In der lesBar mit Danger Dan 

oder Zwischen Pathos und Polemik passt immer noch ein Tränchen

Foto: Jaro Suffner

Ein Persönlichkeitstest, eine Komfortzone, keine Ministerin, ein Appell für lange Kunst, ein Muppet, eine Philharmonie, ein Konzert, ein junger Boomer, ein kontrastreicher Abend, eine Not-to-do-Liste, eine Observierung, ein afrikanisches Steppentier und eine Flasche Konterchampagner. Herzlich willkommen zum Konzertabend in der lesBar!

von NICK PULINA

Servus in die Runde,

kleiner Persönlichkeitstest zu Beginn. Wie halten Sie es mit dem Adrenalin in Ihrem Leben? Sind sie

A. jemand, der einen entspannten Umgang mit dem Alltag gefunden hat und sich darin wohlfühlt

oder

B. jemand, der jede sich nur bietende Chance zum spannungsgeladenen Risiko nutzt

oder 

C. jemand, der ständig anderen sagt, dass sie doch mal ihre „comfort zone“ verlassen sollten?

Denn, liebe Lesende, Gruppe B ist keineswegs deckungsgleich mit Gruppe C! Fürwahr, bei guten Ratschlägen ist es wie mit guten Minister:innen: Man muss in einer Thematik nicht zwangsläufig habilitiert haben, um treffsichere und richtige Gedanken haben und teilen zu können. Ich bin beispielsweise relativ gut darin, anderen Tipps für Kapitalanlagen zu geben, aber glauben Sie mir, meine eigenen Depots wollen Sie nicht sehen. 

Gut, das war gelogen, aber Sie wissen schon, was ich meine. Auch ewige Singles können Beziehungstipps geben, auch Lieferando-Stammkund:innen einen Trick beim Pizzabacken parat haben, auch ehemalige Justizministerinnen…lassen wir das.

Lange Rede kurzer Sinn: Ich war immer Mitglied von Gruppe B, zumindest wenn es um künstlerische Erfahrungen ging. 24-stündige Filmmarathons? Mehrtägige immersive Performances? 15 Stunden Oper in vier Tagen? Mein Ticket war schneller gekauft als Sie „Pistorius sieht aus wie Laschet als Muppet“ auch nur hätten denken können! Die Kunst, die Kunst, mein Leben für die Kunst!

Bis kürzlich… Ja, bis ich kürzlich auf ein Konzert ging. Eigentlich war alles wie immer. Ich stieg in Düsseldorf aus der Bahn, kehrte noch in einem Restaurant ein, trank ein Glas Wein und machte mich auf zur Tonhalle, der Düsseldorfer Philharmonie. Auf dem Programm stand dieses Mal nicht Mahler, nicht Beethoven, nicht Glass oder Neuwirth, auf dem Programm stand: Danger Dan.

Ja, erwischt! Geben Sie doch zu, dass Sie geglaubt haben, dieser versnobte Kolumnist, der immer nur von Opern, Kunstausstellungen und Arthausfilmen schreibt, war doch mindestens bei irgendeinem Jazz-Konzert, wenn er sich schon keine Klassik gibt. Weit gefehlt, liebe Lesende – Popmusik!

Wahrscheinlich würden Herr Dan und seine Fans mich für die Verwendung dieses Wortes in einen Gesprächskreis bitten, aber für mich zu jung geratenen Boomer ist nun einmal alles, was nach 1999 geschrieben wurde und ansatzweise eine Melodie beinhaltet Popmusik. 

Jedenfalls lag bei diesem Konzert etwas in der Luft. Dieses Grundgefühl von allen Anwesenden, dass hier etwas aufeinander trifft, was sich sonst selten begegnet. Popmusik und Philharmonie, alteingesessenes Abopublikum und Fans von Herrn Dan, gutes Bier und scheußlicher Sekt. Ich begab mich schnellstmöglich in eine aufmerksame Beobachterposition. Dass hier haufenweise schriftstellerisches Material nur so auf den Sitzen lag und es einfach nur aufgehoben werden musste, war offensichtlich.

