Heute widmen wir uns im Adventskalender einem Medium, das wir auf unserem Blog deutlich seltener behandeln als Buch, Film und Theater: dem Videospiel. Ein Alleinstellungsmerkmal von Videospielen ist, dass man die Handlungsorte selbst besichtigen und mit ihnen interagieren kann. One-O-One-Games‘ The Suicide of Rachel Foster ist ein Beispiel für einen besonders sorgfältig designten Handlungsort. Insbesondere Fans von „Lost Places“ kommen hier voll auf ihre Kosten!
von CAROLIN KAISER
Aus meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass es eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Menschen gibt, die sich in der Weihnachtszeit gerne Bücher, Filme, etc. zu Gemüte führen, die quasi „zeitgleich“ ebenfalls zur Weihnachtszeit spielen. Einigen ist zusätzlich noch der Besinnlichkeitsfaktor dieser Geschichten wichtig, anderen eher weniger. Wenn Sie zur letzten Kohorte gehören, könnte das heutige Türchen etwas für Sie sein: The Suicide of Rachel Foster, entwickelt vom italienischen Studio One-O-One Games und veröffentlicht von Daedalic Entertainment aus dem Jahr 2020. Hinweis vorneweg: Der Titel des Spiels ist Programm. Es geht um Selbstmord, Missbrauch, romantische (?) Beziehungen mit nicht nur ethisch fragwürdigem, sondern auch illegalem Altersunterschied – es liegt also definitiv nicht in jedermanns Komfortzone. Wie sensibel all diese Themen im Spiel behandelt werden, ist ebenfalls durchaus diskussionswürdig – und hat dem Spiel auch einiges an Gegenwind von Videospieljournalist*innen beschert.
Warum an dieser Stelle nun eine solch kontroverse Empfehlung für die Weihnachtszeit? Das Setting des Spiels! Handlungs- und Spielort ist ein großes, stillgelegtes Hotel irgendwo im Nirgendwo im US-Bundesstaat Montana Mitte/Ende Dezember 1993. Falls Sie sich an Stanley Kubricks Verfilmung vom Steven King-Roman The Shining erinnert fühlen, ist das kein Zufall: Der Handlungsort von The Suicide of Rachel Foster ist eine einzige, große Hommage an den Horrorfilmklassiker von 1980 – als Kubrickfan habe ich mich direkt zuhause gefühlt. In der Egoperspektive steuern Sie Protagonistin und unfreiwillige Hotelerbin Nicole Wilson durch das mit Liebe zum Detail designte Hotel ihres verstorbenen Vaters. Verlassen können Sie das Hotel nicht, denn draußen herrscht – natürlich – ein fieser Schneesturm, der Nicole zwingt, die Weihnachtstage allein im gottverlassenen Hotel zu verbringen. Wirklich verlassen möchte man das Hotel aber auch gar nicht! Viel zu sehr wirkt das riesige, verzweigte Gebäude wie ein realer Ort und nicht wie eine reine Grafikfassade, zu der Videospieleumgebungen leider gerne mal verkommen. Und wie verbringen Sie nun Ihre Zeit in dieser schmucken Bude? The Suicide of Rachel Foster gehört zu einem Genre, das gerne als „Walking-Simulator“[1] belächelt wird – Sie laufen also viel rum. Beim Rumlaufen versuchen Sie herausfinden, was genau hinter dem titelgebenden Selbstmord einer ehemaligen Klassenkameradin von Protagonistin Nicole steckt, die sich vor genau zehn Jahren als 16-Jährige unter dubiosen Umständen umgebracht hat. Mehr will an dieser Stelle auch nicht verraten sein. Falls Sie die bereits erwähnte Auswahl an sensiblen Themen, die das Spiel behandelt, nicht stört – wie wär’s mit einem kleinen Winterurlaub im Hotel?
The Suicide of Rachel Foster
Entwicklerstudio: One-O-One Games
Publisher: Daedalic Entertainment
Erschienen für: Windows, Playstation 4, Xbox One, Nintendo Switch
Preis: 16, 99 € (Steam)
[1] Dem Genre Wohlgesinntere bevorzugen den Namen „environmental narrative games“. Es handelt sich also um Videospiele, die durch ihre sorgfältig designten Umgebungen Geschichten erzählen beziehungsweise anreichern.