In der lesBar mit Steven Spielberg, Joel Coen und Dorothee Zilliken

Kolumne lesBar Macbeth West Side Story Zilliken

Ein britischer Poet, eine zweiaktige Polemik, eine musikalische Bühnenhandlung, eine Grundsatzdebatte, ein Adaptionsproblem, eine Publikumsfrage, ein Plot-Hole, ein schwarz-weißes Gegenbeispiel, eine verfilmte Abstraktion, ein versöhnender Süßwein, ein Traditionsbetrieb der Mosel, eine Winzerin von Weltruhm. Willkommen zum Filmeabend in der lesBar!

von NICK PULINA

Servus in die Runde,

was denken Sie über Shakespeare? Großartiges Genie? Überrepräsentierter Goethe Großbritanniens? Überbewertet oder gar unterschätzt?

Wie auch immer Sie diese rhetorische Frage für sich beantwortet haben, müssen Sie doch eines zugeben: Kein zweiter Bühnenautor der Post-Antike prägt unsere medialen Narrative bis heute so sehr wie der Herr aus Stratford-upon-Avon. Sei es das scheinbar zeitlose Motiv einer institutionell verbotenen Liebe, von Intrigen triefende Machtspiele um den Thron oder auch nur die Sprachästhetik, die Generationen von Schüler:innen unwiederbringlich verschreckt oder verzückt hat. 

Shakespeare ist nach wie vor omnipräsent. In der populären Literatur (#twilight), in der populären Musik (#woodsofbirnam), im populären Design (#hipsterjutebeutel). Besonders aus dem wohl populärsten Massenmedium unserer Zeit, dem bewegten Bild, ist der Einfluss des bissigen Briten nicht mehr wegzudenken. Gerade erst liefen in den deutschen Lichtspielhäusern zwei Filme an, die nicht nur direkt von dessen Werk inspiriert sind, sondern einen groß angelegten Diskurs über die Verfilmbarkeit von Bühnenwerken ermöglichen. Es folgt eine Polemik in zwei Akten mit versöhnendem Epilog.

Akt 1. „Steven Spielbergs West Side Story. Oder: How not to do it.“

Erinnern Sie sich an die Debatte zwischen dem amerikanisch und dem französisch geprägten Filmverständnis? Das eine will ein naturalistisches Abbild der Realität schaffen, in dem sich die Zuschauenden verlieren können, das andere intellektuelle Beschäftigung mit dem Stoff erzeugen. Beide Strömungen haben ihre Berechtigung, ihre Chancen und Grenzen. Problematisch wird es dort, wo sich eine der beiden selbst ad absurdum führt. Dies geschieht vornehmlich dann, wenn ein Stoff adaptiert wird, ohne ihn auf Realitäts- oder Reflexionstauglichkeit zu überprüfen. 

Ein Theaterstoff, dessen Handlung innerhalb von knapp 24 erzählten Stunden sämtliche Abgründe des Menschseins zutage fördert und auch an der großen Emotion nicht spart, bietet viel Potential zum medienwirksamen Scheitern. Danken wir Herrn Spielberg dafür, dass er uns gleich mit seiner allerersten Musicalverfilmung einen Präzedenzfall liefert. Sollten Sie jemals in die Bredouille kommen, ein (musik)dramatisches Werk verfilmen zu müssen: Machen Sie es irgendwie, aber um Apollons Willen nicht so!

Was unterscheidet ein Theaterpublikum und ein Filmpublikum? Die Gnade gegenüber vermeintlichen Plot-Holes. Auf einer Bühne können die absurdesten Verhaltensweisen unserer Spezies präsentiert werden. Solange diese von genügend Pathos, Verfremdung oder einer groß angelegten Jahrhundertballade begleitet werden, sind wir bereit zu schlucken. 

Wie erklären Sie sich sonst den Erfolg der Oper? Frau verliebt sich in unbekannten Geisterschiffer und springt todessehnsüchtig in ihr Verderben? Schütze mit Kastrationsangst gießt Zauberkugeln und erschießt temporär die holde Angebetete? Sklavenfrau und Soldatenführers Liebe endet lebendig eingemauert im Tal der Könige? Aus putzig beim Lesen wird ergreifend beim Erleben – auf der Bühne, nicht auf der Leinwand!

