf Stunden inkl. zwei Pausen hätten dem Hygienekonzept widersprochen. Nun ist Klokes Bearbeitung erstmals im Theater Duisburg in Gänze zu erleben gewesen.
Unter der szenischen Leitung von Dorian Dreher bietet sich ein optisches wie musikalisches Spektakel. Axel Kober entlockt seinem Orchester – oder besser seinen Orchestern – unerhörte Wagner-Klänge. Mit einem ‚klassischen‘ Tristan-Sound hat das hier wenig zu tun. Es braucht einen Moment des Eingewöhnens, doch schon bald zeigt sich die massive Stärke dieser Inszenierungsstrategie: Vorher nur Gehörtes wird plötzlich sichtbar. Wo das Orchester bereits zuvor auditiv Klarheit ins Beziehungsgeflecht gegeben, Vorausdeutungen oder Rückblenden erbracht hat, wird all dies nun auch visuell wahrnehmbar.
Am deutlichsten erkennbar ist diese Sichtbarmachung wohl anhand des Englischhorns. Die Solistin ist mehrfach allein mit dem Protagonisten auf der Bühne zu sehen. Das Englischhorn spielt in Wagners Partitur eine große Rolle hinsichtlich der Vorgeschichte Tristans und seiner psychologischen Entwicklung. Dieser Umstand wird hier niemandem mehr entgehen.
Wenngleich die Düsseldorfer Post-Covid-Produktion durch Linda Watson und Michael Weinius ein Bühnenpaar von Weltruhm zu bieten hatte, steht die Duisburger Besetzung dem in nur wenigem nach. Alexandra Petersamer brilliert als Isolde, legt einen Ausdruck in Spiel und Stimme, wie er in dieser passenden (!) Leichtigkeit selten zu spüren ist. Ihr Liebestod ist von hoher Qualität, obwohl die Orchester leider gerade in dieser emotionalsten aller Opernstellen etwas an Kraft vermissen lassen.
Ein Problem, das Daniel Franks Tristan ebenfalls hat – jedoch keineswegs stimmlich. Einen hochgradig zerrissenen Mann sehen wir dort, hin und hergerissen zwischen Liebe und Königstreue. Grandios gesungen wie gespielt.
Eine der wohl traurigsten Figuren der Operngeschichte darf nicht vernachlässigt sein: König Marke. Verkörpert und intoniert vom weltweit zu Recht gefeierten Kammersänger Hans-Peter König, der allein durch seinen Auftritt eine Energie freisetzt, die so nur selten zu spüren ist. Dass Düsseldorf/Duisburg diesen Ausnahme-Sänger nach wie vor Teil ihres Ensembles nennen darf, ist großes Glück für all diejenigen, die in diesen Genuss kommen können.
Kloke, Kober und Dreher beweisen, dass Aktualisierung nicht nur im Bereich des Bühnengeschehens sinnvoll ist, sondern auch die musikalische Ebene bereichern kann – und das sogar beim „Meister“ Richard Wagner. Was aus der Not geboren wurde, könnte federführendes Moment einer modernisierten Opernbewegung werden. Bleiben wir gespannt.
Richard Wagner: Tristan und Isolde
Deutsche Oper am Rhein
Heinrich-Heine-Allee 16a
40213 Düsseldorf
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