2022 markiert eine Zeitenwende im Iran: Als Reaktion auf den Tod einer jungen Kurdin namens Mahsa Amini in der Gewalt der iranischen Sittenpolizei brechen sich landesweit Proteste Bahn. Frauen legen das Kopftuch ab, schneiden sich die Haare ab, Männer unterstützen sie auf den Straßen. Wie konnte es dazu kommen, dass das Schicksal der Iraner von religiösen Fanatikern bestimmt wurde? Diese und weitere Fragen beleuchtet Marjane Satrapi anhand ihrer eigenen Lebensgeschichte in der Graphic Novel Persepolis.
von THOMAS STÖCK
Ein junges Mädchen mit Kopftuch blickt uns vom Cover von Persepolis entgegen. Sie schaut uns unverwandt an, die Mundwinkel nach unten gesenkt, die Augenbrauen hochgezogen, die Arme verschränkt. Das Mädchen, das uns vom Einband der Graphic Novel entgegenblickt, ist die Autorin Marjane Satrapi in jungen Jahren. Marjane – oder Marji, wie sie liebevoll von ihren Eltern, Verwandten und Freunden genannt wird – wächst wohlbehütet in einem gutbetuchten und liberalen Elternhaus auf. Sie hat alle Freiheiten dieser Welt – bis es zur Islamischen Revolution 1979 kommt. Auf den Schah folgt Ayatollah Ruhollah Chomeini, dessen Regime im Zuge des ab 1980 ausbrechenden Kriegs gegen den Irak auch gegen die innerpolitische Opposition rigoros vorgeht. Insbesondere vorherige Regimekritiker wie beispielsweise Kommunisten werden ausgeschaltet.
Einen solchen Regimekritiker ist Marjanes Onkel, den sie kennenlernt und über alles verehrt. Er versucht zu flüchten, wird aufgegriffen und im Gefängnis gefoltert und erschossen. Wie ihm ergeht es Zehntausenden. Doch während Marjane trauert, fegt der Krieg übers Land hinweg. Er hinterlässt Tod und Zerstörung. Auch das Haus einer Schulfreundin von Marjane wird von einer Bombe getroffen. Marjane erscheint es surreal, dass eine ihrer Freundinnen von heute auf morgen tot ist. Noch schlimmer trifft es die männliche Bevölkerung, die gar zu Hunderttausenden massakriert werden. Über eine Million Tote haben beide Seiten nach diesem Krieg zu betrauern, der sich über ein ganzes Jahrzehnt zieht.
Für Freiheit, wider die vermeintlich guten Sitten
Persepolis fördert nicht nur eindrücklich das Schicksal der iranischen Bevölkerung zutage, welches im Westen heutzutage kaum mehr bekannt ist. Ja, es gab da eine Islamische Revolution, aber wurde sie nicht von der Mehrheit des Volkes mitgetragen? In der Graphic Novel lernen wir jedenfalls diejenigen kennen, die sich dem Regime widersetzen. Speerspitze des Widerstands ist in ihrer eigenen Autobiografie natürlich Marjane. Ihre Eltern reagieren frühzeitig und ermöglichen ihr einen Aufenthalt in Wien, der für die junge Heranwachsende allerdings im Unglück endet. Nach längeren Monaten, in denen sie sehr erfolgreich an der Schule war, gerät Marjane an das falsche Klientel in der Schule und auch ihr erster Freund verführt sie dazu, sich als Drogenkurierin zu verdingen. Nach einem Streit mit ihrer senilen, zugleich aber überaus aggressiven und ausländerfeindlichen Vermieterin lebt Marjane gar auf der Straße. Als sie das Kapitel Wien schließt, ist sie am Ende.
Doch auf ein Ende folgt ein neuer Anfang – schließlich war Persepolis ursprünglich in insgesamt vier Bänden publiziert worden, als die Graphic Novel Anfang der 2000er das Licht der Welt erblickte. Und Marjanes Heimkehr führt sie wieder in die iranische Gesellschaft ein, in der sie ein Studium aufnimmt. Ihre Ehrlichkeit führt sie so manches Mal in die Bredouille, etwa als sie sich bei ihrer religiösen Aufnahmeprüfung offen darüber äußert, dass sie nicht auf Arabisch betet, einen westlichen Lebensstil pflegt und sich der offiziellen Propaganda widersetzt. Auch begehrt sie gegen das Tragen des Kopftuchs an der Uni auf. Um jeden Zentimeter wird gekämpft, wenn die Damen Haare zeigen wollen.
Aus Überzeugung mutig: Eine junge Frau
Marjanes Kampf führt sie das eine ums andere Mal nahe ans Gefängnis heran, in der ihr Folter und schlimmstenfalls – etwa beim Erwischen vom Verüben unehelichen Geschlechtsverkehrs – gar der Tod drohen. Ihr Temperament erlernt Marjane dabei von ihrer Großmutter, die ihr vorlebt, für ihre eigenen Ideale einzutreten. Marjanes Engagement gegen die religiösen Verbote sind ein Vorbild. Ihre Autobiografie wiederum zeigt uns, worunter die iranischen Frauen noch heute Tag für Tag zu leiden haben.
Persepolis ist nicht nur gute Unterhaltung, sondern auch ein gesamtgesellschaftliches Porträt eines Staats, der auch aufgrund westlicher Politik in die Fänge einer fanatisch-religiösen Partei getrieben wurde, die einen Großteil der Bevölkerung unterjocht. Symbol dieses Jochs ist das Kopftuch. Und ihre Personifikation ist das kleine, unglückliche Mädchen namens Marjane, das uns vom Cover von Persepolis entgegenblickt.
Marjane Satrapi: Persepolis. Aus dem Französischen von Stefan Pörtner
Edition Moderne, 356 Seiten
Preis: 25,00 Euro
ISBN: 978-3-03731-210-0