Kolumne West Side Story Bernstein Spielberg Pulina
Foto: Walt Disney Company

Einem Filmpublikum fallen Inkohärenzen im Plot auf – da sie den fetischisierten Naturalismus unterwandern. Schauen wir uns die West Side Story auch nur ein bisschen genauer an, drängt sich ein Gedanke auf: Was ein verkitschter Irrsinn! Auf der Bühne ist es kein Problem, dass sich Frau A an einem Abend so unsterblich in Herrn B verliebt, dass sie ihm sogar den Mord am geliebten Bruder verzeiht. Selbst wenn zwischen Liebesbekundung und Dolchstoß nicht einmal ein Tag verstreicht, bietet das Theater ausreichend Verfremdungs-Relief. „Shit happens, der war eh todgeweiht, lass uns doch nach Kansas fliehen.“ Ergreifendes Duett, ein paar packende Tanzeinlagen, vielleicht ein abstrakter Bühnenbau, läuft. Aber nicht im Kino.

Der Voyeurismus Hollywoods verbietet einer Größe wie Spielberg den experimentellen Umgang mit seinem Medium. Geschenkt, wir haben nichts Anderes erwartet. Und dennoch wird das Kinopublikum hier unterschätzt: Tanz und Gesang transportieren im Film nicht einmal ansatzweise denselben V-Effekt (kein Tag ohne Brecht!) wie auf der Bühne.

Die typenhaften Charaktere liefern kaum Potential zum emotionalen Andocken. Lediglich Ariana DeBose verleiht ihrer Anita eine menschliche Anmutung. Rachel Zegler und Ansel Elgort sind hübsch anzusehen und zumindest im Fall der ersten nett anzuhören, dringen jedoch nicht tief genug in die menschlichen Tiefen ihrer Rollen vor. Nicht einmal die Psychologisierung im Stil der shakespeareschen Vorlage will so recht gelingen. Alles ist gekünstelt, alles hat den faden Beigeschmack logischer Inkohärenz. Da hilft auch die grandiose (!!!) musikalische Einspielung durch Gustavo Dudamel und das New York Philharmonic Orchestra nicht viel. 

Sie wollen Shakespeare verfilmen? Tipp am Rande: Tun Sie es. Verfilmen Sie Shakespeare und adaptieren Sie nicht eine Adaption, sondern machen Sie es so:

Akt 2. „Joel Coens „Macbeth“. Oder: How to do it.

Zugegeben, Herr Coen hat es insofern leichter, als dass in seiner Verfilmung eines Shakespeare-Stoffes niemand singen muss. Andererseits sind es vielleicht gerade Tanz und Gesang, die West Side Story vor der absoluten Unglaubwürdigkeit bewahren konnten.

Das Geheimrezept: Man nehme eine bühnendramatische Handlung, verfilme sie (Trommelwirbel) im Stil einer bühnendramatischen Handlung! So schlicht und doch so wirksam.

Coen hat keinen überzogenen Realitätsanspruch, denn er versteht: Einen irren König mit einer noch viel irreren Frau und einer irrsten Hexe, die irgendwie gleich drei Hexen ist, lässt sich nur schwerlich in ein Berieselungsformat überführen. Stattdessen liefert er uns Abstraktion, Abstraktion, Abstraktion.

Die Verfilmung des „Scottish play“ kommt komplett schwarz-weiß daher und spielt in Räumen, die kaum als solche in Erscheinung treten. Die Szenerie ist schemenhaft, anorganisch und von bedrohlich statischer Architektur. Licht und Schatten sind raumbildend in ihrer postmodernen Chiaroscuro-Anmutung. Organische Formen sind rar gesät und stechen beinahe noch bedrohlicher aus ihrer symmetrischen Kunstwelt heraus. Hier trifft die Theaterarbeit eines Robert Wilson auf Mittel des expressionistischen Films und die Gemälde M. C. Eschers.

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Foto: Apple+

Das filmische Medium weiß, wo seine Stärken gegenüber dem Theater liegen und nutzt diese voll aus. Wir erleben eine hochgradig packende Psychologisierung der Figuren, die eigens für diese  Art der Umsetzung erdacht zu sein scheint. Close-Ups ermöglichen intime Blicke auf die Handlungsträger und pointiert eingesetzte CGI-Elemente lösen den Film bewusst vom anhaftenden Ruf des Naturalismus.

