Michail Afanassjewitsch Bulgakow wurde heute vor 131 Jahren geboren. Ruhm und Ehre blieben dem sowjetischen Schriftsteller bis zu seinem Tod 1940 im Alter von nur 49 Jahren weitestgehend verwehrt. Zu viel Gesellschaftskritik, zu wenig sozialistischer Realismus – mit den Zensoren der UdSSR lag der gebürtige Kyjiwer im Dauerclinch. Seinen internationalen Durchbruch hatte er daher auch erst Ende der 1960er Jahre – mehr als 20 Jahre nach seinem Tod. Bulgakow ist deshalb vermutlich eines der besten Beispiele dafür, dass gute Literatur ihre Urheber über den Tod hinaus am Leben erhalten kann.
von CAROLIN KAISER
Als Sohn eines Theologen und Kirchenhistorikers wird Michail Bulgakow am 15. Mai 1891 in Kyjiw geboren. Nach seinem Abitur studiert er Medizin in seiner Heimatstadt und ist einige Jahre als praktizierender Arzt tätig. Doch der Russische Bürgerkrieg, der seit Ende 1917 im ehemaligen Zarenreich für Krieg und Chaos sorgt, sollte nicht nur für den Vielvölkerstaat zur Zäsur werden, sondern auch für Bulgakows eigenen Lebensweg. Anfang 1919 wird er in die Ukrainische Republikanische Armee eingezogen, um dort Sanitätsdienst zu leisten. Bereits nach kurzer Zeit desertiert Bulgakow, um sich der Roten Armee anzuschließen, die er ebenfalls nach kurzer Zeit wieder verlässt, um zur gegnerischen Weißen Armee zu wechseln. Kurzum: Bulgakows Beteiligung am Russischen Bürgerkrieg ist ähnlich verworren und ambivalent wie der Krieg selbst. Den Arztberuf lässt er nach Ende des Krieges hinter sich, um sich einer neuen Karriere zuzuwenden: der Literatur.
In seiner neuen Heimatstadt Moskau fängt er an, für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben. 1924 erscheint sein erster Roman Die weiße Garde (russ. Originaltitel: Belaja gvardija), der zumindest in Teilen auf Bulgakows eigenen Erfahrungen im Russischen Bürgerkrieg basiert. Dass Bulgakows Romane und Erzählungen tatsächlich zu seinen Lebzeiten in der Sowjetunion veröffentlicht werden, ist jedoch eine Seltenheit. Seine beiden bekanntesten Prosawerke – die Erzählung Hundeherz (Sobatschje serdze) und der Roman Der Meister und Margarita (Master i Margarita) – erscheinen erst Jahrzehnte nach seinem Tod. Den Zensoren der UdSSR gefallen Bulgakows Hang zu Allegorien und spitzer Satire eher weniger, und so befindet sich der Autor ab 1930 unter einem De-facto-Veröffentlichungsbann. Mit Gelegenheitsarbeiten an verschiedenen Moskauer Theatern hält er sich in den folgenden Jahren finanziell über Wasser. Am 10. März 1940 verstirbt Bulgakow schließlich in Moskau an den Folgen einer schweren Nierenerkrankung. Doch das Leben und Wirken des Schriftstellers Michail Bulgakow ist damit noch lange nicht vorbei.
Die Geheimzutaten für einen Erfolgsroman? Goethe, Bürokratenwitze, Jesuslatschen.
1966 ringt man sich in der sowjetischen Zensurbehörde doch noch zu einer Veröffentlichung von Bulgakows letztem fertiggestellten Werk durch. Der Meister und Margarita erscheint Ende desselben Jahres als Fortsetzungsroman in einer Moskauer Literaturzeitschrift – um gut ein Achtel gekürzt. Doch auch diese abgespeckte Version findet eine begeisterte Leserschaft. Bereits nach kurzer Zeit – wir reden hier von Stunden, nicht Tagen – ist der satirische Faustroman vergriffen, selbstgemachte Kopien und Abschriften zirkulieren. Die knapp anderthalb Jahre später veröffentlichte deutsche Übersetzung schießt sofort auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste und schnell werden Stimmen laut, die diese knapp 40 Jahre alte Neuerscheinung zum besten russischsprachigen Roman des 20. Jahrhunderts erklären. Wovon handelt ein Roman, der eine solche Begeisterungswelle auszulösen vermag?
