Trivialliteratur, gehobene Unterhaltungsliteratur oder ein intermedialer Geniestreich – an Vicki Baums Romanen scheiden sich die Geister. Ihr größter Erfolg schaffte es sogar auf die Leinwand Hollywoods. Und doch wird Vicki Baum in der Forschung trotz ihrer Karriere bis heute gekonnt ignoriert. Die wenigen, die sich dennoch mit ihr beschäftigen, zeigen auf: Nicht nur in ihren Romanen geht es trubelig und temporeich zu. Vicki Baum lebte für eine Weile das Leben, das sich so viele weibliche Angestellte in der Weimarer Republik wünschten und war damit ein Paradebeispiel der Neuen Frau. Heute wäre sie 135 Jahre alt geworden – und hätte sicherlich groß gefeiert.
von REEMDA HAHN
Hedwig Baum wird am 24. Januar 1888 als Tochter des jüdischen Regierungsbeamten Hermann Baum und seiner Frau Mathilde in Wien geboren. Schon im Alter von 14 Jahren veröffentlicht sie Gedichte in dem Magazin Muskete. Nach ihrem Schulabschluss besucht sie das Konservatorium der Gesellschaft für Musikfreunde in Wien, wo sie zur Harfenistin ausgebildet wird. Während des Ersten Weltkriegs und den frühen 1920er Jahren spielt sie in vielen deutschen Städten. Anfangs dieser Zeit ist sie mit ihrem ersten Ehemann, Max Prels, verheiratet, unter dessen Namen sie Texte in Zeitschriften veröffentlicht. Unter dem Pseudonym Vicki Baum bringt sie schließlich ihren ersten Roman Frühe Schatten heraus. 1916 heiratet sie ihren zweiten Ehemann, den Dirigenten Richard Lert, mit dem sie zwei Kinder bekommt. Ihre Beziehung zu Max Prels scheint dabei freundschaftlich geblieben zu sein, vermittelt dieser sie doch 1920 an den Ullstein-Verlag. Ihr dort veröffentlichter Roman Der Eingang zur Bühne ist ein derart großer Erfolg, dass Baum ihre Arbeit als Harfenistin aufgeben kann, ohne dadurch ihrem Ehemann gegenüber in die finanzielle Abhängigkeit zu geraten. Obwohl sie sich nur als Modezeichnerin beim Verlag beworben hatte, bietet ihr dieser – zu einer Zeit, als sie bereits erfolgreiche Schriftstellerin ist – im Jahr 1926 zudem eine Redakteursstelle für die Modezeitschrift Die Dame und das Literaturmagazin Uhu an. Bis 1931 schreibt sie ausschließlich für Ullstein und wandelt sich dabei von einer eher unmodern gekleideten Schriftstellerin zu einer modisch sehr selbstbewussten Autorin mit Kurzhaarfrisur, Schmuck und Dekolleté – ihr Portrait ist all ihren Texten vorangestellt. Und obwohl Baum viele Texte zu Mode und Schönheit verfasst, übt sie doch offen Kritik an den von Männern produzierten Modetrends und der Beschränkung der Arbeit von Frauen im Presse- und Verlagswesen auf die ‚Frauensparten‘. Ihre Zeit in Berlin verlebt sie so, wie man sich den Alltag der Neuen Frau vorstellt, was aus ihren 1962 posthum veröffentlichten Memoiren hervorgeht. Dort beschreibt sie einen ‚normalen‘ Arbeitstag:
Ich stand früh auf […] und besprach alle Haushaltsfragen mit dem Dienstmädchen […] Wir wohnten nahe den Grunewaldseen, und in der warmen Jahreszeit fuhren wir nach einem leichten Frühstück allesamt hinaus, um rasch ein paar Stöße zu schwimmen […] Dann brachten wir, mein Mann und ich, die Kinder zur Schule […] Darauf fuhren wir in die Stadt – ich in die Redaktion, mein Mann zum Opernhaus. Einige Stunden Arbeit bei Ullstein […] In der Mittagspause jagte ich zu Sabri Mahir (Boxlehrer; R.H.), arbeitete mich aus, […] fühlte mich […] wie ein ausgebeintes Huhn und aß mit ihm Mittag, nach strenger Diätvorschrift. […] Zurück zu Ullstein. Vier Stunden arbeiten, oft noch länger. Dann mit Bus oder Wagen nach Hause. Mit den Kindern spielen. […] Abendbrot […] War der befrackte Herr des Hauses gegangen, so plauderte […] ich noch eine Weile mit den Jungen, dann gingen sie zu Bett, und ich schwemmte die Tagesmüdigkeit in einem heißen Bad aus. Und jetzt […] kam mein zweiter Tag. Jetzt hatte ich ein paar stille Stunden ganz für mich. In solchen Stunden habe ich meine Romane geschrieben […] Häufig riefen mich […] um Mitternacht gute Freunde an. ›[…] komm lieber mit tanzen – ist besser für dich. Gemacht?‹ / Gemacht.
