Heute vor 225 Jahren erblickte Mary Shelley das Licht der Welt. Ihr bekanntestes Werk Frankenstein oder Der moderne Prometheus wurde in vielfältigen Adaptionen auf die Filmleinwand gebracht und ist deshalb bis heute Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Doch warum trägt das Werk überhaupt den Untertitel Der moderne Prometheus? Dieser Frage gehen wir heute auf den Grund.
von THOMAS STÖCK
Die Geschichte von Prometheus ist schon so alt, wie das altgriechische Kulturgedächtnis zurückreicht. Vom Titanen, der den Menschen das Feuer brachte und der seinen Hochmut teuer bezahlt, erzählen uns schon Hesiod und Aischylos. In der Literaturgeschichte nimmt die Rezeption des Prometheus im Zeitalter der Romantik zum x-ten Mal an Fahrt auf. Besonders ein Ehepaar tut sich dabei hervor: Percy Bysshe Shelley sowie seine Ehefrau Mary, geborene Godwin. Percys großes Werk trägt den Titel Der entfesselte Prometheus (Orig.: Prometheus Unbound). Marys Werk bringt man gemeinhin jedoch gar nicht mit dem griechischen Titan in Verbindung. Vielmehr ist es bekannt unter dem Namen Frankenstein. Sicherlich darf ich bei Ihnen einige Episoden aus dem Leben Mary Shelleys als bekannt voraussetzen. Deswegen steht im Zentrum des heutigen Beitrags die Frage danach, was genau Marys Frankenstein zu einem modernen Prometheus macht. Und an dieser Stelle sollten wir wohl am besten einen Blick in die Geschichten dieses Titanen werfen.
Die Hybris eines unbiblischen Gerne-Groß
Prometheus gilt in der griechischen Mythologie als Urheber der menschlichen Zivilisation. Eine der Erzählvarianten seines Mythos – denn derer gibt es viele! – besagt, er habe die Menschen aus Lehm erschaffen. Dem strikten Regime des Göttervaters Zeus widersetzt sich Prometheus, indem er die Opferpflicht der Menschen zu unterminieren sucht. Prometheus obliegt es, ein erstes exemplarisches Opfer an Zeus zu entrichten, an dem sich die Menschheit später orientieren soll. Es gelingt ihm, Zeus zu täuschen, sodass dieser nur die Knochen der Opfergabe erhält, die Menschen für sich jedoch das gute Fleisch behalten können. Zeus’ Zorn hat eine Strafe für die Menschen zur Folge: Ihnen ist fortan das Feuer versagt. Doch auch in diesem Fall greift Prometheus für die Menschen helfend ein, stiehlt ein wenig Glut vom Olymp und bringt es den Menschen dar. Zeus wird vor vollendete Tatsachen gestellt – und Zeus zürnt Prometheus und der Menschheit. Letztere empfängt durch Prometheus’ Bruder Epimetheus alles Übel der Welt aus der Büchse der Pandora, Prometheus selbst wird an eine Säule im Kaukasus angekettet und durchleidet jeden Tag aufs Neue, wie ein Adler seine Leber auffrisst.
Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass Prometheus’ Werdegang ähnelt der biblischen Schöpfungsgeschichte. Die von einer Frau dem Epimetheus dargebrachte Büchse der Pandora erinnert an den paradiesischen Apfel, das Formen aus Lehm übernimmt Prometheus von Gott daselbst. Doch Prometheus steht den Menschen viel näher als den Göttern, denn gerade seine Sünden sind es, die seine Strafe als gerecht erscheinen lassen. Er widersetzt sich göttlichem Gebot, spielt lieber selbst Gott – und erleidet dafür die ewige Marter, die in der christlichen Mythologie durch die Hölle versinnbildlicht wird. Mit anderen Worten: Prometheus zerbricht an seiner eigenen Hybris.
Einmal Gott sein – ein allzu menschlicher Wunsch
In der Romantik ist Prometheus gerade deshalb so beliebt, weil er perfekt das Bindeglied zwischen Göttlichkeit und Menschlichkeit symbolisiert, das die Romantiker im Genie entdeckt haben wollen. Das Genie als Mittler, oftmals unverstanden, mit mehr als nur Talent gesegnet, schwingt sich dazu auf, selbst an die Stelle Gottes zu treten. Doch an die Stelle Gottes kann niemand treten – das Genie scheitert, wie auch schon Prometheus gescheitert ist. Anders gelagert ist Marys Prometheus-Geschichte: Ihrer Erzählung liegt der Tod ihres erstgeborenen Kindes zugrunde. Was wäre, wenn man totem Fleisch neues Leben einhauchen könnte? Victor Frankenstein ist die verzweifelte biografische Note allenfalls randständig eingeschrieben, die ursächlich für Marys Gedankenspiel ist. Nein, dieser Frankenstein und sein „Monster“ sind mehr Schauergeschichte und faustischer Übermut als biografische Herzensergießung.
Der Tod birgt grimme Schrecken. Marys eigene Biografie ist für Frankenstein wohl nicht viel mehr als anekdotische Referenz (behaupte ich) und weniger in die Figuren eingeschrieben, als biografische Interpretationen von Frankenstein oder Der moderne Prometheus gerne weismachen wollen. Ich wage zu behaupten, dass uns Shelleys persönlicher Wunsch, den Tod eines lieben Menschen ungeschehen machen zu wollen, deutlich näher stellt, als es Frankensteins Wunsch nach Ruhm und göttlicher Macht ist. Doch leider ist der Tod ein treuer Begleiter.
Meine Empfehlungen:
Mary Shelley: Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Reclam Verlag, 344 Seiten
Preis: 10,00 Euro
ISBN: 978-3-15-020516-7
Einen biografischen Roman über Mary Shelley finden Sie hier: Timo Feldhaus’ Mary Shelleys Zimmer.