Kommatakoma im Kriegsgebiet

Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg; Cover: Die Andere Bibliothek

Seit Februar dieses Jahres hat der Krieg in Europa wieder Konjunktur. Weltweit gesehen hatte er allerdings leider nie eine Rezession. Frisch versorgt mit Nachrichten und Erzählungen aus den Krisenherden der Welt werden wir von Journalistinnen und Journalisten, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um den Krieg und seine Gesichter in unsere Friedenszeitungen zu bringen. Gabriele Riedle – selbst eine solche Kriegsreporterin – hat in In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman ihre Erlebnisse in diesem außerordentlichen Beruf in Romanform verarbeitet. Ein Roman, der es ebenso zu Recht auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 geschafft hat, wie er zu Unrecht nicht auf seine Shortlist gesetzt wurde.

von CAROLIN KAISER

Es gibt Berufe, die möchte man um seines Seelenheils willen nicht haben – ganz zu schweigen von der körperlichen Unversehrtheit. Krisengebiets- und Kriegsreporterin steht da sicherlich recht weit oben auf der Liste. Stellen Sie sich vor, Sie müssten wochenlang in einem vom Bürgerkrieg blutgetränkten Land unter Lebensgefahr durch die Straßen und Dörfer tingeln, wo Sie außer menschlichem Elend und über Jahre antrainierter Gewaltbereitschaft nicht viel zu sehen bekommen, nur um diese eine besondere Person zu finden, die Ihr wohlfinanzierter und äußerst wichtiger Chefredakteur gerne im Porträt in seinem noch viel wichtigeren Magazin hätte. Und stellen Sie sich dann vor, dass diese eine besondere Person ein Mann ist, der als Elfjähriger eine Truppe Kindersoldaten angeführt hat – unter dem Namen General Butt Naked. Genau, Sie haben Ihr Leben für ein Interview mit General Nacktarsch aufs Spiel gesetzt. Welch ein Traumberuf. Nun gibt es sicherlich auch Menschen, für die das tatsächlich der Traumberuf ist – abwechslungsreich ist der Job sicherlich. Ob die Reporterin und Autorin Gabriele Riedle auch zu diesen Menschen gehört? Ihr In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg deutet mit seinem Untertitel Eine Art Abenteuerroman zwar an, dass sie eine Anhängerin des romantisch-verwegenen Kriegsreportertums sein könnte, aber den Eindruck einer Jobempfehlung bekommt man nicht. Ganz im Gegenteil.

Taliban beim Fotografen und Wildschweine in Berlin

Die Ich-Erzählerin – wie Riedle selbst eine ehemalige Feuilletonjournalistin, die nun als Reporterin in Krisen- und Kriegsgebiete reist – erfährt aus dem Radio vom Tod des Kriegsfotografen Tim Hetherington. Der Tod ihres englischen Kollegen trifft sie schwer, stimmt sie melancholisch und nachdenklich. Es folgt ein Abstieg in ihre Vergangenheit, in die Erinnerungen an ihre verschiedenen Reportageaufträge in Krisenregionen rund um den Globus. Der Fluchtpunkt dabei: ihre Reise mit Hetherington durch Liberia, nicht allzu lange vor seinem Tod im lybischen Misrata. Und so erfahren wir vom talibanischen Afghanistan, wo Fotos und Bilder zwar offiziell als Gotteslästerung gelten, sich die Herren Taliban aber trotzdem im feinen Zwirn von einem Altmeister des Fotografenhandwerks ablichten und porträtieren lassen. Oder von einer aufstrebenden, sympathisch-charismatischen afrikanischen Politikerin – deren Mann ein übler Diktator, Kriegsverbrecher und Freizeitvergewaltiger ist und momentan in Den Haag rechtlich belangt wird. Wir sitzen zusammen mit der Erzählerin in einem Dschungel am Pazifik und lassen uns Blutegel von den Unterschenkeln reißen, während unser Blutegelbefreier – ein indigener Jäger in ebendiesem Dschungel – Pläne schmiedet, um nach Berlin zu reisen und die dortige Wildschweinplage mit seinen Jagdkünsten zu beenden.

