Welche Rolle Zeitungsliteratur und somit auch das Feuilleton für deutschsprachige Exilautor*innen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 gespielt haben, ist in der Forschung bislang nicht thematisiert worden. Dr. Bettina Braun (Universität Zürich) hat sich dieser Thematik in ihrer Dissertation Das Feuilleton des Exils. Veröffentlichungen in der Basler National-Zeitung 1933–1945 gewidmet, die im Januar 2022 im Schwabe-Verlag erschienen ist.
von JANA SCHRÄDER-GRAU
Es ist in der literaturwissenschaftlichen Forschung hinlänglich bekannt, dass mit dem beginnenden Nationalsozialismus in Deutschland viele Publikationsorgane kontrolliert, zensiert oder sogar verboten wurden. Das ‚deutsche Feuilleton‘, für das Wilmont Haacke zur Zeit des Nationalsozialismus den Begriff der ‚Kleinen Form‘ eingeführt hat, um es von den ‚jüdischen‘ Feuilletons abzugrenzen, wird von Bettina Braun aufgearbeitet und kontextualisiert. Für viele deutschsprachige Autor*innen folgte ein Aufenthalt im Exil, teilweise sogar die Verbrennung ihrer Bücher. Die Schweiz war ein häufig gewählter, weil politisch vermeintlich neutraler Exilort, sodass neben den Exilzeitschriften auch die Tageszeitungen für die Untersuchung der Texte deutschsprachiger Autor*innen eine wichtige Rolle spielen. Bettina Braun arbeitet in ihrer Dissertation am Beispiel der Basler National-Zeitung und ihrem Feuilletonchef Otto Kleiber wichtige historische, kulturelle und (publikations-)politische Fakten heraus, die aus der Perspektive der Zeitungs-, insbesondere der Feuilletonforschung, der Exilforschung und deren Zusammenspiel einen wichtigen Beitrag leistet und ein Desiderat aufarbeitet.
Journalliteratur: Die Basler National-Zeitung
Eine für die literaturwissenschaftliche Forschung wichtige, aber bislang zu wenig beachtete systematische Herangehensweise an Texte ist die journalliterarische, d. h. die Betrachtung von Texten, die in Periodika wie Tageszeitungen, Zeitschriften und Taschenbüchern erschienen sind. Obwohl „die Veröffentlichungen des Exils in der deutschsprachigen Presse seit langem bekannt sind“, ist deren Erforschung eine Leerstelle. Diese seien nicht vollständig erschlossen und im (Erst-)Erscheinungskontext betrachtet worden. Insbesondere der Aspekt der medialen Kontextualisierung in der schweizerischen Tageszeitung spielt bei Braun eine wichtige Rolle. Sie hebt einerseits die Wichtigkeit der National-Zeitung als Veröffentlichungsort im Exil hervor, weil dort die meisten exilierten Autor*innen publiziert haben, macht aber andererseits auch auf die widrigen Umstände aufmerksam: Da viele deutschsprachige Autor*innen die Möglichkeit verloren hatten, in ihrer Heimat, in deutschen Tageszeitungen und auch im Buchformat zu publizieren, waren sie auf Asyl in den schweizerischen Tageszeitungen angewiesen. Else Lasker-Schüler schreibt in einem Brief vom 28. November 1933 an den Feuilletonchef der National-Zeitung Otto Kleiber: „Nun sind wir – oder ich, ohne Heimat ohne Wärme ohne – – – – Zeitung.“
Kulturpolitik und strukturelle Voraussetzungen
Aus der bislang wenig ausgebauten Feuilletonsparte der Schweizer Tageszeitungen sowie durch die vermehrte Suche nach Publikationsmöglichkeiten deutscher Autor*innen im Exil folgt ein Konkurrenzverhältnis mit Schweizer Autor*innen. „Der Raum, der für das Feuilleton und den Abdruck literarischer Texte zur Verfügung stand, war in den meisten Zeitungen denn auch relativ beschränkt.“ Der Schweizer Schriftstellerverein (SSV) traf bereits im Mai 1933 die Entscheidung, dass lediglich „Autoren von wirklich hervorragender Bedeutung“ eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in der Schweiz und somit auch das Recht zu publizieren erhalten sollten. „Kleine Zeilenschreiber“ hingegen sollten ausgewiesen werden, allein ökonomische Überlegungen durften bei der Entscheidung keine Rolle spielen, was sich aus Perspektive der geflüchteten Autor*innen als besonders problematisch erwies. Das Herausarbeiten dieser Hintergründe belegt, wie schwer es für die exilierten Autor*innen war, überhaupt eine Möglichkeit zur Publikation zu erhalten. Die Tatsache, dass einige Autor*innen aufgrund des Beschlusses des SSV keine Bewilligung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erhielten, machte es notwendig, unter Pseudonymen zu publizieren. Dass deren Beiträge dennoch Platz im Feuilleton der National-Zeitung fanden, verdankten sie Otto Kleiber.