Eins wird direkt beim ersten Blick auf Sujets und Handlung des Romans klar – warum er in den 1930er Jahren, und somit auf dem Höhepunkt des Stalinismus, nicht erscheinen konnte. Ganz in dem grotesk-satirisch-beißenden Stil, für den Bulgakow heute noch von vielen begeistert gelesen wird, hat der Roman eine klare Zielscheibe vor Augen: die sowjetische Gesellschaft, insbesondere deren Bürokratenelite. Der Roman ist gefüllt mit lächerlichen Möchtegernliteraten, die schreiben, was das System und seine blutleeren Parteigänger lesen möchten (also kitschige Bauern- und Arbeiteridyllen), sich dabei für große Künstler halten, aber von Literatur so viel Ahnung haben, wie sie Respekt für sie aufbringen können – gar keine. Als wäre dieses Sticheln nach oben nicht schon Zensurgarant genug, setzt Bulgakow thematisch noch einen drauf: Der Meister und Margarita ist nicht nur ein Bürokraten-, sondern auch ein Bibelroman. In einem Staat, der den Atheismus zur Staatsräson erklärt hat, eine gewagte Genrewahl. Aber Moment – wie passt das zusammen, Bürokratenwitzchen und Heilige Schrift? Und habe ich im vorherigen Absatz nicht auch noch von „Faustroman“ gesprochen?
Zwischen rollenden Köpfen in der Moskauer Metro und Pontius Pilatus in einer Midlife-Crisis
Ja, ein großer Teil des Charmes dieses Romans geht von seinem Eklektizismus aus. Im ersten der insgesamt drei Handlungsstränge kommt der Teufel höchstpersönlich samt Entourage ins sowjetische Moskau. Getarnt als ausländischer Zauberkünstler sorgt „Voland“ (so des Teufels Künstlername und nebenbei auch Referenz zu Goethes Faust) nicht nur für Chaos und Verwirrung, sondern auch für den einen oder anderen grotesken Todesfall. Von diesem Trubel bekommt der titelgebende Protagonist des Romans, der „Meister“, derweil nichts mit. Im zweiten Handlungsstrang sitzt er in einer Psychiatrie und lässt sein Leben Revue passieren. Seitdem er einen Roman über Jesus von Nazareth und Pontius Pilatus geschrieben hat, von dem schon ein veröffentlichter Auszug reichte, um wüste Beschimpfungen über den Autor hereinbrechen zu lassen, ist der Meister ein psychisches Wrack und für seine Geliebte Margarita (noch eine Anspielung an Goethes Faust) unauffindbar. Der dritte, von den anderen beiden weitestgehend isolierte Handlungsstrang ist schließlich besagter Roman über die Entscheidung des römischen Statthalters von Judäa, Pontius Pilatus, den Wanderprediger Jesus von Nazareth hinrichten zu lassen. Der migränegeplagte Pilatus ringt mit der Anordnung der Hinrichtung und trifft sich schließlich auf ein Gespräch mit dem Verurteilten. In bester Dostojewski-Manier erklären sich die beiden ihre Sichtweise auf (wortwörtlich) Gott und die Welt. Diese drei äußerst unterschiedlichen Handlungsstränge finden schließlich am Ende von Der Meister und Margarita zusammen. Auch die Jesusgeschichte aus dem 1. Jahrhundert nach Christus? Auch die Jesusgeschichte aus dem 1. Jahrhundert nach Christus! Der magische Realismus, der seit den 1920er Jahren Verbreitung und Anklang fand, hat auch bei Bulgakow nicht Halt gemacht, und so ist das Ende von Der Meister und Margarita durchaus das Attribut „surreal“ wert. Das magischste an Bulgakows Werk ist aber sicherlich seine Fähigkeit, selbst nach 30 Jahren unter Verschluss den Zeitgeist getroffen zu haben. Und in Anbetracht der wiedergefundenen Zensurfreudigkeit Moskauer Behörden hat der Roman leider immer noch traurige Relevanz.
Meine Empfehlungen:
Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita. Aus dem Russischen neu übersetzt und mit einem Nachwort von Alexandra Berlina
Anaconda, 576 Seiten
Preis: 7,95 Euro
ISBN: 978-3-7306-0912-5
Michail Bulgakow: Das hündische Herz. Neu übersetzt von Alexander Nitzberg
dtv, 176 Seiten
Preis: 9,90 Euro
ISBN: 978-3-423-14371-4