Doctor’s Diary (6): Wissenschaftlicher Rassismus

Hans Christoph Buch: Kain und Abel in Afrika; Cover: Volk und Welt

Wenn Rassismus als vermeintlich wissenschaftlich fundiertes Theoriegebilde daherkommt, dann fallen selbst gebildete Menschen darauf herein. Dies gilt nicht nur für vergangene Tage, sondern setzt sich bis in unsere heutige Zeit fort. Im Falle Ruandas sind selbst die Publikationen einiger renommierter Autoren bereits nach dem Genozid von 1994 genau solche Theorien verbreiten – und diese Theorien wirken nach. Eine Spurenlese.

von THOMAS STÖCK

Die „Überlegenheit der weißen Rasse“, Theorien über das vermeintlich verbrecherische äußere Erscheinungsbild bestimmter Menschen sowie das Zerrbild von jüdischen Menschen – all diese pseudowissenschaftlichen Theorien sind heutzutage zum Glück als Rassismus-getriebenen Lügen entlarvt. Doch es gibt noch rassistische Theorien aus dieser Zeit, die als salonfähig gelten können. Auf meine letzte Kolumne erhielt ich via Instagram einen Kommentar, der Folgendes behauptete:

„Du vergisst dabei leider, dass die viehzüchtenden Tutsi vor der Ankunft der Europäer in das Zwischenseengebiet einwanderten und seitdem mit der ackerbautreibenden Urbevölkerung in Konflikten standen.“

Die viehzüchtenden Tutsi als Einwanderer in das Gebiet der ackerbaubetreibenden Hutu-Urbevölkerung – dieser Mythos über die ruandische Geschichtsschreibung hält sich hartnäckig in den Köpfen derer, die über Ruanda sprechen. Bereits in meiner letzten Kolumne erwähnte ich das theoretische Konstrukt, das auch den génocidaires, also den Mördern als argumentatives Rüstzeug diente, Hunderttausende Tutsi abzuschlachten: die sogenannte Hamiten-Hypothese. Heute möchte ich der Frage auf den Grund gehen, warum sie sich insbesondere in Deutschland so hartnäckig in den Köpfen hält.

Bärendienst der Literatur I

Denn es handelt sich bei dem zitierten Kommentar (an den sich einige weitere anschlossen) keineswegs um einen Einzelfall. Wirft man einen Blick in die deutschsprachige Literatur, dann wird augenfällig, dass auch heute noch eine Völkerwanderung hergenommen wird, um die vermeintliche Andersheit von Hutu und Tutsi zu begründen. Denn in der Folge des Genozids schrieben auch allerlei „Ruanda-Kenner“ das nieder, was ihnen so in den Köpfen schwirrte. Zu diesen vermeintlichen Kennern zählt unter anderem Peter Scholl-Latour, der seit den 1960er Jahren Bücher über seine journalistischen Tätigkeiten in aller Welt verteilt Bericht erstattete.

Was für ein Typ dieser Scholl-Latour war, darüber können Sie sich gern selbst ein Bild machen. So hielt der 2014 verstorbene Journalist beispielsweise Klimaschutz für ein Modethema, befürwortete die nukleare Bewaffnung der Bundeswehr und behauptete, die russische Außenpolitik zeichne sich durch ihren defensiven Charakter aus. Außerdem war Scholl-Latour Redakteur für die neurechte Zeitung Junge Freiheit. Nun ja, Journalisten sind auch nur Menschen und nur weil sie über etwas schreiben, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie von allem Ahnung haben. Über Ruanda im Speziellen und Afrika im Allgemeinen verfasste Scholl-Latour das Buch Afrikanische Totenklage. Der Ausverkauf des schwarzen Kontinents. Über dieses Buch will ich gar nicht allzu viele Worte verlieren, sondern lieber die Rezensionen von Menschen auf perlentaucher.de zitieren, die sich bereits durch das Buch gequält haben:

„Nach 50 Jahren Korrespondententätigkeit hat der Journalist seine Afrika-Erfahrungen zusammengefasst, aber in Wahrheit, so [Ulrike] Herrmann, nur seine Ressentiments aufgefrischt. Fast alles findet Herrmann ärgerlich: Abenteuer würden eitel angedeutet, aber nie erzählt, die Menschen ausschließlich in rassistischen Kriterien erfasst (selbst Europäer), Frauen kämen nur als Sexobjekte vor, und Afrikaner bloß, wenn sie einen höheren gesellschaftlichen Rang bekleideten, als Slumbewohner oder einfache Bauern hätten sie keine Chance, in Scholl-Latours Berichten eine Rolle zu spielen.“

Ein toller Hecht, dieser Scholl-Latour. Michael Bitala urteilt weiterhin:

„Während der Autor früher recherchiert hat, verbreitet er heute Gerüchte und lässt sich die Welt von einem Transportunternehmer in Uganda [bzw., Anmerkung T. S.] die Lage ‚nach dem Völkermord in Ruanda‘ erklären […].“

So kann man natürlich auch seine Buchpassagen zusammenklauben, wenn einen der wissenschaftliche Diskurs nicht anficht.

Bärendienst der Literatur II

Scholl-Latour als den schwadronierenden Rassisten zu entlarven, der er ist, ist leicht. Weitaus schwieriger ist es, mit einer Position wie der von Hans Christoph Buch angemessen umzugehen. Buch war ebenfalls als Journalist in der Demokratischen Republik Kongo unterwegs, nachdem dort Hunderttausende Flüchtlinge in Lagern untergebracht werden mussten, weil diese vor den neuen Tutsi-Machthabern die Flucht ergriffen. Buchs Buch (ein trefflicher Name, da werde ich glatt neidisch!) ist in zwei Teile geteilt: Im ersten blickt Buch auf sich selbst aus einer Außen- bzw. Du-Perspektive. So erfährt der Leser, was es mit einem macht, das Unglück so vieler Menschen hautnah mitzuerleben und selbst nur Spielball verschiedener Mächte zu sein.

Der zweite Erzählteil ist jedoch aus der Perspektive Richard Kandts verfasst. Richard Kandt begab sich um 1900 nach Ruanda, um die Nilquelle zu entdecken. Ob dieses Unterfangen tatsächlich erfolgreich war, daran scheiden sich noch heute die Geografiegeister. Beide Erzählteile erwecken oberflächlich den Eindruck, die Ereignisse in Ruanda eher zu historisieren als sie zu fiktionalisieren. Der zweite Erzählteil leistet – wie schon Scholl-Latours Afrikanische Totenklage – der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Ruanda einen Bärendienst, weil einer Stimme wie der von Richard Kandt, der offensichtlich an die Stämme-Hypothese von Hutu und Tutsi glaubt und der im ersten Erzählteil zumindest nicht widersprochen wird, so viel Raum geboten wird. Hans Christoph Buch lässt einen deutschen Forschungsreisenden das Wort ergreifen, Ruander kommen nicht zu Wort. Dieselben alten Theorien werden wiedergekäut, deren Brüder und Schwestern im Geiste schon seit langem verpönt sind. Genau diese Art des Kulturimperialismus legte den Grundstein für das Leid von Millionen Verfolgter, die aus dem Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda, aber auch in Burundi, Uganda, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo erwuchsen. Und die Freizeitvölkerkundler leisten mit ihren schlecht recherchierten Publikationen Ruanda einen Bärendienst.

Für die kritische Auseinandersetzung mit der heutigen Kolumne empfehle ich Ihnen folgende Werke:

Hans Christoph Buch: Kain und Abel in Afrika. Roman
Volk und Welt Verlag, 221 Seiten
Preis: antiquarisch erhältlich
ISBN: 3-353011706

Peter Scholl-Latour: Afrikanische Totenklage. Der Ausverkauf des schwarzen Kontinents
Goldmann Verlag, 544 Seiten
Preis: 8,99 Euro
ISBN: 978-3-442152193

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