Otto Kleiber: Engagement fürs Exil
Otto Kleiber leitete von 1919 bis 1953 die Feuilletonsparte der Basler National-Zeitung. Er sorgte dafür, dass sich das Feuilleton unter seiner Leitung zu einem der besten in der schweizerischen Presse entwickelte, indem er Beiträge regionaler Autor*innen in ein dafür von ihm geschaffenes Lokalfeuilleton auslagerte, die Bücherseite 1925 als literaturkritische Beilage zu einem Teil der National-Zeitung machte und somit den Raum für überregionale Beiträge sowie die Zeitung in ihrer Gesamtheit erweiterte. Die Betrachtung von Kleibers Korrespondenzen mit Autor*innen, die er privat sammelte und sortierte, lässt den Rückschluss darauf zu, dass Kleiber sich während seiner Zeit als Redakteur nicht nur auf eine Unterstützung exilierter Autor*innen in Form der Veröffentlichung von Beiträgen in seiner Zeitung beschränkte, sondern dass er seinen Mitarbeiter*innen, wenn notwendig, Vorschüsse zahlte und dabei half, Visa für andere Aufenthaltsorte zu bekommen. Die Namen, die Braun unter den publizierten Autor*innen herausarbeitet, liest sich wie ein Überblick über die deutschsprachige Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Alfred Polgar, Siegfried Kracauer, Klaus, Thomas und Erika Mann, Joseph Roth, Irmgard Keun, Bertolt Brecht, Vicki Baum, Sigmund Freud, Rut[h] Landshoff[-York], Else Lasker-Schüler usw. Dass im Feuilleton der National-Zeitung so viele Texte deutscher Exilautor*innen erschienen sind und dieses damit heute einen bedeutenden Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung des 20. Jahrhunderts darstellt, ist einerseits Kleiber zu verdanken und macht andererseits Braun in ihrer Arbeit mit einer Auflistung der publizierten Autor*innen deutlich.
Hans Natonek und Alfred Polgar
Am Beispiel von Hans Natonek und Alfred Polgar hebt Braun auch noch einmal auf persönlicher Ebene die Bedingungen des Publizierens exilierter Autor*innen hervor. In ihren Texten arbeiten sie indirekt die politische Situation auf und geben Einblick in die Heimat- und Berufslosigkeit als Identitätsverlust, Erfahrungen des Exils und die Frage nach dessen Bewältigung. Anhand der Rhetorik, der Erzählweise und der Motive der Texte arbeitet Braun die Reflexion der Exilsituation innerhalb der Texte heraus: „In der abgestellten Aktentasche ist unschwer auch ein Bild für den ins Exil getriebenen Schriftsteller und Journalisten zu erkennen“, schreibt sie über Natoneks Beitrag Unsterblichkeit der Aktentasche, der 1933 in der National-Zeitung erschien. Polgar zeichnet in Der Lastträger von 1940 einen Dichter, „dem es trotz aller Mühen und Entbehrungen des Exils gelingt, seine Würde zu bewahren und an der ihm eigenen Sicht und Geistesart festzuhalten“. Die Reflexionen der Gegenwart, des Selbst und auch die Selbstreflexivität spielen, wie Braun selbst zusammenfasst, eine zentrale Rolle in den Texten, in denen sich die Autor*innen mit dem Exil auseinandersetzten. Die Analysen der einzelnen Texte sind literaturwissenschaftlich mustergültig und eröffnen für die weitere Forschung die Möglichkeit einer solchen Aufarbeitung der Texte aller Exilautor*innen in der National-Zeitung, die Braun bereits herausgearbeitet hat. Für deren Analyse ließ die Arbeit keinen Platz mehr, weil sie elementar wichtige Grundlagenarbeit geleistet hat, um an diesen Texten weiterarbeiten zu können. Lediglich die Kontextualisierung innerhalb der jeweiligen Zeitungsausgaben und -seiten bleibt auf journalliterarischer Ebene offen. Braun hebt dennoch an vielen Stellen ihrer Arbeit – nicht nur konkret am Text, sondern mit Blick auf die Gesamtheit der Arbeit am Feuilleton – die Bedeutung der Literatur in Journalen hervor und macht auf Re-Uses von Texten in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, das heißt, deren Mehrfachpublikationen aufmerksam.
Bettina Braun: Das Feuilleton des Exils. Veröffentlichungen in der Basler National-Zeitung 1933–1945
Schwabe Verlag, 383 Seiten
Preis: 68,00 Euro
ISBN: 978-3-7574-0028-6