Ränkeschmiede, verbotene Liebesaffären, Mordkomplotte: In Noah Martins Florentia wartet der populäre Historienroman mit einer absoluten serienreifen Leistung zur Höchstform auf. Martin gelingt es, das Florenz des 15. Jahrhunderts mit Themen des 21. Jahrhunderts in Einklang zu bringen, sodass uns in den Buchzeilen Homosexualität oder die Frage nach weiblicher Selbstbestimmung begleiten. Die Ausschmückungen der historischen Überlieferung lassen aus Florentia ein markantes Psychogramm einer Familie erstehen, die für den Machterhalt persönliche Belange hintanzustellen bereit ist.
von THOMAS STÖCK
Vom 15. bis ins 18. Jahrhundert prägte Familie de’ Medici nicht nur die Geschichte ihrer Heimatstadt Florenz, sondern nahm als überregionale Macht Einfluss auf die Geschehnisse im gesamten Italien und darüber hinaus. Selbst in Paris lässt sich noch heute der Fontaine Médicis im Jardin du Luxembourg bestaunen, den die Königinwitwe Maria de’ Medici dort erbauen ließ. Über ganz Nord- und Mittelitalien verteilt finden sich Villen und andere Bauwerke, die zu Ehren der Medici errichtet wurden. Die jahrhundertelange Stellung der Medici gründete auf ihrem finanziellen Wohlstand, aber auch auf einer ausgeklügelten Politik – und hätte der Zufall der Familie anders mitgespielt, hätte diese Ära deutlich kürzer währen können. Im Zentrum des Romans steht ein Ereignis, das den Werdegang der Geschichte beinahe auf den Kopf gestellt hätte: Die Verschwörung der Familie Pazzi, gerichtet gegen Lorenzo „Il Magnifico“ (der Prächtige) de’ Medici und seinen Bruder Giugliano.
Ein ungleiches Brüderpaar
Lorenzo und Giugliano sehen sich beide mit den hohen Erwartungen ihres an Gicht erkrankten Vaters Piero konfrontiert. Von seinem Erstgeborenen Lorenzo hat dieser eine hohe Meinung: Lorenzo soll in die Fußstapfen des Vaters treten und den Namen des Hauses hochhalten. Giuliano hingegen wird schon als Kind als Versager, als ewiger Zweiter abgestempelt. Nie kann er es seinem Vater recht machen. Piero selbst steht im Schatten seines Vaters Cosimo, der den Aufstieg der Medici erst ermöglicht hat. Unter Piero hat das Ansehen der Familie einigen Schaden genommen und Bündnisse wie etwa das zu Mailand und dessen unberechenbarem, sadistischem Herrscher Galeazzo Maria Sforza drohen zu zerbrechen. Florenz muss befürchten, aufgrund seines Status als Finanzier der Nachbarn in die Mühlen von militärisch schlagkräftigeren Mächten zu geraten und seine Vormachtstellung einzubüßen. Als Piero stirbt, sieht sich Lorenzo mit der Aufgabe konfrontiert, Florenz in ruhigere Fahrwasser zu geleiten.
Das Verhältnis der beiden ungleichen Brüder ist trotz allem in der Romanwelt von einem großen Vertrauen zueinander geprägt. Schon zu Erzählbeginn werden wir mit einer Geschichte à la „Weißt du noch, damals, als mir das prägendste Ereignis meines bisherigen Lebens passierte?“ konfrontiert, die zu den wenigen misslungenen Passagen von Florentia gehört. Hier wird das ansonsten episodisch verlaufende und einem klassischen Spannungsgerüst folgende Romangeschehen analeptisch durchbrochen – und dies in einer plumpen Form, wie es eher für mittelprächtige deutsche Fernsehfilme (die ohnehin schon eine überschaubare Qualität haben!) üblich ist.
Doch zurück nach Firenze: Giuliano sucht seinen Bruder zwar nach Kräften zu unterstützen, der Heißsporn weiß sich aber weder als Diplomat noch als Politiker einen Namen zu machen. Zudem lässt er sich auf ein Verhältnis zur bürgerlichen Künstlerin Fioretta Gorini ein. Lorenzo weiß sich nicht anders zu helfen, als Fioretta aus Florenz fortzuschicken, damit das für damalige Zeiten unschickliche Verhältnis nicht entdeckt wird. Das Verhältnis zu Fioretta ist zwischen den Geschwistern nicht der einzige Streitpunkt, jedoch ziehen die Brüder trotz allem häufig am gleichen Strang.
