Ein viel gebrauchtes Zitat, ein DDR-Dramatiker, ein Revolutionsstück, eine Romanverfilmung, eine Steckbrieffrage, ein toxisch gewordener Diskurs, eine musikalisch begleitete Apokalypse, eine alkoholisch begleitete Apokalypse, ein aufmunternder Abbinder. Herzlich willkommen zum Tanz auf dem Vulkan in der lesBar!
von NICK PULINA
Servus in die Runde,
es gibt kein Zitat, das ich in letzter Zeit häufiger nutze als jenes des großen DDR-Dramatikers Heiner Müller: „Die Welt ist aus den Fugen.“
Das war sie wohl schon im Jahr 1979, als sein revolutionäres Revolutionsstück Der Auftrag zur Uraufführung kam, aus dem dieser Satz stammt. Gesprochen wird er von einer namenlosen Figur im Rahmen eines Monologs, der ohne erkennbaren Zusammenhang in den eigentlichen Dramentext eingefügt ist. Gehetzt auf dem Weg zum Termin mit dem Chef findet er sich in einem Aufzug, der die Grenzen von Raum und Zeit sprengt und ihn in der Wüste Mexikos entlässt – allein, verlassen, ohne Termin: „Die Welt ist aus den Fugen.“
Was 1979 aus den Fugen geraten war, ist heute in ein Trudeln übergegangen, in eine Unwucht, in ein auszuufern drohendes Wanken. Während an den östlichen Grenzen Europas Menschen um ihr Leben kämpfen, vor einem Krieg fliehen und jeden Tag ihre Existenz zu verlieren drohen, diskutieren wir über ministeriale ‚Helikoptermütter‘ (dieses großartige Wortspiel verdient die Zitation!), Triggerwarnungen und ob wir jetzt noch Juli Zeh lesen und Reinhard Mey hören sollten – sind sie ja schließlich Putin-Freund:innen… „Die Welt ist aus den Fugen.“
Erinnern Sie sich an die gute alte Steckbrief-Frage, was man im Moment des Weltuntergangs tun würde? Klingt schwarzmalerisch, aber nehmen Sie es lieber mit Humor derselben Farbe. Die Frage kam mir unlängst wieder in den Sinn. Und mit ihr eine Szene aus der semi-gelungenen Serienverfilmung von Stephen Kings Die Arena: Under the dome. Eine ganze Stadt wird wie von Geisterhand unter einer transparenten und extrem stabilen Kuppel eingeschlossen. Die Regierung beschließt, die Kuppel unter Einsatz atomarer Sprengköpfe zu zerstören, die Stadtbewohner sehen sich ihrer kollektiven Vernichtung gegenüber. Während man sich mehr oder weniger mit der lokalen Apokalypse arrangiert, sitzt man im Kreise der Liebsten auf den Wiesen, Balkonen und Hügeln der Stadt, nimmt einen letzten Drink und schaut der meteoritenhaften Rakete zu; im Hintergrund (leider Off-Screen) läuft „The end of the world“ von Skeeter Davies. Wie es ausgeht, verrate ich Ihnen an dieser Stelle nicht, aber so wünsche ich mir meinen persönlichen Weltuntergang – inklusive Skeeter Davies in allen Bluetoothboxen dieser Welt!
Es stellen sich jedoch zwei Fragen: Geht ein Weltuntergang so schnell von statten, dass ein begleitender Song ausreicht und was trinken wir dazu? Ersteres ist überhaupt kein Problem, ich habe Ihnen eine Playlist zusammengestellt. Und bezüglich der Getränkebegleitung habe ich folgende Vorschläge:
- Champagner. Kürzlich sprach ich mit einem Freund über einen jahrhundertealten Fehlschluss: Warum trinken wir eigentlich Champagner, wenn wir etwas feiern wollen? Dafür reicht doch auch ein netter Winzersekt, Cava oder Pet Nat zum Preis einer halben Flasche Champagner, wir triefen doch eh vor Endorphinen. Der französische Schaumwein muss gerade dann ins Glas kommen, wenn wir ein Down haben, unglücklich sind, einen Misserfolg hatten. Gerade dann braucht es doch etwas, das unsere Laune in die Höhe treibt. Das perfekte Getränk für das Ende. Und greifen Sie ruhig zu Dom Perignon, Krug oder einem Roederer Cristal. Die Flasche Moët, die Sie irgendwann einmal geschenkt bekommen haben, kommt einem eigenen Weltuntergang gleich. So zu enden hat kein Traubensaft verdient.
- Martini. Kein Glas der Welt strahlt mehr Sexappeal und Endzeitstimmung aus wie das konische Martiniglas. Ob es nun die klassische Variante sein soll (Rezept nach Winston Churchill: Eine Flasche guter Gin und ein flüchtiger Blick auf eine Flasche Wermut) oder der geschüttelt-ungerührte Bond-Martini mit Wodka, bleibt Ihnen überlassen. Wichtig ist lediglich, dass Sie beim Trinken einen Smoking oder ein Abendkleid tragen. Alles andere wäre Blasphemie – und wir wollen es uns ja auf den letzten Metern vor dem/der Schöpfer:in nicht mehr versauen.
- Heiße Milch mit Honig. Hat als Kind auch immer geholfen, wenn wir nicht schlafen konnten, oder? Ein aus der Zeit gefallener Klassiker, lässt er sich doch mit Mandelmilch und Agavendicksaft nicht wirklich zufriedenstellend imitieren.
Genug des Fatalismus. Hier geht gar nichts unter, alles wird schon wieder gut und vielleicht ist die Welt ja auch gar nicht so viel weiter aus den Fugen geraten als zu Müllers Zeiten. Möglicherweise ist sie einfach gerade dabei, im Überholvorgang die Spur zu wechseln und sich dann wieder friedlich und gemütlich einzutrudeln. Ich glaube fest daran. Und wer es nicht tut, hat jetzt immerhin weniger Organisationsaufwand bei der endgültigen Abriss-Party.
Cheers
Ihr
Nick Pulina
PS: Sie können natürlich auch Bier trinken, während der Komet auf die Erde segelt. Aber das perfekte Pairing von Bier und Eskalation sollten wir dem Ballermann überlassen.
PPS: Gehen Sie nicht zu streng mit Herrn Mey ins Gericht und hören mal hier rein.
PPPS: Wie wäre es mit einem Flashmob zum Weltuntergang? Ideen senden Sie bitte an @culinanick.
Foto: Unsplash
Ein sehr cooler Post … und sehr wunderbar “Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang” … Cheers.