Gewogen und zu leicht befunden

John von Düffels (*1966) sechster Roman erstickt an seiner eigenen Durchkomponiertheit und der befremdenden Plattheit seiner Figuren.

Von FABIAN MAY

Essen, Dezember 2011

Lieber Herr von Düffel,

 

ich interessiere mich wie Sie fürs Schreiben, aber Ihren nächsten Kurs in „Leichtlesen“ werde ich nicht belegen. Als ich mich für Goethe ruft an meldete, hoffte ich irgendwie entfernt auf was Klassisches, Wahrhaftiges. Falls ich im Folgenden versehentlich von Goethe sprechen sollte, will ich damit den Ihren meinen, und nicht meinen. Als ich Werther, Faust oder die Aphorismen las, hatte ich bei aller überquellenden Fülle nicht das Gefühl, dass irgendwas daran überflüssig sei.

Bei Ihnen fand ich (um im Bilde zu bleiben) zwischen wasserblassen Buchdeckeln viel Blubbern und Plätschern vor. Da ruft Ihr Goethe das erzählende Ich mit Schreibblockade an, schwadroniert erst mal auf 30 Seiten assoziativ über Sprache und Zeitgeist und kommandiert das Ich (ohne ein Nein zu akzeptieren) ab, ihn bei einem Sommerkurs in der Lausitz zu vertreten; Goethe selbst müsse nach China, um dort in Lesungen und Interviews den Chinesen sein Buch zu verklausulieren, aus der existenziellen Angst, sie könnten ihn sonst kopieren.

Kursthema in der Lausitz: „Leichtschreiben“. Die Mappe mit Goethes „Erfolgsrezept“ sei schon unterwegs zum Erzähler. Natürlich wird dem Ich dieses Originalmanuskript verloren gehen. Natürlich wird er im Kurs auf die größten Klischees treffen: den erbarmungslosen Kritiker Schwamm, der als Schreiber an seinen eigenen Ansprüchen scheitert; die Naturlyrikerin Fräulein Rottenmeier; ihren depressiven unterdrückten Ehemann, dessen einziges Thema seine unüberbrückbare Entfernung von der Welt ist; und die unanständig überproduktive Hedwig Courts-Mahler.

Ein erster Satz solle den ganzen Roman in sich tragen, sind sich die Teilnehmer und der überforderte Leiter Ihres Sommerkurses einig. Sollte man auch Ihren Roman daran messen, was zugleich der anachronistisch-effekthascherische Titel und der erste Satz ist: „Goethe ruft an“? Keine Frage, er ruft an und seiert dem Ich und dem Leser die Ohren voll. Leichtschreiben könnte man vom Wasser und vom darin schwimmen Lernen, spricht er in seinem ungebremsten Sprechdurchfall aus, was der Text vollführt. Ist das also der ganze Roman?

Sie machen das ja absichtlich, weil Sie das witzig finden. Also nichts gegen Ihr gutes sprachliches und kompositorisches Handwerkszeug. Sie setzen, um die Lektüre schmackhaft zu machen, allgemein anerkannte Schlüsselreize: immer wieder sexuelle Verheißungen, wiedererkennbare Schreiberklischees und vor allem die großen schriftstellerischen Fragen: Entfernt man sich im Erzählen zwangsläufig von der Welt und ist dagegen die Lyrik ein Weg zu echter Nähe und zum Einssein? Kann man Leichtigkeit lernen oder höchstens verlernen? Kommt Qualität von Qual? Wie hohe Ansprüche darf man an die ersten Gehversuche einer Geschichte stellen? Darf man den zweiten Satz vor dem ersten schreiben oder ist das Schummeln?

Doch vor lauter literarischer Selbstreferenz, vor lauter Spiel, wenn sich mal wieder alles in schönster Durchkomponiertheit aufeinander bezieht oder wenn Wendungen unverändert wiederkehren wie „ihr kleiner, gerader, irgendwie tapferer Mund“ oder alle sich einig sind, dass jemand in Wirklichkeit nicht so heißt, wie man ihn nennt, man ihn aber so nennt, denn wenn heute jemand so heißen sollte, dann eben derjenige – dann hört man Sie Seiten rascheln. In allem, was geschieht, erkennt man Goethes ekelhaft prophetisches Anfangsgeschwafel wieder. In allem, was das Ich tut, spürt man den Schatten Ihres Goethe und die Fäden des fiesen Marionettenspielers, der seiner Figur nichts Gutes im Leben gönnt. Das ist so hermetisch, dass es weh tut, von beinahe kafkaesker Alternativlosigkeit. Nur ohne sich dabei auf dermaßen existenzielle Dinge zu beziehen.

