Falls Sie mal wieder einen Buchtipp benötigen, bei dem sich Ihnen die Fußnägel hochrollen, habe ich genau das Richtige für Sie: Javier Cercas’ Terra Alta-Trilogie. Ein altbackener Schlägerpolizist trifft in Katalonien auf Frauen in der festgefahrenen Opferrolle, auf kriminelle Ausländer und auch stumpfe Parolen, die jedem Stammtisch im tiefsten Keller der abgewirtschaftesten Kneipe Konkurrenz machen würden. Lesen auf eigene Gefahr!
von THOMAS STÖCK
Was habe ich dieses Jahr nicht schon alles lesen dürfen! Clever konstruierte Romane, Erzählungen mit Tiefgang, Stories von Belang. Nichts davon ist die Terra Alta-Trilogie. Erst vor kurzem habe ich Susanne Lange zu ihrer herausragenden Übersetzung von Miguel de Cervantes’ Klassiker der Weltliteratur beglückwünscht, nun muss ich sie für ihr Mitwirken an diesem „literarischen Fastfood“ (wie Sigrid Löffler sagen würde) bemitleiden. Selten habe ich von einem offensichtlich so fähigen Literaten wie Javier Cercas – man werfe einen Blick in seine preisprämierte Publikationsliste – so einen Murks zusammenfantasiert gesehen wie in der Reihe Terra Alta. Womit ich mir das Recht zu einem solch vernichtenden Urteil herausnehme? Bei meiner Lektüre habe ich dreierlei (Ab-)Gründe in den ersten beiden Bänden zusammentragen können, die sich vor mir aufgetan haben. Das Weiterlesen erfolgt auf eigene Gefahr, insbesondere deshalb, weil ich die abstruse Handlung spoilern muss, um meine Kritik vernünftig anbringen zu können.
(Ab-)Grund 1) Die Hauptfigur: Der Hardboiled Detective hat ausgedient
Melchor Marín ist der Sohn einer Prostituierten, die ermordet wird. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Marín im Gefängnis, weil er in seiner Jugend in verschiedene Drogendelikte verwickelt ist. Gemeinsam mit der Lektüre von Victor Hugos Die Elenden (Orig.: Les Misérables) gelangt Marín vom Pfad der Verdammnis auf den der Gerechten: Er will Polizist werden, auch damit er den Mord an seiner Mutter aufklären kann. Auf dem Weg dahin verprügelt er jeden Mann, der seine Frau tätlich angreift. Warum das notwendig ist? Augenscheinlich ist die spanische Justiz außerstande, für Gerechtigkeit zu sorgen – diese scheint auch ausschließlich darin zu bestehen, dass die Täter die gleiche Gewalt durchleben wie ihre Opfer. Ein krudes Verständnis des modernen Rechtsstaats, das man aus der Hardboiled School kennt, in der Polizisten und Privatdetektive gern die Grenzen des Erlaubten übertreten, um ans Ziel zu kommen. Doch diese Detektive haben sich nicht umsonst längst überholt: Selbstjustiz war vielleicht im Wilden Westen der USA mal von Nöten, um überhaupt eine Form des Rechtsausgleichs herstellen zu können, da es keine etablierte Staatsmacht gab, für Spanien gilt das aber nicht.
Von seinem Rowdytum als Schlägerpolizist mal abgesehen (das in beiden Teilen innerhalb der Polizei bekannt ist) zeichnet sich Marín durch keine besonderen Eigenschaften aus. Er ist wortkarg, liest seit seinem Knastaufenthalt gern Romane des 19. Jahrhunderts und hat bei Kriminalfällen immer den richtigen Riecher, auch wenn er selbst nicht einmal weiß, wieso. Ach, übrigens: In Die Erpressung wird Marín mehrfach darauf hingewiesen, dass ein gewisser Javier Cercas einen Roman über ihn geschrieben haben soll, der den Titel Terra Alta trägt. Marín weigert sich, dieses Buch zu lesen, alle anderen Figuren, die darüber sprechen, halten das Buch für schlecht bzw. sprechen ihm jeden Wahrheitsgehalt ab. Wenn es mehr nicht über einen Roman zu sagen gibt, wie nah er an die Realität heranreicht, dann kann ich verstehen, dass man sich die Lektüre spart. Auf jeden Fall nett von Cercas’ Figurenkonglomerat, dass sie uns den Lektüreprozess richtig einordnen.
(Ab-)Grund 2) Die Nebenfiguren: Frauen sind Opfer, das kriminelle Milieu besteht aus Ausländern
Wo wir gerade dabei sind, über die Figuren zu sprechen: Auch hier werden wir in eine andere Epoche zurückversetzt. Beispiel gefällig? Maríns Mutter wird ermordet, seine Frau wird angefahren und verstirbt, neben dem alten Papiermagnaten Adell werden auch seine Frau und die Haushälterin Opfer eines Mordanschlags, der eigentlich nur dem alten Mann gilt. Unzählige Frauen werden zudem von ihren Männern verprügelt oder von einer Gruppe reicher Heranwachsender unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Selbst das Töchterchen der Adells, die Erbin Rosa, wird als einsame und verletzliche Frau dargestellt, obwohl sich um sie herum nur raubeinige Draufgänger-Unternehmer finden. Immerhin gelingt es ihr zumindest, das Imperium des Vaters gewinnbringend fortzuführen. In den Reihen der Polizisten findet sich hingegen ein weiterer Stereotyp: das der Frau, die durch sexuelle Avancen durch ihren Vorgesetzten protegiert wird.
