Heute vor 72 Jahren beging der japanische Autor Yukio Mishima rituellen Selbstmord, nachdem ein halbherzig von ihm geplanter Putsch gegen die japanische Regierung gescheitert war. Ein literarischer Superstar seiner Zeit, aber auch ein nationalistisch-militaristischer Aktivist, der sich seine eigene rechte Privatmiliz zusammenstellte – Mishima gehört sicherlich zu den schillernderen Figuren des literarischen 20. Jahrhunderts. Ein Porträt allein kann den Wahnsinn der Figur Yukio Mishima sicherlich nicht einfangen. Hier also stattdessen der Versuch einer Annäherung.
von CAROLIN KAISER
Wer ein Porträt mit überschaubarer Länge über den 1925 unter dem Namen Kimitake Hiraoka geborenen Schriftsteller Yukio Mishima schreiben möchte, steht vor einer großen Frage: Werk oder Leben – was soll im Fokus stehen? Beides würde genug Material für mehrere Porträts hergeben: Mishima hat 34 Romane sowie zahlreiche Kurzgeschichten, Theaterstücke und Essays verfasst, was ihm in den 1960er Jahren den Status als Dauerfavorit für den Literaturnobelpreis einbrachte – nicht jedoch den Preis selbst. Und was Mishimas Leben anbelangt – nun ja, er war ein Mann mit Meinungen und genug Romantik, diese auch in halbherzige, wenig aussichtsreiche Taten umzusetzen. Ach ja, und Bodybuilder und Erotikmodel war er ebenfalls. Und Mitglied der Japan Flying Saucer Research Association, also ein Ufo-Enthusiast. Mishima gehört zu den Personen, bei denen man das Gefühl hat, weniger über sie zu wissen, je mehr man über sie weiß. Vielleicht ist ein aufschlussreiches Mishima-Porträt eine Unmöglichkeit, eine halbherzige, wenig aussichtsreiche Tat.
Der putschförmige Elefant im Raum
Für ein Porträt, das sich Mishimas Tod am 25. November 1970 zum Anlass nimmt, ist es nur angemessen, auch auf diesen 25. November und den sogenannten Mishima-Vorfall genauer einzugehen. Ab den 1960er Jahren begann Mishima – zu der Zeit schon ein Literaturpromi – sich immer öfter und expliziter politisch in der Öffentlichkeit zu äußern. Entwicklungen, die Mishima als fatal für Japan, sein Volk und seine Kultur einschätzte, waren neben dem zunehmenden kulturellen und politischen Einfluss der USA auch die politisch linken Studierendenunruhen und Proteste in Tokio, die gerade in den späten 60ern zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen Studierenden und der Polizei führten. Als Nostalgiker für alte Zeiten und Wertvorstellungen sah Mishima die Modernisierung und Pazifizierung Japans als Bedrohung an und die Proteste der Studierenden als Schritt in die falsche Richtung. Anstatt mehr Demokratisierung und soziale Gerechtigkeit forderte Mishima die Wiederbewaffnung Japans – am besten direkt mit Atomwaffen – und die Rehabilitierung des japanischen Kaisers als politischen Machthaber. Er propagierte also einen deutlichen Bruch mit der japanischen Nachkriegsordnung. Als Antwort auf die randalierenden linken Studierenden – deren Neigung zur Gewalt Mishima sehr schätzte und als eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen sich und ihnen sah – gründete Mishima im Oktober 1968 die Tatenokai – eine Miliz aus rechtsgerichteten Studenten (kein generisches Maskulinum). Für die Erreichung der Ziele der Tatenokai – Bekämpfung des Kommunismus und Verteidigung traditioneller japanischer Werte – wurde von den Mitgliedern die Teilnahme an einer körperlichen Ausbildung erwartet, die mehrere Leichtathletikdisziplinen und japanische Kampfsportarten umfasste. Der Ausbilder? Kampfsportenthusiast und Wertschätzer durchtrainierter Körper Yukio Mishima höchstpersönlich. Dank Mishimas guter Vernetzung in hohe politische Kreise genoss die Tatenokai das Privileg zusätzlich noch mit Einheiten der Selbstverteidigungsstreitkräfte – der Armee Japans – zu trainieren. Finanzielle Unterstützung gab es zudem vom damaligen Premierminister Satō Eisaku, also von ganz oben.
