
Pompeji: Die antike Stadt, die im Jahr 79 n. Chr. durch den Vulkanausbruch des Vesuvs in Feuer, Flammen und Glut vernichtet wurde. Diese und viele weitere Geschichten über Schlachten, Eroberungen und die Befreiungskriege Roms sind uns wohl bekannt. Caesar, Crassus, Spartacus: Männer, die die Geschichte geformt haben. Elodie Harper eröffnet mit Die Wölfe von Pompeji einen anderen Blickwinkel auf diese Zeit. Sie erzählt die Geschichte einer Frau, die unter der männlichen Gewalt überlebt – jedoch mit vielen stilistischen Schwächen.
von MAJA GRÜTER
Amara ist eine Wölfin – eine Sexarbeiterin in der Sklaverei von Felix, dem Besitzer der Wolfshöhle, einem Bordell. Sie lebt mit etlichen weiteren Frauen in den Käfigen des Vergnügungsorts und wünscht sich nichts sehnlicher, als diesen Umständen zu entkommen. Ihre Geschichte ist zu Beginn einzigartig, denn entgegen ihrer Kolleginnen klammert sie sich weder an die Männer, die ihr tagtäglich Besuche abstatten und sie für Sex bezahlen, in der Hoffnung einer von ihnen werde sie irgendwann kaufen, noch träumt sie davon, im Bordell ihre große Liebe zu finden, um so an die Freiheit zu gelangen. Ihr Weg führt über Geschäftssinn und Strategie hinaus aus dem Lustbetrieb.
Eine feministische Perspektive?
Obwohl es sich bei Amara um die Protagonistin des Romans handelt, ist ihre Perspektive nur eine von vielen. Unzählige Frauen befinden sich in der Leibeigenschaft eines Mannes, von denen Die Wölfe von Pompeji einige aufzeigt. Diese werden hier nicht als „die Frauen“ verallgemeinernd dargestellt, sondern als Individuen beschrieben. Ihre Namen sind nicht bloß Namen – sie haben ein Bewusstsein, eine Persönlichkeit und Schicksale, die allenfalls faszinierend unterschiedlich, dabei aber keines Falls unglaubwürdig sind. Neben Amara sind die Wölfinnen Victoria, Cressa und Brittanica am interessantesten umgesetzt. Ihr Leiden wirkt unvorstellbar, unvorhersehbar und ungewöhnlich, denn diese Figuren entsprechen nicht dem Abbild einer Klischee-Prostituierten. Sie sind die Extrema, die für den Betrieb leben und sich in ihren grausamen Herrn verlieben, die täglich unter dem Verlust ihrer ungewollt-entstandenen Kinder leiden und sich in den Selbstmord flüchten, die mit all ihrer Kraft gegen die Handlungen ihre Freier kämpfen und als „Wilde“ bezeichnet werden. Trotz dessen wirken diese Geschichten teilweise wie Lückenfüller der Hauptgeschichte. Gibt es bei Amara gerade nichts zu erzählen, muss eine andere Frau herhalten – und das nicht gerade selten. Als Tochter eines Arztes, die ihr gutes Leben verloren hat und zurückerhalten möchte, versucht sie mit mehr als Sex Geschäft zu führen. Sie vergibt Kredite und zwingt weitere Menschen in die Abhängigkeit von ihrem Herrn – Männer und Frauen. Von Feminismus kann man also nicht gerade sprechen, aber dieses Ziel nimmt sich der Roman auch nicht vor. Viel eher geht es darum, zu zeigen, was ein Mensch bereit ist zu tun, um in den Besitz von etwas zu gelangen, wenn er sonst nichts hat. Deutlich wird dies, als Amara den Sklaven Menander kennenlernt und sich eine ansatzweise romantische Beziehung entwickelt. Ein völlig fremdes Gefühl für eine Sexarbeiterin, der bewusst ist, dass dieses Gefühl in ihrer Welt keine Zukunft haben kann.
Der Weg aus der Wolfshöhle
Was als Gerissenheit beginnt, setzt sich bald in einer Willkür von Ereignissen fort. Amara ergreift keine weiteren Eigeninitiativen, sondern nutzt lediglich die Gelegenheiten, die sich ihr bieten und fügt sich ansonsten ihrem Schicksal, in dem Versuch, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Ihre Geschichte wird von Zufällen geleitet, die sich zwischen handlungstechnischen Wiederholungen und einem ausführlich-beschriebenen „Nichts-tun“ wiederfinden. Deswegen mangelt es dem Roman an Dramaturgie und Storytelling. Da die Handlung nicht von der Protagonistin, sondern ihrer Umgebung geleitet wird, müssen Leser*innen auf die Zufälle warten, ohne dabei von Spannung begleitet zu werden. „Entschlossen für ihre Freiheit zu kämpfen“, heißt es im Klappentext, doch die Erwartung eines dramatischen Plots mit einer starken Protagonistin wird nicht erfüllt. Gerade das ist es zwar, was den Roman authentisch und historisch macht, doch dieser Anspruch wird durch neuzeitliche Begriffe wie „Blowjob“ und eine zu moderne Sprache getrübt. Immerhin werden die Sätze somit an wenigen Stellen unterhaltsam.Das historische Pompeji ist nicht annähernd so relevant, wie die Menschen, die sich in ihm bewegen. Zum Ende hin wird den Lesenden nochmals deutlich gemacht, wer wirklich von Wichtigkeit ist: wohlhabende, mächtige Männer. Auch diese können facettenreicher und nicht nur schwarz-weiß gemalt sein – die Situation der Frauen ändert das aber nur wenig. Das Potenzial der Beziehung zu Menander wird im Roman nicht genutzt, sodass die gewollte Dramatik des offiziellen Endes zwischen ihnen nicht funkt. Auch die lang vorbereitete „Befreiung“ Amaras kommt auf den letzten 30 Seiten viel zu plötzlich. Sie versetzt Lesende zurück in die Ausgangssituation, genauso wie sie Amara aus der Gewalt eines Mannes in die Gewalt des nächsten Mannes bringt. Ein frustrierendes Ende, das den Roman nach rund 500 Seiten, die sich aber eher wie 700 anfühlen, rückblickend noch enttäuschender macht.
Elodie Harper: Die Wölfe von Pompeji. Übersetzt aus dem Englischen von Martina Schwarz
Piper, 460 Seiten
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-492-50662-5