„Wie erzähle ich es meinen Kindern?“ Eine Frage, die sich jeder Lehrer und jedes Elternteil stellen sollte, wenn es um die Vermittlung von klassischer Literatur geht. Nicht jeder wird mit der Gabe geboren, Goethe und Co. schon mit der Muttermilch aufzusaugen und jede Buchseite wie eine Rabelais’sche Figur zu verschlingen. Damit die Kiddies dennoch auf den Geschmack kommen, könnten wir doch mal etwas Neues versuchen: Faust als Graphic Novel zum Beispiel.
von THOMAS STÖCK
Ein Stöhnen geht durch den Raum. – „Muss das sein?“ – Können wir nicht was Anderes lesen?“ – „Das versteht doch sowieso keiner!“ Aus meiner eigenen Schulzeit ist mir wohl kaum etwas so schlecht in Erinnerung geblieben wie die durch den Lehrplan vorgesetzte Schullektüre. Schon damals war ich ein begeisterter Leser und doch konnten meine Lehrer nur selten meine Begeisterung für die vermeintlichen Klassiker der Weltliteratur wecken. Einen negativen Höhepunkt bildete der vermeintlich größte, zumindest aber der bekannteste deutsche Dichter und Denker: Johann Wolfgang von Goethe.
Nicht Faust lasen wir im Unterricht, sondern Iphigenie auf Tauris. Ein Stück, in dem es darum geht, wie unliebsame Ereignisse durch kritische Reflexion der Protagonisten verhindert werden. Ein Jahrzehnt später und eine kritische Lektüre des gesamten Faust weiter fürchte ich, dass die Lektüre von Goethes Faust für Schüler heute vor allem eines ist: eine Qual. Eine antiquierte, hochkomplexe Sprache; eine Handlung, deren Tragik sich ihnen entzieht; ein jahrhundertealtes biblisch-mythisches Sujet, das sie nicht kennen. Kurzum: eine unfassliche Schönheit. Wie lernt man große Wörter lieben? Alexander Pavlenko (Zeichnungen) und Jan Krauß (Nachdichtung) zeigen es.
Multimedial ist die Zukunft der Literaturvermittlung
Die Vermittlung von Kunst ist eine pädagogische Herausforderung, mit der wir uns seit Jahrhunderten konfrontiert sehen. Dabei ist das neue Ins-Werk-Setzen eines fremden Textes keineswegs eine Erfindung des 21. Jahrhunderts. In England praktiziert man bereits das „Übersetzen“ von Shakespeare in eine zeitgenössische Sprache. Schon Gustav Schwab brachte der Jugend im 19. Jahrhundert die griechisch-römischen Mythen durch eine Nachdichtung näher (ein Buch, das auch heute noch Leser begeistern kann, wenngleich die Sprache nicht mehr so eingängig ist wie zu Schwabs Lebzeiten).
Im 21. Jahrhundert wenden wir uns der Multimedialität von Kunst zu. Multimedial ist eine der vielen Eigenschaften, welche auf die Graphic Novel bzw. den Comic zutreffen. Sprachlich präsentiert sich Faust leicht modernisiert, an gewissen Ecken wurde auch etwas gestrichen (etwa die der Einleitung vorgeschaltete Zueignung, mit der sich zwar Studierende in Schaffenskrisen identifizieren können, die aber doch wenig Relevanz für den Plot hat). Jan Krauß gelingt mit seinem Reduktionismus eine Konzentration aufs Wesentliche. Schade, dass auch „Das ist des Pudels Kern!“ dabei verschüttgegangen ist. Aber Goethe hat so viele Redensarten geprägt, dass ein Pudel mehr oder weniger dem Kern der Sache auch keinen Abriss tut. Oder so.
Einem Schlaumeier stellt sich die Gretchen-Frage
Pavlenkos grafische Aufarbeitung historisiert den Schlaumeier Faust, dessen Zusammentreffen mit dem Teufel einmal mehr auf einer Wette zwischen dem Satan und Gott fußt. Hiob lässt grüßen. Neben Fausts besserwisserischer, vom Leben enttäuschter Attitüde darf natürlich auch nicht der Stein des Anstoßes fehlen, der Faust sich vom Gelehrten zum alten Lüstling entwickeln (oder degradieren?) lässt. Ob damit schon die Gretchen-Frage beantwortet ist? Gretchen also trifft auf Faust, ihre gemeinsame Nacht wird angedeutet und auch der Tod des gemeinsamen Kindes – an dessen Schicksal der gute Faust keinen Anteil nimmt; hat darüber eigentlich schon mal jemand etwas geschrieben? – und Gretchens trauriges Ende finden sich wieder.
Dass keine Fragen offenbleiben, lässt sich zwar nicht behaupten – etwa: Was passiert im zweiten Teil? –, doch stellt es einen Vorteil dar, wenn die kindliche Neugierde für das Sujet geweckt wird. Und wer weiß: Vielleicht gewinnt die Graphic Novel Faust ja die Aufmerksamkeit von einigen jungen Lesern, die dazu verführt werden, die Wette mit dem Teufel ein zweites Mal einzugehen. Dieses Mal eben nur die Wette aus Goethes Feder höchstpersönlich. Ein Lesepakt mit dem Teufel also.
Alexander Pavlenko: Faust. Eine Graphic Novel nach Goethes „Faust I“ adaptiert von Jan Krauß
Edition Faust, 162 Seiten
Preis: 24,00 Euro
ISBN: 978-3-945400-78-4