Friede, Freude, Eierkuchen ist bad for business

Eine wiederkehrende Figur in dem Erinnerungsschwelgen der namenlosen Ich-Erzählerin ist der ebenfalls stets namenlose Chefredakteur – wobei es auch mehrere verschiedene Chefredakteure sein könnten. Riedle zielt mit der Figur des Chefredakteurs offensichtlich nicht auf eine bestimmte Person ab, sondern eher auf den Typ Chefredakteur, wie es ihn in vielen großen Journalen „in Hamburg und Manhattan“ – Riedles Sinnbild für das westlich-mondäne Metropolenjournalistentum – anscheinend geben muss. Riedle zeichnet ein wenig sympathisches Bild von diesen großen namen- und gesichtslosen Chefredakteuren (kein generisches Maskulinum), die über die Seiten der auflagenstärksten und meinungsbildendsten Magazine in Europa und Nordamerika herrschen. Es ist eine Mischung aus selbstgefälligem Gönnertum, aufgesetztem Mitgefühl für seine kriegsgeschüttelten Reporterinnen und Reportern und der knallharten Einsicht, dass Friede, Freude, Eierkuchen bad for business ist – und deswegen Leute eben dahin müssen, wo die sprichwörtliche Kacke am Dampfen ist. PTSD sind nicht mehr als vier Buchstaben für den Chefredakteur, der die meisten Leser und Leserinnen, die meisten renommierten Preise für sein Magazin einholen möchte. Auf der Höhe des moralischen Diskurses möchte der Chefredakteur aber trotz allem sein und beteuert so stets seine Ablehnung gegenüber dem kolonialistischen Blick Europas und Nordamerikas auf den Rest der Welt – bis es ein kitschiges, klischeehaftes Bild von einem indigenen Mann gibt, der als Kämpfer und Held, als moderner Winnetou, als „edler Wilde“ eben, die Seiten des eigenen Blattes zieren und die eigentlich längst zur Überholung verdammten Bilder der europäisch-nordamerikanischen Lesenden vom romantischen Leben in der „Wildnis“ bestätigen kann. Kurzum: Die Scheinheiligkeit ist laut Riedle guter Gesundheit im Journalismus. Der Roman liest sich durchaus auch als Abrechnung mit der eigenen Branche. 

Warum sollte man nochmal Ernest Hemingway mögen?

Das, was dem Roman aber zu Recht einen Platz auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 sichert, ist seine Sprache. Alle Freunde und Freundinnen kurzer Sätze, alle Hemingway-Verehrer und -Verehrerinnen – Sie müssen jetzt stark sein, denn Riedle liebt ihre mäandernden Nebensätze. Ihre bewusstseinsströmenden Schachtelsätze führen vor Augen, warum der Bewusstseinsstrom metaphorisch ein fließendes Gewässer ist. Denn trotz ihrer Komplexität lesen sich Riedles Sätze – mit der liebsten Leerformel der Rezensionszunft gesprochen – „flüssig“. Riedle schreibt Sätze mit einer Länge, die Kant und Hegel vor Neid erblassen ließe, ganz ohne Entstehen von Gehirnknoten und dem ständigen Bedürfnis, den Satz nochmal von vorne zu beginnen. Stattdessen leiten sie einen schlendernd, paradoxerweise aber doch erstaunlich zielstrebig zur Pointe des Satzes. Eine Truppe junger US-Soldaten am Hindukusch wird beispielsweise in einem solchen eleganten Satzmonstrum aus dem Schlaf geweckt:

„Mochten die verschiedenen Kräfte dort oben anstellen, was sie wollten, offenbar alles nutzlos, alles umsonst, der Gefechtslärm, das Dröhnen der Helikopter, das Echo in den Bergen, die toten Männer, die toten Ziegen, die knirschenden Knochen, Weinen, Schreien, Fluchen, die endlosen Diskussionen zwischen den brüllenden Außerirdischen aus West Virginia oder aus Texas und den Dorfältesten mit ihren hennaroten Bärten, ihren unsichtbaren Frauen und ihren Söhnen, die hinter den Felsen saßen und sich bereitmachten zum nächsten Gefecht, und dann griffen die einen an und dann wieder die anderen, und noch bevor die Tage richtig begonnen hatten, hing das Häuflein der um diese Uhrzeit noch keineswegs hünenhaften jungen Burschen, die eben erst hochgeschreckt waren von ihren Pritschen, offenbar immer wieder in bunt gemusterten Unterhosen, Plastikschlappen und farbigen T-Shirts in den Kampfständen hinter den Sandsäcken, gerade dass sie es noch geschafft hatten, ihre Helme aufzusetzen und die Schutzweste mit den aufgesetzten Taschen voller Munition über die T-Shirts zu ziehen, und ganz sicher, ohne sich vorher die Zähne geputzt zu haben, dafür aber mit dem dumpfen Geschmack der Nacht in den Mündern, feuerten sie dann in die Landschaft.“

Wann haben Sie das letzte Mal einen solch langen Satz gelesen? Bei mir war es auf jeden Fall schon länger her – viel zu lange, wie ich nach der Lektüre von Riedles Roman festgestellt habe. Der rhythmische Schachtelsatz, der auch vor der ein oder anderen krummen Formulierung als Opfer an die lyrische Stimmungslage nicht zurückschreckt, ist zu Unrecht aus der Mode gekommen. Allzu viele Connaisseusen des Bandwurmsatzes (wie mich) scheint es aber in der Jury des Deutschen Buchpreises nicht zu geben: Den Sprung von der Long- auf die Shortlist hat In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg nicht geschafft. Die vollständige Rehabilitierung des Kommatakomas als guter literarischer Stil steht also weiterhin aus. Riedle hat hierfür auf jeden Fall aber schon mal den Anfang gemacht.

Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman

Die Andere Bibliothek, 264 Seiten

Preis: 24,00 Euro

ISBN: 9783847720508

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