Il était une fois…

Charles Perrault (1628–1703); Künstler: Charles Le Brun (1619–1690)

Mit diesen Worten beginnen viele Märchen des französischen Schriftstellers Charles Perrault. Rotkäppchen, Dornröschen, Blaubart, Aschenputtel – seine Werke sind weltbekannt. Am Ende eines Märchens folgt eine Moral, die sich die Leserschaft oder Zuhörerschaft zu Herzen nehmen sollte. Anlässlich seines 320. Todestags betrachten wir heute das Leben und die Märchen von Frankreichs berühmtestes Grand Auteur de Conte. Vielleicht folgt auch am Ende dieses Textes eine Moral, aus der man etwas lernen kann.

von VANESSA MUSZARSKY

In Deutschland sind vor allem die Brüder Grimm für ihre Märchen bekannt. Weniger bekannt dagegen ist die Tatsache, dass Perrault einer der prominentesten Pioniere des Märchengenres war. Charles Perrault wurde am 12. Januar 1628 in Paris geboren und starb auch dort am 16. Mai 1703. In seinem 75 Jahre langen Leben war Perrault nicht nur Schriftsteller, sondern auch Anwalt (ab 1651), Mitglied der Académie française (ab 1671), offizieller Schriftsteller von König Ludwig dem XIV. 1697 veröffentlichte Perrault die klassische französische Märchensammlung Contes de ma mère l’Oye (Märchen meiner Mutter Gans) eines der ersten Volksmärchenbücher. Diese Geschichten schildern das Wirken der wunderbaren geheimen Mächte des Märchenreichs und riefen in Frankreich die Mode der Contes de fées hervor.

Les contes de Charles Perrault

Perrault wählte acht der bekanntesten und schönsten Märchenstoffe aus dem überlieferten Volksgut aus und gab ihnen eine bis heute verbindliche Form. Vier dieser Märchen wurden bereits erwähnt, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Die Feen (Eine Abwandlung von Frau Holle), Der kleine Däumling, Der gestiefelte Kater und Riquet mit dem Schopf. Beim letzten handelt es sich um eine in Deutschland eher unbekannte Geschichte. Perraults frühere Versmärchen, Grisélidis (1691), Die lächerlichen Wünsche (1694), und Eselhaut auch bekannt als Allerleirauh (1694), sind in angeglichener Prosaform in spätere Auflagen aufgenommen worden. Perrault formte die Stoffe im Geist des ausgehenden 17. Jahrhunderts um und fand einen künstlerischen Mittelweg zwischen der Stilraffinesse des Kunstmärchens und dem spontan naiven Volksmärchen. Perrault selbst wünschte sich, dass seine Märchen „ein Bild davon geben, was sich in den ärmsten Familien abspielt, wo zur Unterweisung der Kinder einfache Geschichten erzählt werden“, die nicht ihren Verstand, sondern allein ihr Gefühl ansprechen sollen.

Eine gute Fee, zwei Kinder, zwei Gaben

Riquet mit dem Schopf ist ein sehr populäres Märchen in Frankreich, in Deutschland hingegen ist diese Erzählung kaum bekannt. Da lohnt es sich, diese Geschichte einmal nachzuerzählen: 

Es war einmal ein missgestalteter Prinz. Bei seiner Geburt bekam er wegen seines auffälligen Haarschopfes den Namen Riquet mit dem Schopf. Von einer guten Fee bekam Riquet die Gabe, seinen ausgeprägten Verstand später auf die von ihm geliebte Frau übertragen zu können. Zur gleichen Zeit wurden in einem Nachbarland zwei Prinzessinnen geboren. Die Ältere ist schön, aber dumm, bei der Jüngeren ist es umgekehrt. Die gute Fee, die auch schon den Prinzen beschenkt hat, verleiht der dummen Prinzessin ebenfalls eine Gabe: Ihre Schönheit wird auf den Mann übergehen, der ihr Herz gewinnt.

Während der hässliche Prinz zu einem vornehmen und gebildeten Mann heranwächst, wird die Prinzessin ihrerseits zu einer schönen, aber dummen Frau. Zunächst sieht es nicht gut aus für die ältere schöne Prinzessin. Ihre hässliche jüngere Schwester nimmt im Hof eine übergeordnete Position ein, während sie selbst abseitssteht. Die schöne Prinzessin ist sich ihres geringen Verstandes wohl bewusst und so unglücklich darüber, dass sie lieber hässlich als dumm wäre.

Eines Tages trifft sie beim Spazierengehen auf Riquet mit dem Schopf, der sich in ihr Bild verliebt und nach ihr gesucht hat. Er bemerkt, wie unglücklich sie ist, und sie gesteht ihm den Grund dafür. Daraufhin bittet er sie, ihn zu heiraten, denn dann würde sein Verstand auch ihr zuteilwerden. Sie vereinbaren ein Jahr Bedenkzeit für die Prinzessin. Während dieser Bedenkzeit kommt die Prinzessin tatsächlich zu Verstand, was aber auch zur Folge hat, dass sie es nicht mehr für eine gute Idee hält, den hässlichen Riquet zu heiraten. Aber am Ende heiraten die beiden, weil auch auf Riquet die Gabe seiner Angebeteten übergeht.

Perraults Moral für dieses Märchen lautet wie folgt: „Was man ersieht aus dieser Mär,

Ist nicht erlogen, sondern wahr: Das, was man liebt, ist nie der Schönheit bar

Und hat auch Geist; was braucht es mehr?“

Empfehlung:

Charles Perrault: Contes de fées. Deutsch-Französische Ausgabe übersetzt von Ulrich Friedrich Müller

Dtv Verlag, 156 Seiten

Preis: 12,00 Euro

ISBN 978-3-423-09407-8

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