Antisemitismus verbinden die meisten von uns, die nicht dem Judentum angehören, hauptsächlich mit dem Schulunterricht und der deutschen Geschichte. Umso erstaunter sind wir dann, wenn wir von Gewalttaten hören, wie dem Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019. Dass Antisemitismus für viele Juden zum Alltag gehört und nicht erst mit Blutvergießen beginnt, verdeutlicht Levi Israel Ufferfilge in seinem Buch Nicht ohne meine Kippa. Mein Alltag in Deutschland zwischen Klischees und Antisemitismus.
von SHARLEEN WOLTERS
Möchte man in Bochum aus Richtung Stadtpark zum Planetarium, so kommt man vielleicht auch an der danebengelegenen Synagoge vorbei, die nicht nur an den in die Fassade eingelassenen Davidsternen erkennbar ist, sondern auch durch den davor parkenden Polizeiwagen auffällt. Dass diese Maßnahmen notwendig sind, um die jüdischen Gemeinden in Deutschland zu schützen, wird auch durch die Lektüre von Ufferfilges Buch deutlich, in dem er seine Erlebnisse mit Antisemitismus schildert. Was zunächst als Blog im Internet startete, auf dem er seine Erfahrungen in tagebuchähnlichen Einträgen festhielt, ist inzwischen in einem Sachbuch zusammengefasst.
Jüdisches Leben in Deutschland
Ufferfilges Buch ist biografisch aufgebaut. Wir begleiten ihn zunächst durch seine Kindheit und Jugend im Münsterland, wo er in einer christlich geprägten Gemeinschaft aufwächst. Seine Großeltern und Eltern sorgen dafür, dass jüdische Bräuche und Traditionen weiterleben. Ufferfilge geht jedoch weiter: Er trägt seine Kippa – und zwar mit Stolz für alle sichtbar. Doch dieses vermeintlich kleine Detail seiner äußeren Erscheinung kennzeichnet ihn für seine Mitmenschen als Juden. Und so begleitet die Leserschaft Ufferfilge durch seinen Alltag. Einen Alltag, der viele absurde Dialoge und Situationen bereithält, aber eben auch brenzlige und gefährliche Momente einschließt. Was all die Dialoge und Handlungen gemein haben, ist, dass sie antisemitisch sind. Und noch eins haben sie gemein: Aus jeder scheinbar harmlosen Situation oder Unterhaltung kann eine Gefahrensituation für Ufferfilge entstehen. Das Damoklesschwert schwebt über jeder Situation und ist auch für die Leserschaft spürbar.
Judentum sichtbar machen
Manch eine Person mag sich nun fragen, warum sich Ufferfilge „freiwillig“ diesen Anfeindungen aussetzt, wo er doch auch einfach die Kippa abnehmen könnte und seinen Glauben nicht sichtbar ausleben muss. Doch auch hierfür liefert Ufferfilge Begründungen: Jede einzelne Geschichte und Anekdote setzt ein weiteres Zeichen und verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass das Judentum sichtbar wird, dass das Tragen einer Kippa genauso normal ist wie das Tragen einer Kreuzkette oder eines Hijabs.
Denn Antisemitismus ist eben nicht Schnee von gestern, ein Relikt aus der Nazizeit, das Deutschland aufgearbeitet hat, sondern bittere Realität für einen Großteil der ca. 95.000 jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland. Ufferfilge, der inzwischen Schulleiter an einer jüdischen Schule in Berlin ist, sorgt dafür, dass vor allem junge Juden und Jüdinnen ein Vorbild haben. Er macht die Erfahrungen vieler seiner Glaubensbrüder und -schwestern mit seinem Buch erlebbar und zeigt auf, wie viele Gesichter der Antisemitismus heute noch hat. Mal im Großen mit mächtiger Außenwirkung, wie eben bei dem Attentat auf die Synagoge in Halle 2019, viel häufiger jedoch als vermeintlich harmlose, kleine Nadelstiche in der Bahn, beim Einkaufen oder an anderen öffentlichen Orten, die eben den Alltag ausmachen.
Die einzelnen Erzählungen umfassen oft nur wenige Seiten, in der Fülle und angereichert mit Hintergrundinformationen zum Judentum in Deutschland und Ufferfilges eigener Biografie, machen sie jedoch 208 Seiten aus. 208 Seiten, die schockieren, hin und wieder auch schmunzeln lassen, jedoch vor allem nachdenklich zurücklassen.
Levi Israel Ufferfilge: Nicht ohne meine Kippa. Mein Alltag in Deutschland zwischen Klischees und Antisemitismus
Klett-Cotta, 208 Seiten
Preis: 17,00 Euro
ISBN: 978-3-608-50412-5