Leidenschaften eines Botanikers

David Diop: Reise ohne Wiederkehr; Cover: Aufbau Verlag

David Diops Reise ohne Wiederkehr zeigt uns das Leben im Senegal Mitte des 18. Jahrhunderts aus der Perspektive eines weißen Botanikers auf. Der Protagonist Michel Adanson frönt dort seinen Leidenschaften – sowohl in Sachen der Wissenschaft wie auch der Liebe. Schnell entpuppt sich der Roman des Booker-Prize-Trägers als spannungsreicher Abenteuerroman, der leider viel zu schnell vorbei ist.

von THOMAS STÖCK

Im vergangenen Jahr gewann David Diop für seinen Roman Nachts ist unser Blut schwarz den Booker Prize. Und mit Reise ohne Wiederkehr zeigt er, dass dieser Preisgewinn wahrlich kein One-Hit-Wonder war – im Gegenteil! Sie dürfen sich darauf einstellen, dass – anders als der preisprämierte Roman über die tirailleurs sénégalais des Ersten Weltkriegs – Reise ohne Wiederkehr ein ganzes Stück unblutiger ist. Doch lassen Sie uns diese Geschichte von Anfang an nachvollziehen.

Der französische Botaniker Michel Adanson stirbt im Jahre 1806. Über Jahrzehnte hinweg hegte er ein liebloses Verhältnis zu seiner Tochter Aglaia, denn seine wahre Leidenschaft galt den Pflanzen aller Art. Diesen widmete er sein Lebenswerk: eine Enzyklopädie der gesamten bekannten Flora. Michels Leidenschaft für die Pflanzen füllen die anfänglichen Seiten des Romans und lassen auch Gärtnermuffel den grünen Daumen des Franzosen bestaunen. An seinem Lebensende beginnt Michel, seine Tochter in die Geheimnisse der Pflanzenkunde einzuführen. Da der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, verliert sich auch Aglaia in der Farbenpracht. Doch Michels Tod zerreißt das erst seit kurzem existente Band, das ihn seiner Tochter annähert. Als Aglaia den Nachlass ihres Vaters durchforstet, entdeckt sie eine Reihe Briefe, die ihr der Vater hinterlassen hat. In diesen Briefen erzählt der Vater aus seiner Jugend, als er den Senegal bereiste, um seine geliebten Pflanzen zu studieren. Doch dort fand er auch eine andere Liebe.

Hommage an eine andere Zeit

Die Konstruktion von Reise ohne Wiederkehr als Briefroman ist eine clevere Hommage an das 18. und beginnende 19. Jahrhundert – und nicht die einzige. Im Senegal begegnen uns nämlich zahlreiche Schwarze, die als Neger tituliert werden. In einer Vorbemerkung weist Diops Übersetzer Andreas Jandl darauf hin, dass Diop bewusst den damals noch nicht pejorativ gebrauchten Begriff „nègre“ verwendet, um so die Sprache des 18. Jahrhunderts angemessen darstellen zu können. Der pejorative Gebrauch des Wortes Neger ist natürlich trotzdem Teil der Romanwelt, jedoch gilt es hierbei nach Figuren zu differenzieren. Menschen wie Michel Adanson, die sogar die Bürde auf sich nehmen, die Sprache des Königreichs Waalo zu lernen, das sogenannte Wolof, sind sehr wohl in der Lage, etwaige Stereotype zu hinterfragen. Und an die Stelle ihrer Vorurteile setzen sie die Erkenntnis, dass die Andersheit der schwarzen Bevölkerung ein wirkkräftiges Komplement zu den eigenen Erfahrungshorizonten bilden kann. Französische Kolonialbeamte hingegen, die in den Schwarzen nichts als dumme Sklaven sehen, denen man den Arbeitswillen mit Gewalt einimpfen muss, sehen hingegen in jedem Neger einen ihnen untergeordneten Menschen. Ursächlich ist hierfür jedoch nicht das Wort Neger – egal wie sie die schwarze Bevölkerung genannt hätten, sie hätten stets auf sie herabgeblickt.

Umso erfreulicher ist es, dass wir den Abscheu Michel Adansons aus erster Hand mitgeteilt bekommen, wenn dieser mit dem Kolonialregime in Kontakt tritt. So gelingt es Diop, die andere Zeit kritisch zu reflektieren, ohne die Illusion einer Romanhandlung im 18. Jahrhundert zu durchbrechen. Zu dieser gelungenen Illusion trägt auch der Stil bei, der aus dem Brief- einen Abenteuerroman heranreifen lässt. An seiner Seite weiß Michel seinen jugendlichen Gefährten Ndiak, ein Prinz des Waalo-Königreichs, der jedoch kein Thronfolger werden soll. Zwischen den beiden entwickelt sich eine herzliche Freundschaft. Ndiak und Michel verfolgen gemeinsam das Ziel, eine Geschichte von Ndiaks Onkel auf deren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Der Onkel Baba Seck erzählt nämlich von der jungen Prinzessin Maram Seck, die durch Sklavenjäger gefangengenommen worden sein soll. Dann soll sie nach Amerika verschleppt und von dort aus geflohen sein. Sowohl Michel als auch Ndiak entbrennen sofort in Neugierde, wie es der jungen Frau gelungen sein soll, sich aus der Sklaverei zu befreien, denn eigentlich ist die Fahrt nach Amerika eine Reise ohne Wiederkehr.

Zwänge einer schwarzen Frau

Es ist nicht zu viel verraten, dass Michel und Ndiak auf Maram Seck stoßen und Michel sich augenblicklich in die schöne Frau verliebt. Doch sollten Sie selbst entdecken, wie es das ungleiche Paar zu der jungen Dame verschlägt und wie diese von ihrer Reise ohne Wiederkehr zurückkehren konnte. Denn Diop spielt mit seinem Roman auch immer wieder auf die Tradition des mündlichen Erzählens im Königreich der Waalo an. Über Baba Seck weiß Ndiak beispielsweise zu berichten: „‚Baba Seck ist ein alter Fuchs! Er könnte dir schwören, dass neben dem Dorf ein Stück vom Mond herabgefallen ist, und du würdest ihm glauben.‘“

Michel hängt an den Lippen der eingeborenen Erzähler – und besonders an den Lippen seiner Angebeteten. Maram Seck eröffnet ihm ihre Leidensgeschichte, die ihn die Zwänge einer schwarzen Frau Mitte des 18. Jahrhunderts nachempfinden lässt. Zugleich wird Michel eingeführt in die Gebräuche und die Vorstellungswelt des Senegal, wo man mit der Natur noch in Einklang lebt. Für einen Botaniker ist das natürlich ein gefundenes Fressen! Das ungleiche Verhältnis zwischen dem weißen Forscher und der schwarzen Prinzessinnen-Sklavin bietet noch einige Pointen mehr, die den Leser das Verhältnis von Männlein und Weiblein, von Schwarzen und Weißen sowie von Leben und Tod reflektieren lassen. Denn als weiteres Appetithäppchen setzt Diop seinen Roman in eine orphische Erzähltradition. Wie das wohl zusammenpasst? Um dem Spannungsbogen nicht allzu viele Spitzen zu rauben, überlasse ich Sie Ihren Reflexionsprozessen auf der Reise durch Diops Romanwelt. Eine Reise, von der Sie um einige Sehnsüchte reicher wiederkehren werden.

David Diop: Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson. Aus dem Französischen von Andreas Jandl
Aufbau Verlag, 238 Seiten
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-351-03961-5

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