Im Herzen von Europa, genauer gesagt in der Finanzmetropole Frankfurt am Main findet – nach zwei Jahren Coronapause – endlich wieder die größte deutschsprachige Buchmesse statt. Von Mittwoch, dem 19. Oktober bis einschließlich Sonntag richtete sich die Buchmesse an ein Fachpublikum und öffnete an den letzten beiden Tagen auch für ein breiteres Publikum. Wir waren für euch vor Ort und möchten von unseren Eindrücken berichten.
von THOMAS STÖCK
Zu früher Stunde begann unsere Reise im Zug. Reichlich verschlafen, doch ohne Verspätung trafen wir in Frankfurt ein und nach einem kurzen Fußweg gelangten wir aufs Messegelände. Als Erstes machte ich mich auf den Weg zur Halle des diesjährigen Buchmessen-Gastlandes Spanien. Bei meinem letztmaligen Messebesuch 2018 war Georgien als Gastland eine willkommene Erweiterung meiner inneren Landkarte literarischer Streifzüge, die durch das Studium noch weitestgehend unerschlossen dalag. Spanien und spanische Autoren hingegen finden an so einigen Stellen in der Komparatistik Erwähnung, sodass ich vom soliden Auftritt der südländischen Literatur noch nicht aus der Reserve gelockt wurde. Ich blickte abgeklärt auf die ausgestellten Bücher und konnte beispielsweise feststellen, dass Miguel de Cervantes, aber auch Javier Cercas ihren festen Platz im Reigen der ausgestellten Literatur genießen.
ARD-Forum bietet weiblichen Zukunftsvisionen die große Bühne
Nach einigen kurzweiligen Intermezzi mit deutschsprachigen Verlagen – deren Programm ich gern an anderer Stelle (in Form von Rezensionen) in den Blickpunkt rücken möchte – nahm ich an der Talkreihe Sheroes – Streiterinnen für die Zukunft teil. Moderatorin und Autorin Jagoda Marinić besprach an jedem Tag der Buchmesse mit wechselnden weiblichen Gästen die Zukunft, wie sie die Autorinnen in ihren Büchern ausgestalten. Und ziehen dann ihre Schlüsse, was das für unsere Zukunft bedeutet.
Ich hatte das Glück, der Soziologin Maja Göpel und der Autorin Theresia Enzensberger (falls auch Sie sich diese Frage stellen: ja, die Tochter von Hans Magnus Enzensberger) lauschen zu dürfen. Kluge Fragen und umsichtige Antworten gaben sich die Klinke in die Hand. Besonders beeindruckt war ich von Göpels differenzierter Sichtweise und ihr Bemühen um eine Beteiligung der Wissenschaft an unserer Zukunftsgestaltung. Genauso beeindruckt war ich davon, dass es ihr während ihrer Redebeiträge auch gelang, sich mehrfach neu zu frisieren (Frisuren habe ich derer vier gezählt, haben Sie mehr entdeckt?)! Spaß beiseite, Göpels Buch Wir können auch anders: Aufbruch in die Welt von morgen ist sofort auf meine Leseliste gewandert.
Genauso übrigens Theresia Enzensberger. Als Autorin scheint sie einiges drauf zu haben, darf ich von ihren Redebeiträgen in der Sendung auf ihr literarisches Werk schließen. Ihre Dystopie Auf See hat sich ihren Platz an Göpels Seite redlich verdient – aber horchen Sie doch selbst einmal hinein in das Gespräch.
Zwischen Wodka, Whiskey und Wohlfühloase: Internationale Stände auf der Buchmesse
Nach einem weiteren Parforceritt durch die deutsche Verlagslandschaft und einem Kurzbesuch bei Leïla Slimani auf dem blauen Sofa wandte ich mich den zahlreichen internationalen Ausstellern zu. Frankfurt bietet vielen Ländern die große Bühne, um sich und die eigene Literaturlandschaft darzustellen. Und viele Länder nehmen diese Möglichkeit der Selbstdarstellung dankend an: Die Stände der arabischen Welt sind auf Hochglanz poliert und bieten ihren Besuchern eine absolute Wohlfühloase.
