Im Frieden liegt die Schönheit

Kenzaburō Ōe, 2012

Literaturnobelpreisträger Kenzaburō Ōe wird heute 88 Jahre alt. Zur Feier des Tages blicken wir in diesem Porträt sowohl auf den Literaten, als auch auf den politischen Menschen Ōe. Eine Kindheit im Schatten des Zweiten Weltkriegs und der beiden Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki ließen ihn zum überzeugten Pazifisten werden. Autor und Aktivist in Personalunion – ein Porträt über einen Autor, der auch jenseits der Literaturwelt seine Stimme erhebt.

von CAROLIN KAISER 

Im letzten Porträt zu einem japanischen Autor des 20. Jahrhunderts ging es mit Yukio Mishima um einen militaristischen Nationalisten, der sich für die Wiederaufrüstung der japanischen Streitkräfte eingesetzt hat und sogar einen Militärputsch vom Zaun brechen wollte. Im heutigen Porträt geht es quasi als Kontrastprogramm um einen Autor, dessen politischer Aktivismus pazifistischer Natur ist: Kenzaburō Ōe. 

Literat und Aktivist

Heute vor 88 Jahren wurde der Nobelpreisträger in einem Dorf auf der kleinsten der vier Hauptinseln Japans, Shikoku, geboren. Von der Provinz zog es Ōe 1953 für ein Studium der französischen Literatur nach Tokio, wo er noch immer lebt. Während des Studiums begann er nicht nur seine schriftstellerische Karriere mit dem Verfassen von Kurzgeschichten und Bühnenstücken für das Studierendentheater, sondern auch seine pazifistisch-aktivistische. 1960 gründete er mit einer Reihe anderer japanischer Künstler und Schriftsteller die Wakai Nihon no kai (Gruppe junges Japan), mit der er sich an den sogenannten Anpo-Protesten gegen den Sicherheitsvertrag zwischen Japan und den USA beteiligte. Der Vertrag, der Mitte 1960 trotz der Massenproteste in Kraft trat, sicherte den USA unter anderem zu, weiterhin Militärbasen in Japan zu unterhalten und wurde deshalb von vielen pazifistisch eingestellten Japanerinnen und Japanern wie Ōe abgelehnt. Auch im weiteren Verlauf seines Schriftstellerdaseins setzte sich Ōe immer wieder für politische Themen ein, die ihm am Herzen lagen, wie etwa einen Ausstieg Japans aus der Atomenergie oder die Ablehnung einer militärischer (Wieder-)Aufrüstung des Landes. 

Literarische Anerkennung erlangte Ōe bereits in jungen Jahren. 1958 erhielt er mit gerade einmal 23 Jahren für seine Kurzgeschichte Der Fang (jap.: Shiiku) den Akutagawa-Preis, den wichtigsten Buchpreis der japanischen Literaturszene. Es sollte nicht der letzte prestigeträchtige Preis werden: Am prominentesten in Ōes langer Preisliste ist dabei natürlich der Literaturnobelpreis 1994. Für alle Freundinnen und Freunde einer schönen Kontroverse ist aber sicherlich die Auszeichnung mit dem japanischen Kulturorden im selben Jahr spannender, denn – Ōe lehnte den Orden ab. Sein Problem: Der Orden – eine Art japanisches Bundesverdienstkreuz für herausragende Personen der Kulturszene Japans – wird vom japanischen Kaiser verliehen. Ein rotes Tuch für den Vollblutdemokraten Ōe, für den es laut eigener Aussage keine höhere Autorität und keinen höheren Wert als die Demokratie gibt – auch keinen himmlischen Kaiser.

Ein Chronist Japans – Ein Chronist des eigenen Lebens

 Ōes literarisches Werk ist thematisch breit aufgestellt, auch wenn sich in seinem langen Schriftstellerleben immer wieder Phasen finden, in denen bestimmte Themen besondere Prominenz eingenommen haben. Ōes Frühwerk setzt sich beispielsweise verstärkt mit der japanischen Kriegs- und Nachkriegsgesellschaft auseinander, so etwa sein erster Roman Reißt die Knospen ab… (1958, jap.: Memushiri Kouchi) über eine Gruppe männlicher Jugendlicher, die am Ende des Zweiten Weltkriegs in einem verlassenen Taldorf à la Herr der Fliegen ohne Erwachsene auskommen müssen. Einschneidend sowohl in Ōes privatem als auch in seinem literarischen Leben war die Geburt des ältesten Sohnes Hikari 1963. Dieser wurde mit einer schweren Schädelverformung geboren, die operativ behandelt werden musste. Die Operation ließ den Jungen zwar überleben, führte aber zu einer geistigen Behinderung, die unter anderem seine verbalen Ausdrucksmöglichkeiten stark einschränkt. Das Akzeptieren der Behinderung des eigenen Sohnes und sein Aufziehen in einer Gesellschaft, die Behinderung tabuisiert, werden zu wiederkehrenden Themen in Ōes Werken seit Mitte der 1960ern. Mal ist es nur eine Hintergrundinformation in der Biografie des Protagonisten wie in Der stumme Schrei (1967, jap.: Man’en gannen no Futtobōru), mal ist es der Fokus der gesamten Erzählung wie in Eine persönliche Erfahrung (1964, jap.: Kojintekina taiken). 

Auch wenn Ōe sicherlich zu den international bekannteren zeitgenössischen Schriftstellern Japans gehört, so sind doch einige seiner Werke – insbesondere Kurzgeschichten – noch nicht ins Deutsche, oftmals noch nicht einmal ins Englische übersetzt. Es sei Ōe zu seinem 88. Geburtstag gewünscht, dass sich an das ein oder andere ältere Werk aus seiner Feder ein Verlag herantraut. 

Meine Empfehlungen:

Kenzaburō Ōe: Reißt die Knospen ab…. Übersetzt von Otto Putz

Fischer, 224 Seiten

Preis: 9,95 Euro

ISBN: 978-3-596-14419-8

Kenzaburō Ōe: Der stumme Schrei. Aus dem Englischen von Rainer und Ingrid Rönsch. Verglichen mit der japanischen Ausgabe und durchgesehen von Siegfried Schaarschmidt 

Fischer, 342 Seiten

Preis:  15,00 Euro

ISBN: 978-3-596-12865-5

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