Als ihr Erfolgsroman Menschen im Hotel 1931 schließlich verfilmt werden soll, wird sie nach Hollywood eingeladen, um die Dreharbeiten zu verfolgen. Sie reist nach Kalifornien – und bleibt. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten hätte ihre Rückkehr sowieso erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Denn auch Vicki Baums Romane fallen den Bücherverbrennungen zum Opfer. 1938 erwirbt Baum die US-amerikanische Staatsangehörigkeit, ihre Texte verfasst sie schon seit längerer Zeit auf Englisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg bereist Baum viele europäische Länder, deutschen und österreichischen Boden aber betritt sie nie wieder. 1960 stirbt Vicki Baum in ihrer Villa in Los Angeles.
Trivialer Kitsch oder unterschätztes Schreibtalent?
Vicki Baum war sich wohl bewusst, dass ihre Romane bereits zu ihrer Zeit von der Kritik als oberflächlich und kitschig abgetan wurden. Menschen im Hotel erschien daher mit dem ironischen Untertitel Kolportageroman mit Hintergründen – und tatsächlich stellen die Protagonisten des Romans für damalige Zeit bestimmte ‚Typen‘ dar, seien es der Hochstapler, die junge Schöne mit dem Wunsch, ein Filmstar zu werden oder der Kriegsversehrte, der das Leben nur noch unter Drogeneinfluss erträgt. Abseits dieser Figurenkonstellation gelingt es Baum in all ihren Romanen, ihre Erfahrungen aus der Bühnenwelt literarisch zu nutzen. So finden sich nicht nur stets Bezüge zu bekannten Opern oder Dramen, die Schauplätze der Romane sind meist auch in dieser Welt verortet: Konservatorien, Ballettschulen, Theaterbühnen. An vielen Stellen ihrer Romane schreibt Baum überdies sehr filmisch – man kann die ‚Cuts‘ nahezu ‚mitlesen‘, Blicke der Figuren fallen auf Leinwände oder Fenster, auf bzw. hinter denen sich wieder ganz andere Szenen abspielen, Musik erklingt aus dem verschlossenen Nebenraum, wie im Film aus dem Off. Und romantisch-kitschig enden durchaus nicht all ihre Romane: Beziehungen gehen in die Brüche, vergangene Erfahrungen von Krieg und Entbehrung und auch Egoismus und Gefühlslosigkeit prägen viele Figuren – Vicki Baums Werke werden nicht umsonst auch der Neuen Sachlichkeit zugeordnet. Im Kontrast dazu stehen ihre einfachen und meist eher unkritischen Beiträge für Modezeitschriften. Doch Baum hat auch diesen Umstand pragmatisch betrachtet, so schreibt sie in ihren Memoiren:
Wenn ich mein Können manchmal an Schmarren verschwendet habe, so geschah das ganz bewusst in dem Bestreben, mein Werkzeug zu schärfen, mir mein handwerkliches Können zu beweisen und natürlich auch, weil ich Geld brauchte. Ich habe aber auch ein paar gute Bücher geschrieben; sie sind zu gut, als dass man sie zum alten Eisen werfen sollte, nicht so gut, wie ich sie mir gewünscht hatte, auf jeden Fall aber so gut, wie es mir mein Erzählertalent, mein Schwung und meine Technik erlaubt hatten. […] Ich weiß, was ich wert bin; ich bin eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte. Die Glühwürmchenillusionen von Unsterblichkeit sind mir fremd. Ich habe mir nie eingebildet, eine erstklassige Schriftstellerin erster Güte zu sein und dass meine Bücher mich überleben werden.
Wenn auch Vicki Baum nicht der erste Name ist, der den meisten Menschen einfällt, wenn sie nach Autorinnen der Weimarer Republik gefragt werden – ihre Bücher haben sie überlebt, auch, wenn ihr selbst das nicht wichtig war. Viele ihrer Romane sind bis heute im Buchhandel erhältlich, Vor Rehen wird gewarnt wurde erst 2020 neu aufgelegt. Und auch, wenn es doch in vielen ihrer Texte um Liebe und Sehnsucht geht – ein bisschen gut geschriebener Kitsch hat noch keinem Bücherregal geschadet.
Leseempfehlung:
Zu diesem Erzählband sagte Vicki Baum selbst: „Wohl das Anständigste, was ich geschrieben habe.“ In den vier Geschichten dieses Bandes sucht man lange nach Oberflächlichkeit und Kitsch. Vicki Baum erzählt eindrücklich von Menschen, die mit Hunger, Krankheit und dem Krieg konfrontiert werden. Definitiv keine banale Trivialliteratur und nicht nur zu Weihnachten sehr lesenswert.
Vicki Baum: Der Weihnachtskarpfen.
Erzählungen.Kiepenheuer und Witsch, 160 Seiten
Preis: 10,00 Euro
ISBN: 9783462001327
Verwendete Literatur:
Bertschik, Julia: Vicki Baum. Gelebter und inszenierter Typ der ›Neuen Frau‹ in der Weimarer Republik. In: Nora verläßt ihr Puppenheim. Autorinnen des 20. Jahrhunderts und ihr Beitrag zur ästhetischen Innovation. Hrsg. v. Waltraud Wende. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 66–87.