Das Atom-Trauma des 21. Jahrhunderts

Bertrand Galic; Roger Vidal: Fukushima. Die Chronik einer Katastrophe; Cover: Cross Cult Verlag

Die Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 bedeutete eine Zeitenwende in der Atomenergiegeschichte: Viele Länder wandten sich vollständig von der Atomenergie ab, Japan schaltete eine Vielzahl seiner über 50 Generatoren ab und verstärkte die Sicherheitsvorkehrungen gegen einen Super-GAU. Das Eintreten eines solchen beleuchten Bertrand Galic und Roger Vidal in ihrer Graphic Novel Fukushima. Die Chronik einer Katastrophe, wobei sich das Buch nicht recht entscheiden kann, ob es nun sachlich berichten oder ein packendes Abenteuer erzählen will.

von THOMAS STÖCK

11. März 2011: Ein Erdbeben der Stärke 9,1 erschüttert die japanische Region Fukushima. Kurz darauf folgt ein Tsunami, in dessen Gepäck bis zu 14 Meter hohe Flutwellen auf die Küste treffen. An der Küste befindet sich auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi, dessen 6 Meter hohe Deiche keinen ausreichenden Schutz vor dem Meereswasser bieten. Das Stromnetz wird lahmgelegt und es entspinnt sich ein Wettlauf gegen die Zeit, um eine atomare Katastrophe im Stile Tschernobyls zu verhindern.

Heute wissen wir, dass dieser Wettlauf vergebens unternommen wurde und es zu insgesamt drei Kernschmelzen in drei der sechs Reaktoren des Kraftwerks Fukushima Daiichi kam. Doch was genau geschah in Fukushima, als Erdbeben und Tsunami den Ausnahmezustand brachten? Dieser Fragestellung widmen sich Bertrand Galic (Story) und Roger Vidal (Zeichnungen) in ihrer Graphic Novel Fukushima. Die Chronik einer Katastrophe. Aus der Perspektive des damaligen Betriebsleiters Masao Yoshida, der einige Monate später vor einer Untersuchungskommission aussagen muss, beleuchten die beiden Franzosen den Super-GAU des 21. Jahrhunderts.

Die Dunkelheit trägt blau

In Rückblicken rollen Galic und Vidal also die Geschehnisse um das Atomkraftwerk auf. Vidals Farbgebung ist dabei bestimmt durch die Abwesenheit von Licht – immerhin stehen den Mitarbeitern des Kraftwerks in den fünf Tagen nur Notstromaggregate zur Verfügung, da die Stromversorgung durch den Tsunami vollständig zusammengebrochen ist. Visualisiert wird diese Dunkelheit durch Blautöne, die zugleich an den „Übeltäter“ der Katastrophe erinnern: den tiefblauen Ozean. Zeichnerisch dargestellt wird an vielen Stellen das Ausmaß der Zerstörung, so beispielsweise die mehrfach eintretenden, in Rot eingefärbten Explosionen oder die anschließenden Suchen nach Verletzten und Toten unter den Trümmern. Auch lautmalerisch bringt Vidal uns die Atmosphäre der fünf Katastrophentage näher – gerade der Geigerzähler spielt in diesem Kontext eine tragende Rolle.

Blau trägt in Fukushima nicht nur die Dunkelheit, auch die Mitarbeiter des Atomkraftwerks sind oftmals in Blau gekleidet. Ihr Wirken, das mithin glorifiziert dargestellt wird, hat laut Galics Erzählung Schlimmeres verhindert. Nicht ohne Grund sind die Bildabfolgen nahezu ausnahmslos auf die handelnden Akteure zugeschnitten und zeichnen so die Lösungsfindungen und Analysen nach.

Erfundene Einzelschicksale und Zeitzeugnis in einem

Augenfällig ist in der Graphic Novel die geschickte Durchkreuzung von historisierendem Augenzeugenbericht und den hinzuerdichteten Einzelschicksalen, die die Handlung dramatisieren. Ob dies wirklich nötig gewesen ist, mag dahingestellt sein. Zumindest gelingt es Galic so, die Opferbereitschaft des Personals vor Ort in den Blickpunkt zu rücken. Die in der Handlung selbst bewusst nicht immer gegebene historische Genauigkeit wird durch einen Essay mit dem Titel „Die Chronik einer Katastrophe…“ (von Pierre Fetet) nachgearbeitet, sodass sich die Graphic Novel keinen Vorwurf machen lassen kann, sie habe die Atomkatastrophe für eine publikumswirksame Ausschlachtung der Ereignisse missbraucht – im Gegenteil. Fukushima ist eindrucksvolles Zeitzeugnis einer Katastrophe, die in Zeiten der wieder erstarkenden Atomenergie-Diskussionen und eines immer extremer werdenden Klimas in Erinnerung ruft, wie unsicher der Umgang mit Kernenergie ist. Ob die Zeitenwende in der Energieerzeugung tatsächlich Bestand hat oder ob die globalwirtschaftlich eintretenden Verwerfungen zu einem Rückzug auf bekannte Gefilde führen – dieser Entwicklungen harren wir gespannt, während wir Fukushima durchblättern.

Bertrand Galic u. Roger Vidal: Fukushima. Die Chronik einer Katastrophe. Übersetzung von Martin Knopp
Cross Cult Verlag, 136 Seiten
Preis: 25,00 Euro
ISBN: 978-3-96658-764-8

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