Sterben wie ein Samurai
Trotz dieser guten Verbindungen zur politischen Elite Japans, entschieden sich Mishima und die Tatenokai am 25. November 1970 die japanische Armee zu einem Militärputsch zu drängen. Unter einem Vorwand trafen sich Mishima und vier weitere Mitglieder der rechten Miliz mit dem Kommandanten eines der Hauptquartiere der Armee und verbarrikadierten sich mit ihm als Geisel in seinem Büro. Mishima – uniformiert und mit Stirnband – trat schließlich auf den Balkon des Gebäudes, um die Soldaten der japanischen Streitkräfte mit einer Rede zur Besetzung des Parlamentsgebäudes aufzuwiegeln, damit die Parlamentarier die politische Macht wieder auf den Kaiser übertragen. Sein Publikum erreichte Mishima jedoch nicht: Die Soldaten schenkten ihm wenig Aufmerksamkeit und er sah sich gezwungen, seine Rede frühzeitig zu beenden. Der Putschversuch war krachend gescheitert. Als Verehrer der alten Ehrenvorstellung der Samurai beging Mishima direkt nach seiner Balkonrede Seppuku – ein Selbstmordritual, das zur Wiederherstellung verlorener (männlicher) Ehrhaftigkeit führen sollte. Wie ernst es Mishima mit seinem Putschversuch tatsächlich meinte, ist umstritten. Angeblich soll Mishima das genaue Datum seines Selbstmordes schon Jahre zuvor auf den 25. November 1970 festgelegt haben, was dafür sprechen würde, dass Mishima schon im Voraus davon ausgegangen sein könnte, dass sein Putsch scheitern wird. Dass Mishimas Leben ein solch gewaltvolles Ende gefunden hat1, passt auf morbide Weise zu seinem literarischen Werk. Mishimas Romane sind durchzogen von einer starken Ästhetisierung von Gewalt. Als Autor schien Mishima nach der Schönheit in Gewaltakten zu suchen. So beispielsweise in Der goldene Pavillon (jap. Original: Kinkakuji) aus dem Jahr 1956, in dem ein junger, äußerst hässlicher Mönch ein Tempelgebäude anzündet, von dessen Schönheit er besessen ist. Es ist gerade diese Zwiespältigkeit zwischen Schönheit und Gewalt, Erhabenheit und sinnloser Zerstörung, zwischen Mitgefühl und Nihilismus, die Mishimas literarisches Werk so faszinierend macht. Immerhin das bleibt von dem Mann, der heute vor 72 Jahren auf lächerliche Art und Weise versucht hat, das japanische Militär gegen seine Regierung aufzuwiegeln.
1ACHTUNG: graphische Beschreibung von Selbstmord!* Beim Seppuku wird nicht nur der Bauch aufgeschlitzt, sondern zeitgleich auch der Kopf des Suizidenten von einer zweiten Person abgetrennt. Bei Mishima ging dieser Enthauptungsprozess jedoch schief und es brauchte mehrere Ansätze bis Mishimas Kopf schließlich vom Rest seines Körpers geschieden war. Für Mishimas Beerdigung wurde sein Kopf übrigens wieder an seinen Körper angenäht und sein Gesicht so geschminkt, dass er – angeblich – wieder wie lebendig aussah.
Meine Empfehlungen:
Yukio Mishima: Der goldene Pavillon. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Kein und Aber, 336 Seiten.
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-0369-5807-1
Yukio Mishima: The sailor who fell from grace with the sea. Translated from the Japanese by John Nathan
Random House, 144 Seiten.
Preis: 10,49 Euro
ISBN: 978-0-09-928479-6
Mishima. Ein Leben in vier Kapiteln (1985)
Regie: Paul Schrader
Drehbuch: Paul Schrader, Leonard Schrader, Chieko Schrader
Pingback: Im Frieden liegt die Schönheit | literaturundfeuilleton