An der Garderobe. Da ist er. Herr Harald. Ein Mann in seinem Alltag. Der tragisch wie komische Protagonist in Dagmar Leopolds Roman Dagegen die Elefanten! nimmt einen an die Hand und zeigt, wie herzlich die Einsamkeit sein kann.
von CHRISTIN WEIDENFELLER
Inmitten von Jacken und Mänteln, da ist sein Einsatzort: Die Oper, Balkon links, und wenn Not am Mann ist, die Philharmonie im Untergeschoss. Die Hände in weißen Handschuhen, übergibt er die gestanzte Messingnummer an den Eigentümer des noch warmen Mantels. Dann lauscht er den Klaviersolos oder den Kammermusikabenden – und denkt sich schöne Antworten auf nicht gestellte Fragen aus. Oder er denkt über Hintergrund und Untergrund nach oder über das Wort „Sitzfleisch“. Und manchmal, da holt Herr Harald, aus einer geräumigen Schublade unter der Theke den Grundkurs Italienisch I Bella Italia hervor und sein bescheidener aufgeschnappter Wortschatz aus Opernarien rund um Liebesdinge wird eingebettet in ein Italienisch, welches er beim Reisen nutzen könnte. Wenn er denn reiste. Aber das ist nicht wichtig. Denn um glücklich zu sein, bedarf es nicht viel für Herrn Harald.
Es gibt Leben mit Walzer, und es gibt Leben ohne Walzer
Dagmar Leopold erschafft in ihrem Roman einen Protagonisten, der nicht auf der Bühne steht, sondern als Garderobier hinten im Foyer agiert. Jemand, der ein Notizbuch voller schöner Wörter des Monats und unausgesprochene Sätze besitzt, aber schweigsam bleibt. Wir begleiten das unspektakuläre Alltagsleben von Herrn Harald aus der dritten Person. Die ersten Stunden des Tages verbringt er mit Staubsaugen, Einkäufen oder Vorbereitungen fürs Mittagessen. An besonderen Tagen, was bisher etwa zweimal in drei Jahrzehnten vorgekommen ist, genehmigt sich Herr Harald eine Cola im „Ratschkath’l“, der Kneipe an der Ecke. An freien Tagen oder in den Theaterferien besucht er auch gerne Klavierkonzerte. Sein Leben ist geknüpft an Rituale, heute Einkaufen, morgen waschen. Manchmal bemerkt man, wie einsam Herr Harald ist. Wenn er allein seine Tierdokus schaut, oder wenn er den Schlafanzug wie gewohnt jeden Abend tröstlich auf ihn wartend unter der Decke vorfindet. Herr Haralds Leben ist ein Leben ohne Walzer, aber er versucht ihm dennoch ein paar schöne Töne zu entlocken. Dagmar Leopold erzählt die Geschichte tröstlich und liebevoll. Ihre Schilderungen der sonst so unspektakulären Momente des Alltags schafft eine ungemeine Sympathie. Und Sehnsucht nach Friedlichkeit.
Von dem Schrecken im Mantel und der Liebe zwischen den Noten
Neben all den bekannten und gewohnten Erledigungen begleiten wir Herrn Harald an einem Abend zur Arbeit an dem alles etwas anders verläuft. Er hat bereits fast alle Mäntel zurück an ihre Besitzer gegeben, nur einer hängt verlassen an seinem Hacken. Ein Trenchcoat. Der Kragen und die Ärmelränder sind abgewetzt, er ist beige. Der Inhaber ist nicht zu entdecken. Herr Harald überlegt, ob er auf der Toilette feststeckt, die ein oder andere Tür klemmt, nämlich dort. Herr Harald beschließt zu warten. Die Minuten verstreichen doch keiner kommt. Herr Harald steht auf und nimmt den Mantel vom Hacken. Er ist schwer. Ergreift in die rechte Tasche und findet zu seinem Schrecken eine Pistole. Was macht er damit? Er nimmt sie mit nach Hause. Dort bleibt sie erstmal im stillen Römertopf.
Danach verläuft sein Leben nicht mehr so geordnet wie zuvor. In diese geplatzte Ordnung, gesellt sich eine Frau dazu. Herr Harald erblickt sie bei einem Klavierabend. Sie blättert die Noten für einen Pianisten um. Herr Harald ist völlig fasziniert, seine Gedanken kreisen darum, ob sie Marie oder Johanna heißen mag, oder ob sie mit dem Fahrrad zur Arbeit gekommen ist. Er hat sich ein kleines bisschen in die Frau mit dem schwarzen Kleid und den flachen Schuhen verliebt. Sie scheint ein Spiegelbild seiner eigenen Person zu sein, notwendig, aber nicht sichtbar.
Literarische Eleganz und Sympathie
Dagmar Leopold hat einen Roman voller Detailbeobachtungen geschaffen. Der Blick wird auf das Nebensächliche gelenkt und lässt das Besondere am routinierten Alltag erkennen. Mit ihren liebevollen und tröstlichen Worten leitet sie den Leser durch das Leben von Herrn Harald, über ein ganzes Jahr von Februar bis Februar. Ihr Roman über das Übersehen und das Leben in der Einsamkeit mit Fantasie und Abenteuer hinterlässt ein wohlig warmes Gefühl und spendet Trost.
Dagmar Leopold: Dagegen die Elefanten!
Jung & Jung, 266 Seiten
Preis: 23 Euro
ISBN: 978-3-99027-262-6