„Am Anfang war das Feuer. Und am Ende bin ich wieder schuld.“

Das Spiel beginnt in Tonis Haus. Rufus hat schon mal den Koffer für seinen nächsten Fluchtversuch gepackt.
– Screenshot: Daedalic Entertainment.

Eine Welt, die nur aus Schrott besteht – heute gar nicht mehr so unvorstellbar und spätestens seit dem Erfolg des oscarprämierten Animationsfilms WALL·E im Jahr 2009 auch kein völlig neuer Topos in Literatur und Medien. Deponia aus dem Hause Daedalic Entertainment führt uns vor Augen, wie es sich als Mensch auf einem Müllhaldenplaneten leben lässt. Gar nicht, würde Protagonist Rufus sagen, der nur ein Ziel hat: Abhauen! In dem bunten und liebevoll handgezeichneten Point-and-Click-Adventure begleiten wir den kreativen, aber wenig ehrlichen und tugendhaften Helden auf seiner Reise.

von REEMDA HAHN

Der Begriff des Helden leitet sich vom griechischen hḗrōs ab, was so viel bedeutet wie Tapferer oder auch Halbgott. Schon in der Antike und dem Mittelalter sind Helden wichtiger Teil der Literatur und bis heute dominieren sie die Medienwelt, man denke an Superheldenblockbuster im Kino oder eben auch an Videospiele. Ein Held ist mutig, selbstlos und stets hilfsbereit – und all das ist Rufus nicht. Er lebt in Kuvaq auf dem Schrottplaneten Deponia, ist Hobbyerfinder und abgesehen davon ziemlich faul. Dazu besitzt er aber auch eine ordentliche Portion Selbstüberschätzung, was ihn immer wieder in verzwickte Situationen bringt. Schnell wird klar, dass er im Dorf nicht besonders beliebt ist. Fast alle Charaktere können von Geschichten erzählen, in denen Rufus ihre Besitztümer in Brand gesteckt oder in die Luft gejagt hat. Rufus dagegen ist als Egoist par excellence davon überzeugt, dass er mit seiner Intelligenz und seinem unglaublich guten Aussehen gar nicht in dieses Schrottdorf gehört – sondern nach Elysium, dem Zufluchtsort aller Reichen und Schönen. Als ihm dann auf einer seiner Fluchtversuche eine Elysianerin vor die Füße fällt, begibt er sich mit ihr auf ein Abenteuer durch Brandwüsten, verseuchte Gewässer und verlassene Bahnhöfe. Dabei bedient Deponia durchaus gewohnte Topoi der Literatur und auch der Videospielszene: Rufus betrachtet sich selbst als Held, der die hilflose (weil bewusstlose) Elysianierin Goal rettet. Allerdings nicht auf dem weißen Ross, sondern unter anderem mit Hilfe eines rostigen Lastenkrans. Und als endlich eine „Kutsche für die Prinzessin“ gefunden ist, muss er feststellen, dass nur für ihn darin Platz ist – dann muss die Angebetete eben auch mal hintendrauf geschnallt werden.

Der Antiheld als Sympathieträger

Wenn der Spieler mal eine Weile nichts tut, weiß Rufus seine Langeweile auszudrücken, indem er die Schultern hängen lässt oder auch mal ein kleines Luftgitarrensolo gibt.
– Screenshot: Daedalic Entertainment.

Ja, Rufus hat viele schlechte Eigenschaften. Und ja, er kann die anderen Charaktere mit seinem naiven Selbstbild zur Weißglut treiben. Aber kann man ihn wirklich unsympathisch finden? Kaum. Denn schließlich ist es der Spieler selbst, der Rufus steuert und damit seine Geschichte vorantreibt. Es ist also auch ein wenig ein philosophisches Dilemma, das dieses Spiel begleitet: Handelt Rufus nur auf die Art und Weise, wie der Spieler es ihm vorgibt? Oder lässt Deponia dem Spieler gar keine andere Wahl? Jedenfalls ist es erfrischend, einen Protagonisten zu spielen, der nicht von allen anderen bewundert wird – aber der Meinung ist, es wäre so. Die meisten Charaktere im Spiel haben sich, anders als Rufus, mit ihrer Situation abgefunden und aus der Not eine Tugend gemacht. Sie haben einen ganz normalen Arbeitsalltag, der eben nur meist mit Schrott zu tun hat. Rufus sieht sich für Höheres bestimmt, was seine Beziehungen zu den anderen schwierig gestaltet und ihn zu immer wieder neuen Fluchtplänen inspiriert – meist über den Luftweg. Bezeichnend ist es, dass seine Ex-Freundin Toni, in deren Haus er noch wohnt, ein Geschäft betreibt, in dem sie unter anderem Haken und Bleigewichte verkauft – alles Dinge, die einen am Boden halten. Und auch die Beziehung zwischen Spieler und Rufus ist nicht immer die einfachste. Um ihn beispielsweise von der Idee zu überzeugen, einen Müllhaufen zu durchwühlen, braucht der Spieler Durchsetzungsvermögen und Geduld – denn nicht immer reagiert Rufus auf den ersten Klick. Doch dann wiederum kann er einen überraschenden Pragmatismus an den Tag legen, ganz nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht. Oder um es mit Rufus’ Worten zu sagen: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und Späne fangen schnell mal Feuer.“ Kommunikation mit den anderen Charakteren funktioniert in Deponia ganz nach bekannter Point-and-Click-Adventure-Manier mit dem Multiple-Choice-Prinzip. Rufus’ Antwortmöglichkeiten sind aber definitiv keine platten Floskeln und bringen das Gegenüber oft zur Verzweiflung – und nicht weniger den Spieler, denn während man eigentlich erfahren möchte, wie man das verflixte Schrottauto reparieren kann, interessiert es Rufus viel mehr, ob sein aktueller Gesprächspartner nicht vielleicht irgendwelche Beziehungstipps für ihn hat oder ihm mal was „leihen“ könnte – die meisten Figuren sehen ihre Besitztümer nie wieder, aber es ist ja für einen guten Zweck.

