Hinter dem heutigen Türchen verbirgt sich ein prämierter Film mit doch recht beachtlicher Länge. Ryūsuke Hamaguchis Drive My Car nimmt uns nicht nur mit auf die ein oder andere Autofahrt, sondern auch in die Welt des Theaters.
von CAROLIN KAISER
Wenn Sie wie ich ein unverbesserlicher Filmsnob sind, dann schauen Sie bei der jährlichen Hollywoodselbstbeweihräucherungsshow namens „Academy Awards“ nicht auf den Oscar für den besten Film – im schlimmsten Fall irgendein US-Remake von einem nicht-englischsprachigen Film –, sondern auf den für den besten internationalen Film.1 Nachdem der Preis letztes Jahr nach Dänemark ging, durfte sich dieses Jahr ein japanischer Regisseur über die internationale Publicity freuen. Mit Drive My Car hat Ryūsuke Hamaguchi die gleichnamige Kurzgeschichte von Haruki Murakami in einem 3-stündigem Film adaptiert, der mit seiner „schlanken“ Laufzeit perfekt ist für Tage, an denen man wenig zu tun hat. Bei vielen im deutschsprachigen Raum ist genau das zwischen Heiligabend und Neujahr der Fall, deshalb haben Sie hier schon einmal vorab meine Empfehlung für die Feiertage – denn freie Zeit will ordentlich geplant sein! Und was erwartet Sie nun in diesen 179 Minuten Sitzfleischherausforderung? Viele Autofahrten! Bei dem Namen keine Überraschung, aber um einen klassischen Roadmovie handelt es sich trotzdem nicht. Vielmehr ist Drive My Car ein Künstlerfilm, denn im Zentrum steht ein Theaterschauspieler und -regisseur. Yūsuke Kafuku, so sein Name, soll für ein Theaterfestival in Hiroshima eine mehrsprachige Adaption von Anton Tschechows Onkel Wanja inszenieren. Damit sich Yūsuke vollkommen auf seine Arbeit als Regisseur konzentrieren kann, bekommt er von dem Festival nicht nur eine pittoreske Künstlerhütte am Stadtrand von Hiroshima gestellt, sondern auch eine Chauffeurin, die ihn jeden Morgen in seinem eigenen Auto von dort zum Theater in der Stadtmitte fährt. So viel zur Grundkonstellation. Jenseits davon erwartet Sie Dialog – viel Dialog. In Drive My Car wird ausgiebig geredet, manchmal auch geschwiegen. Was den Film trotz seiner langsamen Handlung so spannend macht, sind die Figuren, die sich im Verlauf des Films in den vielen Gesprächen untereinander als Zwiebeln entpuppen, die immer mehr (Ge-)Schichten offenbaren. Der Film fühlt sich an wie eine Reihe von intimen Gesprächen, denen man als dritte Person eigentlich aus Pietätsgründen nicht zuhören sollte, aber bei denen man auch einfach nicht weghören kann. Falls Sie sich nach dem Stress der Weihnachtstage und dem gezwungenen Smalltalk mit entfremdeten Familienmitgliedern nach Gesprächen sehnen, in denen Sie nicht dazu verpflichtet sind, mindestens einmal pro Minuten „Mhm Mhm“ oder „Ja, verstehe“ von sich zu geben, lauschen Sie doch den Zwiegesprächen von Hamaguchis Figuren.
1 Als elitäre Cineastin will ich mich eigentlich gar nicht für die Oscars interessieren, aber im letzten Moment knicke ich doch jedes Jahr wieder vor dem goldenen Prestige einer nackten Männerstatue ein.
Drive My Car (2021)
Regie: Ryūsuke Hamaguchi
Drehbuch: Ryūsuke Hamaguchi, Takamasa Ōe
Besetzung: Hidetoshi Nishijima, Tōko Miura, Masaki Odata, Reika Kirishima
Laufzeit: 179 Minuten