Positiver Nebeneffekt dieses theatral angelegten Werks: Die Diversität der Bühne schlägt den normativen Realitätsdrang. In Sachen Repräsentation ist vor allem die europäische Opernbühne ein (nicht intendierter?) Vorreiter: Es ist wurscht, ob die 17-jährige Isolde von einer fülligen Dame in ihren Siebzigern gesungen wird. Es ist wurscht, dass der Herzog von Mantua durch seine Besetzung eher koreanisch als italienisch aussieht. Es ist wurscht, ob Desdemona weiß, schwarz oder welcher Hautfarbe auch immer ist. Daran möge sich der Film eine Scheibe abschneiden – Macbeth tut dies.

Epilog: Der Wein zum Versöhnen

Frönen wir zum Abschluss der Zusammenkunft im Rebensaft. Was gibt es verbindenderes als einen gemeinsamen Genuss oder gar einen gemeinsamen Rausch? Diesen liefert kein Wein besser als der Riesling Kabinett Saarburger Rausch vom Weingut Geltz-Zilliken an der Saar.

Der fruchtsüße Weißwein kommt angenehm leicht ins Glas und liefert den versprochenen Rausch nicht etwa durch überzogene Alkoholwerte (er hat gerade einmal 8,0% Vol.), sondern durch seine eindringliche Aromatik. Getragen von eleganter Restsüße ist dieser Wein ein zugänglicher Genuss für Genießer:innen jedweder Koleur. Hier werden sowohl überzeugte „Lieblich“-Trinker:innen als auch Freunde großer Rieslinge abgeholt. Der Zucker ist präsent, aber weit weg von Klebrigkeit oder opulenter Fülle. Dieser Wein sättigt nicht, er macht Lust auf immer mehr. Rechnen Sie bei einem durchschnittlichen Treffen mit Freunden großzügig mit einer Flasche pro Person.

Weingut Geltz-Zilliken Zilliken Saarburger Rausch Riesling Kabinett

Das Weingut Geltz-Zilliken ist einer der Traditionsbetriebe des Weinbaugebiets Mosel (ehemals Mosel-Saar-Ruwer) und Lieferant der schönsten Süßweine der Republik. Winzerin Dorothee Zilliken führt die Tradition des Guts, das bereits seit über 270 Jahren im Besitz ihrer Familie ist, mit hoher Fachkenntnis und Bewusstsein für Terroir und Boden fort.

Die Rieslinge der Familie sind von einer Filigranität und Eleganz, wie sie selbst an der Mosel nur den Wenigsten gelingen. Die frucht- und edelsüßen Weine liefern zeitlosen Genuss, der Generationen überdauern kann. Die Lagerfähigkeit dieser Weine ist endlos und dennoch sind sie in jedem Stadium ihrer Reife ein Hochgenuss.

Ich gebe Ihnen zu unserer kleinen Shakespeare-Filmdebatte einen blutjungen fruchtsüßen Riesling Kabinett ins Glas. Mit lebendiger und künstlerisch eingebundener Säure liefert dieser Kabi ein exotisch-fruchtiges Aromenspiel mit tonnenweise reifer Aprikose, Mango, und Zitrus, bleibt jedoch durch Anklänge von schwarzer Johannisbeere und einer angenehm ätherischen Kräuternote vielschichtig und spannend. Wie gesagt: Ein Wein mit der Kraft, Genießer:innen zu vereinen. 

Wie weit man sich auch in Geschmack, Anspruch und Wissensstand unterscheiden mag, Zilliken versteht es, die Überwindung von Grenzen in schlanke, grüne Glasflaschen zu füllen.

Cheers! 

Ihr
Nick Pulina

PS: Leonard Bernstein verdient mehr Aufmerksamkeit. Hören Sie unbedingt einmal etwas anderes als die WSS. Meine Empfehlung: Candide und Mass.

PPS: Wenn Kathryn Hunter keine Oscar-Nominierung für ihre Verkörperung der Macbeth-Hexen bekommt, ist die diesjährige Verleihung zu boykottieren!

PPPS: Sie fanden West Side Story gut und meinen, ich sei zu hart mit ihr ins Gericht gegangen? Schreiben Sie mir @culinanick bei Instagram.

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