In Eckhart Nickels Roman Spitzweg geht es um Kunst, ein inszeniertes Verschwinden, einen Gemälderaub und drei Jugendliche, die sich mittendrin befinden. Wenn man sich mit Kunst nicht auskennt, ist das kein Problem, der Roman bietet einen vielfältigen Einblick und der Erzähler selbst kennt sich auch nicht mit Kunst aus – behauptet er zumindest.
Yael Inokai: Ein simpler Eingriff, Cover: Hanser Berlin
Mit Ein simpler Eingriff macht Yael Inokai den Spagat zwischen medizinethischer Diskussion und LGBTQ-Liebesgeschichte. Ein einfühlsamer Roman, der für den Deutschen Buchpreis letztlich zu brav war. Lesen sollten Sie ihn aber trotzdem!
Autofiktion ist im Trend: Nach dem Nobelpreis-Sieg von Annie Ernaux geht nun auch der Deutsche Buchpreis 2022 an die Autofiktion Blutbuch von Kim de l’Horizon. Der mit verschiedensten Konventionen brechende Debütroman erzählt von Queerness, Familiengeschichte und generationsübergreifenden Traumata. Um all dies miteinander verweben zu können, benutzt de l’Horizon eine Sprachmischung aus Mundart, Hochdeutsch und Anglizismen und kreiert eine innovative Form der Literatur.
Slata Roschal: 153 Formen des Nichtseins; Cover: homunculus
Es gibt vielleicht keine Frage auf der Welt, die die Menschen mehr umtreibt: Was geschieht nach dem Tod? Dass wir alle eines Tages sterben müssen, sofern in den nächsten Jahren keine medizinische Revolution stattfindet, ist klar. In ihrem Debütroman 153 Formen des Nichtseins stellt sich Slata Roschal die Frage nach dem Leben, dem Tod, und dem Dazwischen – dem Nichtsein. Dabei hält sie nicht ganz, was sie verspricht, aber das ist auch gut so, denn hätte sie das Nichtsein wörtlich genommen, so lägen leere Seiten vor uns. Der Roman hat es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 geschafft, auf der Shortlist fehlt er. Schade.
Dagmar Leupold: Dagegen die Elefanten; Cover: Jung & Jung
An der Garderobe. Da ist er. Herr Harald. Ein Mann in seinem Alltag. Der tragisch wie komische Protagonist in Dagmar Leopolds Roman Dagegen die Elefanten! nimmt einen an die Hand und zeigt, wie herzlich die Einsamkeit sein kann.
Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg; Cover: Die Andere Bibliothek
Seit Februar dieses Jahres hat der Krieg in Europa wieder Konjunktur. Weltweit gesehen hatte er allerdings leider nie eine Rezession. Frisch versorgt mit Nachrichten und Erzählungen aus den Krisenherden der Welt werden wir von Journalistinnen und Journalisten, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um den Krieg und seine Gesichter in unsere Friedenszeitungen zu bringen. Gabriele Riedle – selbst eine solche Kriegsreporterin – hat in In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman ihre Erlebnisse in diesem außerordentlichen Beruf in Romanform verarbeitet. Ein Roman, der es ebenso zu Recht auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 geschafft hat, wie er zu Unrecht nicht auf seine Shortlist gesetzt wurde.
Nach ihrem preisgekrönten Debütroman Die Glücklichen ist Nebenan Kristine Bilkaus dritter Roman. Wer auf der Suche nach mitreißenden Spannungsbögen ist, sucht in Bilkaus handlungsarmem Roman lange. Dafür besticht er durch eine detaillierte Beschreibung der Gedanken- und Gefühlswelten der Figuren. Nun hat er einen Platz auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022.
Das schicksalhafte Beben im Jahre 1976 erschütterte den italienischen Friaul bis ins Mark. Die Spurenlese dieser Naturkatastrophe betreibt Esther Kinskys Roman Rombo. Ihre Erinnerungsfunde gliedert sie ein in eine natürliche Poetik, die von menschgemachten Narben geziert ist. Zugleich bedeutet das Beben das Ende der traditionellen Lebensweise der Bewohner der Berge Friauls. Eine spannende Nominierung für den Deutschen Buchpreis, aber ob es für den Sieg reicht?
Anna Yeliz Schentkes Debütroman Kangal berichtet von den sich etablierenden Überwachungsstrukturen in der türkischen Diktatur unter Recep Tayyip Erdoğan in Folge des Putschversuchs 2016. Zur titelgebenden Metapher wird dabei der türkische Hirtenhund Kangal, der sich mutig den Wölfen der Diktatur entgegenstellt. In plastischen, direkten Formulierungen wird ein Klima der Angst aufgerufen, das aufgrund der Sprachmischung eine poetische Einladung wie Herausforderung an deutschsprachige Leser aufbietet. Ein politisch hochbrisanter Roman, aber für den Deutschen Buchpreis zu wenig.
Am 20. Juni 2022 hat uns die Autorin, Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal mit ihrem Debütroman Identitti (2021) im Seminar „Postcolonial Studies in Literatur und Kultur“ am Germanistischen Institut der Ruhr-Universität Bochum besucht. Identitti hat es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2021 geschafft und wird seit November 2021 am Schauspielhaus Düsseldorf, seit April 2022 am Staatstheater in Darmstadt inszeniert. Der Roman hat Aufmerksamkeit auf ein bislang in der Gesellschaft und damit auch in der Literatur unterrepräsentiertes Thema gelenkt: die Identitätssuche und Repräsentation von BIPoCs (Black, Indigenous, People of Colour) in einer weißen und weiß geprägten Kultur. Wir durften mit der Autorin über ihr Buch, dessen Entstehung und die Hintergründe sprechen.