Herr Dan eröffnete das Konzert nach dem ersten Song mit einer kleinen Ansprache, begrüßte das Publikum und bat auch dieses, sich mit den jeweiligen beiden Sitznachbar:innen bekannt zu machen (neben mir saßen Jonas und Thomas). Anschließend wies er darauf hin, dass man trotz der einschüchternd wirkenden Kulisse gerne mitsingen dürfe. Ein Umstand, der mich weit mehr eingeschüchtert hat als die schöne blaue Kuppel des Konzertsaals. Außerdem bat er alle Menschen den Saal zu verlassen, die rassistisch, sexistisch, homophob, antisemitisch, antimuslimisch, antifeministisch, ableistisch oder wie auch immer diskriminierend drauf seien. 

Nun ja, ‚drauf‘ waren hier wohl einige, aber gegangen ist niemand. Schade eigentlich, die Schmährufe hätten mich unterhalten. Kurz habe ich überlegt, des Effekts wegen einfach selber zu gehen. Nach einem kurzen Beratungsgespräch mit Jonas, dessen Ergebnis war, dass wahrscheinlich jede:r Anwesende irgendeine Eigenschaft hat, die für jemand anderen hier diskriminierend genug wäre, um die Person des Saales zu verweisen, beschloss ich, doch lieber zu bleiben. Das versprach lustig zu werden. Nachdem wir noch unsere Sitzpositionen korrigiert hatten, denn „wir checken jetzt nochmal alle, wie viel Platz wir mit unseren Beinen einnehmen und überlegen uns, ob wir damit nicht vielleicht jemanden einschränken“, ging es los.

Und so dauerte es auch nicht lange, bis Herr Dan unter lautem Gejubel der Zuschauer:innen immer wieder kleine emotional aufgeladene Vorträge über zweifellos wichtige Themen wie Klimaschutz, die AfD oder Russlands Überfall auf die Ukraine ansprach. Unterlegt mit ein bisschen Klaviermusik oder einigen Tönen des wirklich famosen Heck-Quartetts (ein klassisches Streichquartett – hehe!), schon wurden hie und da die Augen feucht und nicht nur eine Faust erhob sich über die Köpfe der Anwesenden. Zwischen Pathos und Polemik passt eben immer noch ein Tränchen. Oder Militanz.

Nachdem als Zugabe auch noch Herrn Dans Bruder und ein weiterer Musiker, die – so erklärte es mir Jonas – wohl zusammen eine nach einem afrikanischen Steppentier benannte Band betrieben, auf die Bühne kamen, drehte die Menge dann so richtig am Rad. Nach mehreren Standing Ovations und drei weiteren Zugaben war das Spektakel beendet. Verwunderlich eigentlich, dass keine aufgebracht-emotionalisierte Fangruppierung mehr zum nordrhein-westfälischen Landtag marschiert und eine Sitzblockade errichtet hat. Gut, aufgefallen wäre es mir eh nicht, ich saß zu diesem Zeitpunkt bereits den Abend über einer Flasche Konterchampagner reflektierend in einer meiner Düsseldorfer Lieblingsweinbars. 

Was lernen wir daraus? Das Verlassen der eigenen Komfortzone ist gut. Also meistens. Na ja, in der Kunst eigentlich immer. Fast immer. Herrje, geschadet hat es ja am Schluss auch niemandem. Hoffe ich. Die Musik war schön. Größtenteils. Kann man mal machen. Vor allem mit Champagner danach.

Cheers!

Ihr

Nick Pulina

PS: Gehen Sie auch unbedingt mal in eine Duration-Performance! Man lernt sehr viel über sich und die Menschheit, wenn man 24 Stunden in einem Kino oder Theater zubringt.

PPS: Wirklich, für Anlagetipps wenden Sie sich bloß an jemand anderen!

PPPS: Wann haben Sie zuletzt Ihre Komfortzone verlassen? Erzählen Sie es mir gern unter @culinanick bei Instagram.

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