Liebe zum Detail

Zu Beginn des Spiels ist das Inventar noch recht leer, das Tutorial soll ja nicht zu kompliziert werden. Rufus allerdings weiß natürlich schon alles und hat gar keine Lust auf ein Tutorial.
– Screenshot: Daedalic Entertainment.

Zwischenzeitlich war Deponia das meistverkaufte PC-Spiel auf Amazon. Und das rechtfertigt sich nicht nur durch die schrulligen und liebevoll handgezeichneten Charaktere. Ein exzellenter Cast von Sprecherinnen und Sprechern erweckt die Figuren zum Leben und auch der Soundtrack hat Ohrwurmpotenzial. Deponia ist definitiv kein Spiel, bei dem man die Sprechanteile einfach überspringen sollte. Zu nahezu jedem Gegenstand in seiner Tasche hat Rufus eigene Kommentare und im Gegensatz zu vielen anderen Point-and-Click-Adventures heißt es nicht einfach nur ständig „Das scheint nicht zu funktionieren“, wenn man zwei Objekte falsch kombiniert. Stattdessen parodiert das Spiel auch gern mal sein eigenes Genre, wenn Rufus sagt: „Da fehlt doch etwas… Ach! Na klar! Mein Interesse.“ Auch sonst lässt Deponia eine Leidenschaft am Spiel mit der Sprache erkennen, es werden gern mal Redewendungen umgedreht und auch gleich visualisiert – so lässt man Rufus unter anderem den Strohhalm im Nadelhaufen suchen, eine nicht ganz schmerzfreie Angelegenheit. Angesichts der sprachlichen Detailverliebtheit ist es also vielleicht auch verzeihbar, dass bei Wörtern wie „Kehricht“ und „Kauderwelsch“ Rechtschreibfehler auftauchen – ganz ohne wäre es noch schöner gewesen, aber Rufus weiß vermutlich auch nicht, wie man diese Wörter schreibt.

Wer also Spaß hat an absurden Dialogen, kniffligen Kopfnüssen und eigenwilligen Charakteren, dem sei Deponia ans Herz gelegt – und wenn es gefällt, gibt es auch gleich noch zwei empfehlenswerte Fortsetzungen. Auf Steam gibt es die ganze Trilogie inklusive Entwicklerkommentar, was sich nicht nur preislich gesehen lohnt. Denn hier gibt es Hintergrundinformationen zur Entstehung der Spiele, Gesang mit Gitarre und vor allem ‚Interviews‘ zwischen dem Leitenden Entwickler „Poki“ Jan Müller-Michaelis und den Figuren des Spiels – Rufus erzählt von den Spielen retrospektiv wie von einem Filmdreh und spart dabei nicht an Eigenlob, während sich die Elysianierin Goal darüber beschwert, den Großteil des ersten Teils verschlafen zu haben. Ob Rufus am Ende des Spiels sein Ziel Elysium erreicht, sei hier offengelassen – aber schließlich ist er ja ein Held, und ein Held hat nun mal seine Prinzipien: „Ich war fast da, aber dann ist mir meine verfluchte Menschenliebe dazwischengekommen.“

Deponia
Daedelic Entertainment
PC und Konsole
Preis für das Einzelspiel Deponia(Steam): 39,99 Euro  
Preis für die gesamte Trilogie mit Entwicklerkommentar (Steam): 29,99 Euro

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