Ob es dabei wirklich um Literatur geht? Man darf da seine Zweifel haben. Abseits der offiziellen Repräsentation seitens der jeweiligen Regierungen hat es jedenfalls keine originalsprachige Literatur aus diesen Ländern bis auf die Buchmesse geschafft. Ein ähnlich mulmiges Gefühl hatte ich beim Kontakt mit dem türkischen Stand, da die Türkei ja auch nicht unbedingt mit ihrem Eintreten für Demokratie und der Freiheit des Wortes hausieren geht. Die angebotenen Gratisbücher von Klassikern türkischer Literatur nahm ich zwar trotzdem entgegen, doch auch in diesem Fall ist die Buchmesse mehr Politikum als Bühne der Literatur.
Die große Frankfurter Bühne nutzen auch viele europäische Länder. Frankreich und Italien dominieren dabei das Bild, wohingegen kleinere Länder mit ihren Auftritten zu imponieren wissen. Für ihr Publikum bieten beispielsweise sowohl der estnische als auch der lettische Stand ein paar Kurze, damit die Verkaufsgespräche so richtig in Gang kommen. Bei den lettischen Vertretern scheint dies auch notwendig zu sein, um die Zunge zu lösen, schließlich wirbt Lettland damit, dass das lettische Volk besonders introvertiert sei und lieber seine Literatur für sich sprechen lasse. Wenn Ihnen Wodka nicht zusagt, können Sie auch einen Whiskey am schottischen Stand genießen oder einen Sekt bei den Finnen entgegennehmen. Für das leibliche Wohl ist also gesorgt. Für die Zukunft richte ich einen gespannten Blick auf die osteuropäischen Vertreter und ihre Literatur, die sich von ihrer besten Seite präsentierten. Unter besonderer Beobachtung wird vor allen Dingen Slowenien stehen: Das Land ist 2023 Gastland der Buchmesse.
Während die britisch-amerikanisch-indische Verlagswelt die übrige Buchmesse dominiert, hatten es mir hingegen die kleineren Stände von Ländern angetan, deren Literatur nicht ganz so oft über den Ladentisch geht. Chile beispielsweise bettet seinen Stand durch eine indigen anmutende Zeichenkunst thematisch in unsere heutige Zeit ein und lässt durch die Illustratorin Carola Josefa einen Heilungstanz in Zeiten von Veränderung und Chaos vorführen. Auch die vielen afrikanischen Stände (von derer Vielzahl ich positiv überrascht war) nahm ich besonders genau unter die Lupe: Augenfällig wurde mir hier, dass besonders Kinderbücher verlegt werden. „Hohe“ Literatur aus diesen Ländern findet ihren Weg leider nicht auf die Buchmesse, was ich ausgesprochen bedauere.
Zusammenkunft bei Lesefutter: Ein Fazit

Nicht alle Lesebegeisterten dürstete es nach Wodka und Whiskey. Und so fuhr ich nicht beschwipst, aber dennoch mit einem wohligen Gefühl in der Magengegend nach Hause. Endlich wieder aufgrund der Bücher zusammenkommen! Für die Zukunft werde ich die Messe aber entschleunigen müssen, um aus meinem Parforceritt durch die halbe Messe einen entspannten Spaziergang mit Gesprächen der hart arbeitenden Verlags- und Schriftstellerbranche erwachsen zu lassen.
Denn genau darum geht es doch eigentlich: Aufgrund der Literatur zusammenzufinden. Die diesjährige Frankfurter Buchmesse hat mir genau die Glücksgefühle beschert, die nur die Ansammlung zahlloser Bücher in mir auslösen kann – und ich freue mich darauf, das nun aufgefundene Lesefutter zu vertilgen. Was meinen Hunger stillt, davon berichte ich an anderer Stelle.