Liebe Damen, ich darf Sie aber trösten: Es hätte schlimmer kommen können. Wendet man sich von der Opfer- zur Täterrolle, so entdeckt man auch hier das althergebrachte Bedienen von Stereotypen: Kriminelle sind zumeist vor allem eines: Ausländer. Den Drogenhandel betreiben die Südamerikaner, besonders grausam sind die Mexikaner und die Rumänen sind auch immer mit drin, auch wenn man mit denen eher sprechen kann als mit den Mexikanern. Immerhin sind die Rumänen auf ihren eigenen Vorteil bedacht, wohingegen die Mexikaner einfach Spaß am Foltern haben. Auch Maríns Compagnon im Gefängnis wird nur auf seine Herkunft reduziert „der Franzose“ genannt. Man ist fast schon dankbar, dass die wirklich schlimmen Täter sich im zweiten Teil des Bandes als reiche Emporkömmlinge und Politiker entpuppen, sodass die rassistischen Stereotype anderen (wenngleich ähnlich hohlen) Stereotypen weichen.
(Ab-)Grund 3) Die Themen: Spanische Geschichte als Deckmantel für Stammtischparolen
Eines der Verkaufsargumente dieser Reihe soll außerdem die Einbettung der Kriminalerzählungen in die spanische Historie sein. Während sich im ersten Trilogie-Teil Terra Alta. Geschichte einer Rache die Handlung angeblich vor dem Spanischen Bürgerkrieg zuträgt, rückt der zweite Teil näher an die politische Gegenwart von Cercas’ Heimatland heran, indem dort die katalonische Unabhängigkeitsbewegung Erwähnung findet. Tatsächlich hat aber schon der erste Teil nichts mit dem Spanischen Bürgerkrieg zu tun. An dieser Stelle muss ich spoilern, um meinen Punkt näher auszuführen: Der wahre Drahtzieher ist ein mexikanischer Geschäftsmann, der zugleich der Sohn eines durch den alten Adell ermordeten katalonischen Mannes ist. Das wird aber nur im Geständnis dieses Mannes thematisiert, zuvor spielt auf der Suche nach den Tätern lediglich die Frage eine Rolle, ob der Schwiegersohn oder der Geschäftsführer der Drahtzieher ist – den kriminellen Mexikaner lernt man erst am Ende der Erzählung kennen. Der Spanische Bürgerkrieg findet nur im randständigen Gespräch einiger alter Männer Thematisierung, für den Kriminalfall hat dieses Gespräch gar keine Bedeutung.
Noch abstruser wird es aber im zweiten Teil: Hier soll angeblich die spanische Unabhängigkeitsbewegung ihr Fett wegbekommen. Tatsächlich wird Barcelonas Bürgermeisterin mit einem Sexvideo erpresst, das sie während einer Orgie zeigt. Die Täter sind reiche Schnösel, die auf unterschiedlichste Weise mit ihr verbandelt sind. Wohlbemerkt handelt es sich bei diesen Schnöseln um Vergewaltiger, die ihren sonstigen Opfern irgendwas in den Drink mischten und sie mit Gewalt bedrohten, sollten sie nicht die Klappe halten. Von der Bürgermeisterin hingegen sind sie so beeindruckt, dass einer aus ihren Reihen sie heiratet und ein anderer ihr Stellvertreter im Bürgermeisteramt wird. Und dann beteiligen sie sich an ihrer Erpressung, um sie wieder loszuwerden. Ja, diese Handlung hat sich ein arrivierter Literat ausgedacht und nicht ein Wald- und Wiesenkriminalromancier. Was das Ganze mit der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung zu tun hat? Nun, irgendwo findet auch Puigdemont Erwähnung! Na gut, das hat mit der Handlung nichts zu tun. Aber immerhin wird dieses Mal wieder über Politik diskutiert.
Und an diesem Zeitpunkt sind wir auch am absoluten Tiefpunkt angelangt: Cercas zieht alle Register und haut eine Stammtischparole nach der nächsten heraus. Bei diesem Gespräch zwischen Maríns Stiefvater und zwei Männern, die zwischenzeitlich Maríns Tochter vor Ungemach schützen sollen, sich dann aber als Universitätsprofessoren entpuppen, besteht die gesamte Politikerkaste aus Kriminellen und es wird gegen den bösen Kapitalismus gewettert. Das Ganze geschieht derart plump, dass ich diesen stumpfen Parolen keine Plattform bieten möchte. Lassen Sie besser die Finger von der Terra Alta-Trilogie, denn Spanien hat Besseres verdient.
Javier Cercas: Terra Alta. Geschichte einer Rache. Aus dem Spanischen von Susanne Lange
S. Fischer Verlag, 448 Seiten
Preis: 24,00 Euro
ISBN: 978-3-10-397070-8
Javier Cercas: Die Erpressung. Terra Alta 2. Aus dem Spanischen von Susanne Lange
S. Fischer Verlag, 432 Seiten
Preis: 25,00 Euro
ISBN: 978-3-10-397119-4
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