Aller Anfang ist schwer (2): Was das Leben kostet

Deborah Levy: Was das Leben kostet; Cover: Hoffmann und Campe

Jedes Buch ist irgendwann einmal zu Ende und man blättert die letzte Seite um. Doch was ist ein gutes Ende? Deborah Levy beginnt ihren Roman Was das Leben kostet mit einer Überlegung zum Happy End. Ein Anlass um mit Aller Anfang ist schwer darüber nachzudenken, wie kompliziert es ebenfalls sein kann, ein gutes Ende zu finden. Happy oder Un-happy End? Was stellt uns mehr zufrieden?

von ALINA BRAUCKS

„Ein Happy End hängt ganz davon ab, wo wir die Geschichte enden lassen, meinte Orson Welles.“

Schaut man sich einmal im Bereich der sozialen Medien um, scheint es, als schreie jeder nach einer Tragödie. Happy Ends sind langweilig. Wir wollen etwas, dass uns das Herz bricht und uns sämtliche Traurigkeit fühlen lässt. Möchte man seelische Qualen erleiden, wenn man ein Buch liest? Und wird erst dann die Lektüre zu einem unvergesslichen Erlebnis? Das muss diese aristotelische Katharsis sein. Natürlich wünscht man keiner Figur, mit der man sympathisiert, ein miserables Leben oder tragische Schicksalsschläge, doch oftmals muss man feststellen, dass ein Unhappy End nochmal anders zum Denken anregt. Wenn ich meine Freund:innen frage, ob sie ein Happy End oder ein tragisches Ende präferieren, kommt häufig die Antwort: Happy Ends sind zwischendurch mal ganz nett, aber wirklich im Gedächtnis bleiben sie nicht. Oder: Happy Ends lese ich gerne, aber mutiger vom Autor oder von der Autorin finde ich ein tragisches Ende – dann bin ich überrascht und nachhaltig beeindruckt. Bei Filmen scheint die Antipathie für ein Happy End noch größer zu sein. Zu groß ist die Gefahr, das Ende zu kitschig zu gestalten. Ein großes Publikum liebt ein bittersüßes Ende und auch ich muss gestehen: nach einem Film verlasse ich das Kino lieber mit einem weinenden Auge als mit einem lachenden. Aber ist es nicht viel schwieriger, ein überzeugendes Happy End zu schreiben? Der tragische Tod eines Helden, eine scheiternde Liebe, eine dystopische Zukunft – das alles kann einen Roman oder einen Film leicht ins Tragische lenken. Ein Happy End hingegen muss richtig realistisch sein. Ich höre oft, dass es nichts Schlimmeres für ein Buch gäbe als ein unrealistisches Happy End. Aber warum muss ein Happy End für uns einen Realitätsanspruch haben, während wir die Tragödie einfach bereitwillig hinnehmen?

Happy End: Wenn nicht jetzt, wann dann?

„Wenn sich zwei Menschen lieben, kann es kein Happy End geben.“ (Hemingway)

„Heute kann nur noch Leben, wer an kein Happy End mehr glaubt.“ (Ernst Jünger)

Vertreter des Happy Ends scheinen Hemingway und Jünger nicht gerade gewesen zu sein, was im Angesicht der Weltkriege, der Wirtschaftskrise und atomarer Aufrüstung den beiden Autoren des 20. Jahrhunderts wohl kaum vorzuwerfen ist. Nun befinden wir uns im dritten Jahr einer Pandemie, bewaffnete Konflikte entstehen in Europa und unser Planet steht vor einem Klimakollaps. Eine Zeit also, in der viele Leute an kein Happy End mehr zu glauben wagen. Kommt daher die kritische Begutachtung des Happy Ends? Ist die Tragödie einfach realistischer? Dabei wäre ein Happy End doch jetzt so nötig. Die Tragödie am Ende scheint gerade jetzt zu einfach. Ich habe mich selbst immer für eine Verfechterin des Unhappy Ends gehalten, aber je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr denke ich, es ist genau die richtige Zeit für Happy Ends. Viel mehr noch ist es an der Zeit für Utopien.

Wenn auch die Tragödien ihre Reize haben, gibt es dennoch eine gute Nachricht für alle Happy-End-Liebhaber:innen: Wahrscheinlich dachte sich jeder beim Lesen eines Romans schon einmal: Jetzt ist alles gut, alle sind glücklich, warum hat das Buch noch hundert Seiten?! Nach Orson Welles müssten wir jetzt einfach aufhören zu lesen. Wir könnten The Great Gatsby zuschlagen, sobald Daisy und Gatsby in das Auto steigen und davonfahren, nach ein paar hundert Seiten Anna Karenina könnten wir es gut sein lassen. Gehen wir einfach mal davon aus, dass Romeo Julias Brief erhält, verlassen das Theater und der Plan stellt sich als meisterhafte Täuschung und nicht als tragischer Unfall dar.

Ein Happy End für Deborah Levy?

„An der Vergangenheit sterben wir entweder, oder wir werden Künstler.“ Ein Satz, der in Deborah Levys Werk zum Programm wird, denn sie entscheidet sich für Zweiteres. Was es im Leben kostet Frau, Künstlerin, Mutter und Tochter zu sein, steht in Deborah Levys autobiografischem Roman Was das Leben kostet im Vordergrund. Es ist der zweite Part eines Schreibprojekts, dass die Autorin „living autobiography“ nennt: Es ist eine Autobiografie – nicht retroperspektivisch – sondern quasi in Echtzeit. Levy trennt sich von ihrem Ehemann und im gleichen Jahr stirbt auch ihre Mutter. Sie zieht in eine neue Wohnung im Norden Londons und schreibt und schreibt und schreibt. Die Fragmente aus dieser Zeit werden in Was das Leben kostet zusammengetragen. Die Autorin beschreibt eine Frau, die durch tiefe Lebenskrisen geht, aber immer wieder versucht, zu sich zurückzufinden. Der Tonfall ist dabei pathosfrei, immer wieder auch mal humoristisch und bricht die doch etwas raue Erzählung so an einigen Stellen wieder auf. Die Erzählerin ist eine Frau, die zwar momentan nicht so zufrieden mit ihrem Leben ist, sie klingt aber so, als würde sie das alles schon irgendwie schaffen. Aus einer Krise schöpft sie neue Kraft, auch wenn Heilung kein linearer Prozess ist. Und da sind wir als Leserschaft quasi live dabei. Ob sie ihr Happy End bekommt? Nun, das hängt davon ab, wo wir aufhören zu lesen.

Deborah Levy: Was das Leben kostet
Hoffmann und Campe, 154 Seiten
Preis: 12,00 Euro
ISBN: 978-3-455-00892-0

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