Die Weihnachtszeit ist voll von überlieferten Geschichten über nicht reale Wesen und Dinge, an die man glauben muss – zumindest in der Kindheit. Es beginnt mit dem Christkind oder dem Nikolaus, die die Geschenke bringen, eine Zeit der fantastischen Welten und diffusen Schattenräume. Die britische Autorin Hilary Mantel schreibt in ihrer Autobiografie Von Geist und Geistern über diese verschwimmende Grenze zwischen Realität und dem nicht rational fassbaren Rand der Geisterwelt.
von LISA THEISSEN
Mantel hat als einzige Frau bisher schon zwei Mal den Booker Preis verliehen bekommen. Sie ist eine Schriftstellerin, Kritikerin und Juristin, die historische Romane schreibt, wie die erfolgreiche Tudor-Trilogie um Thomas Cromwell. In ihrem Buch Von Geist und Geistern erfährt man, wie nah beieinander Realität und Fiktion liegen können. Sie setzt in Erinnerungsfetzen nach und nach das Mosaik ihres Lebens zusammen. Wir erfahren viel über ihre Kindheit in einfachsten Verhältnissen und der Erziehung im katholischen Glauben. Mantel wächst, am 6. Juli 1952 in Glossop, Derbyshire geboren, in einer großen irisch-katholischen Familie auf und lebt davon sechs Jahre bei ihrer Großmutter. Ihr Leben wird geprägt von den Themen Tod und Leben, die sich immer wieder in den ihr erscheinenden Geistern manifestieren. „Ich nehme den Tod ernst und sehe seine Nähe, das habe ich immer getan“. Man erfährt viel über ihre schwere Erkrankung an Endometriose und über die schrecklich schmerzhafte Odyssee, die diese Frau durch die noch nicht ausgereifte medizinische Forschung miterleben muss. Erlebnisse, die sie physisch und psychisch stark prägen. Die Literatur bietet ihr die nötige Zuflucht und die Zwischenwelt die notwendigen Erklärungen für das Unheimliche und das Unfassbare. Es wird in kleinen Episoden und kurzen Aufnahmen nur die Andeutung der Intensität ihres Lebens und der Schmerzen deutlich, die sie ertragen muss. Mantel wählt für ihre eigene Geschichte eine assoziative Erzählweise mit einem hohen Grad an Literarizität.
„Über Jahre hinweg wird mich das Wort ‚Marzipan‘ mit einem tödlichen Fauchen erfüllen, dem Summen seiner Silben, einem Grabessprudeln.“
Die Welt der Literatur, der Geschichten und das Schreiben helfen Mantel durch ihr vom Schicksal geprägtes Leben. Sie möchte kein Mitleid erregen, sondern mit ihrem Schreiben die Geschichte ihrer Kindheit und ihrer Kinderlosigkeit in den Griff bekommen. Es ist ein unruhiges Buch, das einen aufwühlt. Es ist düster. Es spielt in einer Zwischenwelt der Geister. Geister, die wahrscheinlich jedem in seinem Leben begegnen und mit denen man kämpfen muss. Aber man lernt nur über Grenzerfahrungen etwas über das Leben. Und die Erinnerungen Mantels eignen sich hervorragend für solch eine Innenschau.
Hilary Mantel: Von Geist und Geistern. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
DuMont Buchverlag, 239 Seiten
Preis: 10,99 Euro (Taschenbuch)
ISBN: 978-3832163723