Wenn Tiere sich zusammenschließen, um die Menschheit auszulöschen, wären sie laut Nadja Niemeyers Roman Gegenangriff erfolgreich damit, denn dafür bräuchten sie nur einen Virus, der ihre Intelligenz steigert. In ihrem Roman versucht sie, eine neue Welt zu schaffen – ohne den Menschen. Niemeyer zeigt die Doppelmoral und den Egoismus des Homo sapiens und wie dieser sich selbst zerstört.
von CELINA FARKEN
Was, wenn man Ihnen sagen würde, dass der Untergang der Menschheit mit einem Katzenvideo beginnt? Eines der Videos, die viele lustig oder süß finden und an ihre Freunde und Familie weiterschicken. Was, wenn man Ihnen sagen würde, dass ihr geliebtes Haustier Sie belauscht, um zusammen mit allen anderen Tieren auf der ganzen Welt den Untergang des Menschen zu planen? Was, wenn an diesem Untergang gar nicht vorrangig die Tiere, sondern der Mensch schuld wäre? Dann befinden Sie sich in der Weltvorstellung von Nadja Niemeyers Roman Gegenangriff – oder vielleicht in einer zukünftigen Realität.
Eine Pandemie zur Auslöschung des Menschen
Gegenangriff stellt Mensch und Tier sowie ihre Eigenschaften gegenüber und zeigt, warum der Mensch wegen seines eigenen Verhaltens nicht überleben kann. Dadurch versucht der Roman positive Aspekte in einer Welt ohne den Menschen zu entdecken. Allerdings muss sich für die Durchsetzung des Plans etwas an den Tieren ändern. Sie werden von einem Virus befallen: dem Retrovirus. Durch das Virus steigert sich die Intelligenz der Tiere, sie erhalten aber im Gegensatz zum Menschen ein Schwarmbewusstsein. Damit versucht Niemeyer das natürliche Verhalten der Tiere – unterschiedlicher Arten, die unter normalen Umständen nicht miteinander zusammenarbeiten würden – zu erklären und eine Utopie für den Planeten zu schaffen. Denn die Tiere agieren zusammen, ohne sich absprechen zu müssen – damit fallen Politik und Hierarchien weg. Sie wollen den Menschen nicht nur für ihren eigenen Nutzen auslöschen, sondern als „Heilungsprozess für den Planeten“ – Egoismus fällt weg. Wie reagiert der Mensch darauf? Mit Politik, Hierarchien (die eigentlich nicht mehr beibehalten werden können) sowie Egoismus – damit bestätigt er die Meinung der Tiere, „dass Homo sapiens als Schädling zu betrachten sei“ und daher systematisch ausgerottet werden müsse. Die Ausführung des Plans wird leicht nachvollziehbar dargestellt und verliert sich nicht in unendlichen Erklärungen. Den Kampf gegen ihre Ausrottung kämpfen die Menschen allerdings gegen einen unsichtbaren Gegner, denn sie erkennen nicht, dass die Tiere dahinterstecken.
Umgekehrte Rollenverteilung
In Gegenangriff zeigt der allwissende Erzähler, der die Geschichte chronologisch nacherzählt, die Fehler der Menschen deutlich auf, indem sie dem erfolgreichen Verhalten der Tiere gegenübergestellt werden. Die menschlichen Figuren des Romans nehmen die Rolle als Ziel- und Versuchsobjekt ein. Die Tiere probieren Dinge an ihnen aus, prüfen Thesen und behalten Recht. So wie der Mensch eben sonst die Tiere behandelt. Aber das sieht der Mensch nicht ein, denn „[i]m Rechtfertigen eigener Taten waren die Menschen schon immer allen anderen Arten überlegen gewesen“.
Die Figuren des Romans wirken allerdings oft wie überspitzte und klischeehafte Darstellungen bestimmter Personengruppen. Es gibt beispielsweise den nur an seinem Erfolg interessierten Präsidenten Bartholomew oder auch die Sektenführerin Meredith Wilkinson, die Sister Miriam genannt wird (angelehnt an die Bibelfigur), die die Situation für sich ausnutzt (und Achtung, Ironie: natürlich Tiere opfern muss). Es werden einzelne Figuren als Beispiele verwendet, die als Stellvertreter fungieren, aber auch genauso gut ausgetauscht werden könnten, da sie für die Handlung nicht relevant sind. Der Präsident Bartholomew könnte auch genauso gut ein anderer Präsident sein, der nur auf seine Wiederwahl fokussiert ist. Das Geschehen wird eher vom Erzähler vorangetrieben, der zurückblickend aus der Vogelperspektive heraus das Geschehen nacherzählt. Auf diese Weise können Vorausblicke gemacht werden und der Untergang der Menschheit steht von Beginn an fest, sodass der Erzähler auch immer wieder darauf hinweist, warum bestimmte Verhaltensweisen des Menschen dazu führen.
Kompromisslose Abrechnung
In Niemeyers Utopie – die eine Dystopie für den Menschen ist – kommt kein einziger Mensch gut weg. Auch Sam Menendez, ein biologischer Rinderfarmer, bleibt nicht verschont. Die als Schlachthaus-Massaker bekannte Tragödie forderte mehr als 20 Menschen das Leben. Getötet wurden sie von den Rindern der Menendez-Farm. Auch diejenigen, die meinen, mit den Tieren gut umzugehen, bleiben somit nicht verschont. Ganz nach dem Motto: Eine gute Tat ist keine gute Tat, wenn sie nur eine abgeschwächte Variante der schlechten ist. Insgesamt wirft der Roman auf überspitzte Weise einen Blick auf die Missstände des Umgangs mit der Welt und ihren Bewohnern und begleitet uns in eine Zukunftsvision, die vielleicht gar nicht so verrückt ist, wie sie auf den ersten Blick scheint. Zumindest aber gibt sie eine Menge Stoff zum Nachdenken darüber, welche Verantwortung wir gegenüber anderen Lebewesen und auch unserem Planeten gegenüber haben. Dass die Ausrottung des Menschen keine Lösung ist, steht außer Frage, umso deutlicher ist damit der Aufruf zum Handeln. Denn wer weiß: Wenn Sie das nächste Mal ein niedliches Katzenvideo sehen, ist es vielleicht schon zu spät und das Ende der Menschheit steht bereits bevor.
Nadja Niemeyer: Gegenangriff
Diogenes, 164 Seiten
Preis: 14,99 Euro
ISBN: 9783257071832