Insel der Unglückseligen

Tarjei Vesaas: Der Keim; Cover: Guggolz Verlag

Auf einer beschaulichen Insel geschieht ein Mord – und nun übt die Dorfgemeinschaft Selbstjustiz. So ließe sich Tarjei Vesaas‘ Der Keim in einem Satz zusammenfassen. Was den erstmals 1940 erschienenen Roman zu so einer spannenden Lektüre machen, sind Vesaas Gespür für das Bedrohliche im Alltäglichen und die Frage danach, wie man in einer kollektiven Gewalttat den Alleinschuldigen identifiziert.

von CAROLIN KAISER

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Stigma Doppelmörder

Jens Söring: Rückkehr ins Leben; Cover: C. Bertelsmann

Am 17. Dezember 2019 stand Jens Söring auf dem Frankfurter Flughafen und erklärte in die Mikrofone: „Dies ist der schönste Tag meines Lebens“. Der Mann konnte sich gerade das erste Mal seit dem 30. April 1986 frei bewegen. In der Zwischenzeit hatte der heute 55-Jährige im Gefängnis gesessen. Rückkehr ins Leben – Mein erstes Jahr in Freiheit nach 33 Jahren Haft, lautet der Titel des neuen Buchs von Jens Söring.

von STEFAN MANGOLD

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Die Realität eines Bildungsversprechens

Deniz Ohde, Streulicht; Cover: Suhrkamp

Deniz Ohde schaffte es mit ihrem Debütroman Streulicht direkt auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2020. Und das zurecht: Ruppig und doch feinsinnig schreibt sie über erlebte Ungleichheiten im Bildungssystem, über Zuschreibungen als Arbeiterkind oder Kind einer Migrantin und den Drang, sich davon zu befreien. Unausweichlich hinterlässt der Roman die Frage: Was bedeutet der Bildungsgedanke heute?

von ALINA BRAUCKS

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Auseinanderstreben der Welt

Nora Bossong: Schutzzone; Suhrkamp

Was im Kleinen möglich ist, geschieht auch im Großen. Mit Schutzzone verbindet Nora Bossong das private Schicksal einer heimatlosen Weltenbürgerin mit den Problemen des Internationalen Rechts. Dabei bedient sich die Autorin vermeintlicher Absurditäten, die beim Lesen jedoch einleuchten und ihre Funktion erfüllen. Ein Roman über die Hilflosigkeit der Welt.

von ALINA WOLSKI

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Hauptsache, es knallt

Mozarts "Titus" am Essener Aalto-Theater Foto: Thilo Beu

Mozarts “Titus” am Essener Aalto-Theater Foto: Thilo Beu

Ausgerechnet am fünften Doch-Nicht-Geburtstag des Berliner Pannen-Flughafens lädt das Essener Aalto-Theater zur letzten Premiere seiner diesjährigen Spielzeit. Regisseur Frédéric Buhr siedelt die antike Geschichte um den milden Kaiser Titus (zufällig?) an einem stylishen Flughafen in unserer Gegenwart an und präsentiert eine bemüht aktuelle Mozart-Interpretation, die seine Holzhammermethode nicht nötig gehabt hätte, um Aktualität widerzuspiegeln.

von STEFAN KLEIN Weiterlesen

Kann man die Zeit umkehren?

Jeanette Winterson_Der weite Raum der Zeit von _KnausUnd falls ja, hieße das nicht, dass es in der vermeintlichen Kontinuität des Zeitverlaufs Brüche geben muss, Lücken, Löcher oder offene Räume? Der weite Raum der Zeit, der neue Roman der vielfach preisgekrönten Schriftstellerin Jeanette Winterson, handelt von einem solchen „Zeitloch“. Nicht weniger als 400 Jahre geht die Autorin zurück in die Vergangenheit, um uns eine erklärte „Cover-Version“ von einem der wundervollsten Shakespeare-Stücke, Das Wintermärchen, zu präsentieren.

von BERNHARD STRICKER Weiterlesen

„Alle starben, auf einen Schlag“

Kamel Daoud: Der Fall Meursault. // Quelle: Kiepenheuer und Witsch

Mit Der Fall Meursault: Eine Gegendarstellung hat Kamel Daoud einen wichtigen Hypertext zu Albert Camus geschaffen, der durchaus eine Gegendarstellung ist, wenn auch vielleicht anders als es zunächst den Anschein hat.

von LARS BANHOLD

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Gefangen in den Maschen der Erinnerung

die unverheiratet   Foto: Georg SoulekWann hört er endlich auf, der Film, der unaufhaltsam in Dauerschleife im Kopf eines Opfers, Täters oder Traumatisierten läuft? Ist er irgendwann einfach abgespielt oder muss man ihn selbst anhalten? die unverheiratete lässt uns teilhaben an der finalen Abwicklung einer grausamen Tat, die wie ein solcher Film im Kopf der Täterin abläuft.

von ALINE PRIGGE

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Das Ungeziefer in dir: Lebst du noch oder krabbelst du schon?

Die Verwandlung am Theater Oberhausen, Moritz Peschke als Gregor Samsa   Foto: Klaus FröhlichDas Publikum ist dem ukrainischen Regisseur Andriy Zholdak laut eigener Aussage ziemlich egal. Das deutsche Publikum sei ohnehin eines, das ein Stück, das es nicht versteht, gleichermaßen unverständlich wie schlecht findet. Ist das Oberhausener Premierenpublikum von Zholdaks Kafka-Inszenierung der Verwandlung also ein vermeintlich „typisch deutsches“, weil es die Inszenierung weniger mit stehenden Ovationen als mit vereinzelten Buh-Rufen und sichtlicher Irritation und Erregung goutiert: „Unverschämtheit“, „Ich hatte es mir ja schon schlimm vorgestellt, aber das?!“ oder „Ich fand es dermaßen unmöglich.“ Erklärungsversuche.

von KATJA PAPIOREK und NADINE HEMGESBERG

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Vier Perspektiven und ein Todesfall

Linda Lê - FLUTwelle   Cover: DörlemannLinda Lês FLUTwelle ist eine vielstimmige Reflexion über Trauer, Schuld und die Möglichkeit eines erfüllten Lebens. Vier Figuren erzählen aus ihrer jeweiligen Sicht, wie es dazu kommen konnte, dass Lou ihren Mann Van überfuhr. Rache? Eifersucht? Mord? Ein tragischer Unfall? Die formale Strenge des Textes steht hier in reizvollem Kontrast zum emotionalen Inhalt. Der Roman war in Frankreich 2010 für den Prix Goncourt nominiert und erscheint nun auf Deutsch.

von LINA BRÜNIG

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