Was geschieht mit Talent und Kunst, wenn es nicht als solches erkannt und wertgeschätzt werden kann? Tania Blixen erzählt in Babettes Gastmahl die Geschichte einer Künstlerin, deren Talent genau diesem Umstand zum Opfer fällt. Es ist die Erzählung der Anhebung des Menschen durch die Kunst und wie diese ihn aus seinen schicksalhaften Zwängen befreien kann. Eine scheinbar unscheinbare Lektüre, die zum Nachdenken über den Kunstbegriff anregt.
von JULIA LEWEN
Die gebürtige Dänin Tania Blixen veröffentlicht ihre Erzählung mit dem Titel Babettes Gastmahl erstmals 1950 als Vorabveröffentlichung in einer amerikanischen Zeitschrift namens Ladies’ Home Journal. Erst acht Jahre später erscheint die stark umgeänderte dänische Buchfassung. 1987 erlangte die Novelle dank einer preisgekrönten Verfilmung ihren Weltruhm, doch die deutsche Übersetzung hat noch lange auf sich warten lassen. Erst kürzlich erscheint nun auch die verspätete, erste und vollständige deutsche Übersetzung der Novelle.
Es wird die Geschichte von Babette erzählt, die aufgrund der Französischen Revolution nach Dänemark in eine kleine christliche Dorfgemeinschaft flieht, die dem Pietismus verschrieben ist. Dort wird sie von Martine und Phillipa aufgenommen, den Töchtern des bereits verstorbenen Gemeindegründers und Predigers. Ihr Leben ist gekennzeichnet vom Versagen jeglicher Sinneslust. Die Gemeinschaft glaubt nämlich daran, dass die einfache und streng entsagende pietistische Lebensart zu Belohnungen im Himmel führt. Vierzehn graue Jahre gehen vorbei und Babette gewinnt in einer Lotterie 10.000 Francs und veranstaltet zum 100. Gedenktag des hochgeschätzten Predigers ein französisches Festmahl, wofür sie aus freier Entscheidung all ihr gewonnenes Geld ausgibt. Die Schwestern befürchten einen „Hexensabbat“ und bitten die eingeladenen Gemeindemitglieder, kein Wort über die aufgetischten Speisen zu verlieren. Dabei ahnen sie aber nicht, welches Talent in ihrer Köchin schlummert. Somit vergeht das grandiose Festmahl, ohne dass die Pietisten es als solches erkennen und würdigen. Alle außer einer, der die Vorzüglichkeit und Expertise des Mahls erkennt, da er diese schon mal in Paris gekostet hat. Es offenbart sich, dass Babette vor ihrer Zeit in Dänemark als sehr erfolgreiche Chefköchin in Paris tätig und rund um die Uhr von der Pariser High Society umgeben war.
Zwei Welten treffen aufeinander
Es ist eine Geschichte über Selbstbestimmung, die Französische Revolution, großes und erhabenes Leben, Erfolg und Überfluss. Gleichzeitig wird aber auch eine Geschichte erzählt vom Verlust des freien Willens, vom bewussten Entschluss, sein Leben dem Pietismus zu verschreiben, von der Absage an die Freuden des Lebens. Und was geschieht, wenn beide diese Welten aufeinandertreffen: Selbstaufopferung, christliche Nächstenliebe, menschliche Treue, ein farbloses und entsagendes Leben. Die Nächstenliebe der beiden Schwestern, die Babette in ihrer Not aufnehmen, wird von ihr – einer talentierten Künstlerin – mit dem letzten und einzigen Hab und Gut zurückbezahlt, welches sie noch besitzt: ihr Talent als Köchin. Denn obwohl Babette finanziell gesehen am Abgrund steht, sieht sie sich selbst dennoch als reich an: „Nein. Arm bin ich nie. Ich habe Ihnen gesagt, ich bin eine große Künstlerin. Eine große Künstlerin, Mesdames, ist niemals arm. Wir haben etwas, Mesdames, wovon andere Leute nichts wissen.“
Ein Künstler kann sich sein Publikum leider nicht aussuchen
Die talentierte Babette lässt mit dem Festmahl vielleicht zum letzten Mal ihre Kunst für sich sprechen, bevor sie wieder in der grauen pietistischen Einöde durch Stockfisch und Stielmus begraben werden muss. Dafür gibt sie ihr Äußerstes, um die beste Kreation ihres Lebens zu erschaffen. Das Resultat ist ein aufwendiges, kunstvolles und fabelhaftes Fest, welches sehr detailliert beschrieben wird. Bei dem Leser entsteht das Bedürfnis, Teil dieses Spektakels sein zu wollen, um Babettes Kunst miterleben zu können. Doch das kleine Städtchen Berlevaag gibt mit ihren Gemeindemitgliedern, die jeglichen Freuden des Lebens entsagen, nicht das gewünschte Publikum für die Köchin her. Sie erkennen nicht, was für ein Meisterwerk an kulinarischem Genuss vor ihnen auf dem Teller liegt. Dabei ist Babette aus ihrer Zeit in Paris ein ganz anderes Publikum gewöhnt: Die Menschen dort waren dazu erzogen und ausgebildet, diese Art von Kunst genießen und würdigen zu können. Sie haben ihre Kunst als solche erkannt und wertgeschätzt.
Somit dreht sich die Erzählung nicht um das Essen oder die Spitzengastronomie. Tania Blixen erschafft mit Babettes Gastmahl eine überraschend tiefgreifende Geschichte über das Künstlerdasein, verbunden mit den Höhen und Tiefen dieser Lebensform. Vom Leben im Überfluss, wo die eigenen köstlichen Früchte des Erfolgs geerntet werden, bis hinunter zur übersehenen Existenz, wo das eigene Talent in Ketten gehalten wird, ist alles dabei.
Tania Blixen: Babettes Gastmahl. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Mit einem Nachwort von Erik Fosnes Hansen
Manesse Verlag, 120 Seiten
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-7175-6001-2