Eine Künstlerkolonie im 15. Jahrhundert
Fioretta Gorini ist im Übrigen ein wunderbares Stichwort, um auf das Mäzenatentum der Familie Medici zu sprechen zu kommen. Als Lokalpolitiker sind sie dafür verantwortlich, zur herausgehobenen Stellung der Stadt innerhalb Italiens beizutragen. Zu diesem Zweck finanzieren die Medici die Produktion diverser Kunstwerke. Wem sie sich als Gönner erweisen, der hat für sein Leben ausgesorgt. Und neben der heute etwas weniger bekannten Gorini finden sich in Lorenzos Florenz auch die Granden der frühen Renaissancekunst ein: Sandro Botticelli und Leonardo da Vinci. Zunächst noch als Lehrlinge des Trunkenboldes Andrea del Verrocchio, schließen sich die Drei in Botticellis Künstlerwerkstatt zu einer sich bereichernden Symbiose zusammen. Geprägt ist ihr Schaffen von einem harmonischen Miteinander, wobei auch sie durch die politischen Wirren des Medici-Pazzi-Dualismus ein ums andere Mal in Mitleidenschaft gezogen werden.
Schlagendster Beweis hierfür ist die Verhaftung von Leonardo, als er einen Abend mit seinem Geliebten in einem einschlägigen Wirtshaus verbringt. Da sein Freund aus dem Geschlecht der Medici entstammt, wird ihre Liebe zueinander zum Politikum. Natürlich ist Homosexualität zu dieser Zeit in einem katholischen Stadtstaat wie Florenz verboten, aber unter der Hand ist vieles möglich – solange sich nicht jemand an der vermeintlichen Unmoral stößt. Für die den Medici feindlich gesonnenen Pazzi ein gefundenes Fressen – und auch fürs Erzählen ist diese Episode ein treffliches Futter. Martin zeichnet ein Bild von Florenz, in dem die Ränkeschmiede der mittelalterlichen Politik und die Künstlerkolonien, wie sie uns mit ihrer freien Liebe und einer Annäherung der Geschlechterverhältnisse durch Kunst aus dem beginnenden 20. Jahrhundert ein Begriff sind, Hand in Hand miteinander gehen.
Das „andere Geschlecht“
Der unter den Künstlern auf Augenhöhe stattfindende Austausch täuscht jedoch nicht über die tatsächlichen Lebensbedingungen für die Frauen in Florenz hinweg. Sie sind lediglich das andere Geschlecht, die Zweitgeborenen, die sich den Wünschen der Familienoberhäupter zu beugen haben. Lorenzos Frau, eine aus dem römischen Orsini-Geschlecht stammende Dame, die Florenz zuvor nie erblickt hat, muss sich voll und ganz dem politischen Tun ihres Gatten fügen.
Fioretta Gorini muss sich nach dem Tod ihres Vaters in Pisa über Wasser halten, da niemand der unbekannten Künstlerin einen Auftrag erteilen will – und schon gar nicht einer Frau. Mithilfe einer anderen Frau gelingt es aber, die Kunden von deren Vater zu täuschen und unter der Hand einige Aufträge zu erfüllen, bis Sandro Fioretta von ihrem schweren Schicksal in Pisa erlöst. Martin unternimmt große Anstrengungen, die Kämpfe des „anderen Geschlechts“ um Selbstbestimmung aufzuzeigen. Bezeichnendstes Beispiel dafür ist übrigens die Rädelsführerin unter den Pazzi: Albiera ist der Kopf hinter den Machenschaften, mit deren Hilfe Lorenzo und Giuliano die Macht in Florenz abgeben sollen. Albiera sind dafür alle Mittel recht. Halten Sie also besser das Popcorn bereit, wenn Sie Florentia lesen. Die besten Geschichten schreibt schließlich das wahre Leben.
Noah Martin: Florentia. Im Glanz der Medici
Droemer Verlag, 544 Seiten
Preis: 18,00 Euro
ISBN: 978-3-426-28396-7