Trotzdem: Alles behauptet Bedeutung. Der brummige Kapitän dieses Kahns ist ein Charon, der das Ich und die Naturlyrikerin Rottenmeier auf eine „andere Seite“ befördert, und dann heißt er noch Wieland und kaum ist das Ich an Bord und hat ein bisschen harten Alkohol intus, sieht es nur noch „Superlative der Stille, einen Dom des Verstummens, leiser als jeder Gedanke, als jedes Vorhandensein in dieser vom Wald zurückeroberten Welt“; und die Bäume sind nicht, wo sie vorher waren, und so „vielarmig, laubmächtig“. Stumm sind sie übrigens auch noch. Das ist der Erwähnung wert, weil das Schilf zum Beispiel aus dem Flüstern gar nicht mehr heraus kommt. „Unaufhaltsam gleiten wir weiter, immer tiefer hinein in das Labyrinth der Fließe und Gräben, … verborgen hinter Laubvorhängen … Alles ist Loslassen auf dieser Reise ins Schweigen, das sich von außen nach innen senkt.“ Erguss auf’m Fluss. Dann schweigen Sie doch, Mann. Eigentlich war ich seelisch schon von Bord gegangen, als das Ich dem stoischen Wieland ohne erkennbaren Grund einreden will, er sei eine literarische Figur.

Überhaupt ist dieser erzählende Antiheld das größte Ärgernis Ihres ganzen Romans. Goethe ist immer anwesend, indem er das Ich überschattet, zugleich aber ist er niemals wirklich da, weil Sie uns ihn und alle anderen immer nur durch die Brille dieses Blindgängers zeigen. Ein so ärgerlicher Antiheld ist mir schon lange nicht mehr untergekommen: die leere Pose eines Verlierers, der in allem feststeckt, was falsch und schlecht für ihn ist, und der in seiner Blödheit und Ideenlosigkeit die meiste Zeit nicht im Geringsten verdient, sich Schriftsteller zu nennen. Er ist der größmögliche Trampel. Ihm über die Schulter zu gucken, wie er alles versaut, was man nur versauen kann, und dabei die gedruckten Worte nicht ändern zu können, tut so weh wie vorm Fernseher einem Einbeinigen beim Fußballspielen zuzusehen und man kann nicht ins Gerät steigen und ihn schütteln.

Und was er sich für ein Kopfkino macht, der Depp, ohne dass ihm je wirklich was Greifbares unter die Augen kommt: Vermutet überall instrumentalisierten Sex und Manuskriptdiebe; wenn er dann jemandem gegenüber steht, ergeht er sich in Andeutungen und erfolglosen Fangfragen. Eine einzige ärgerliche Nebelbombe, diese Kommunikationsstrategie. Vielleicht bin ich einfach zu geradlining für ein schriftstellerklischee-überladenes Luftballett. Was bleibt denn davon? Man nehme eine Handvoll klein gehäckselte Beobachtungen, möglichst der uneindeutigen Sorte, trenne die Zusammenhänge ab, werfe diese in den Kachelofen einer Potsdamer Altbauwohnung, brate anschließend die Beobachtungsreste in einem chronischen Minderwertigkeitskomplex an, strecke den Fond mit viel Pseudo-Goethe-Geblubber auf Romanlänge, rühre die neblige Brühe um, würze das Ganze mit poetischer Sprache und Überkomposition und fertig ist die umbaute Luft.

Und das alles hätte vermieden werden können, wenn Ihr Ich Ihren Goethe nicht hätte gelten lassen und stattdessen sich selbst trauen würde. Aber dann wäre ja aus Goethe ruft an höchstens eine Kurzgeschichte geworden. Wäre vielleicht keine schlechte Idee. Sollten Sie je bei mir in einen Schreibkurs kommen, könnten wir Ihren Goethe gemeinsam aufs Wesentliche einkochen, getreu dem Grundsatz: Klarheit ist die Höflichkeit des Autors.

 

Mit kollegialen Grüßen

Fabian May

 

John von Düffel: Goethe ruft an
Dumont Buchverlag, 320 Seiten
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3832196493

2 Gedanken zu „Gewogen und zu leicht befunden

  1. „Klarheit ist die Höflichkeit des Autors.“ Wenn du das von Düffels forderst, dann solltest du dich vielleicht auch selbst daran halten. Deine Rezension ist zwar kreativ geschrieben, aber in deiner eigenen Metaphern- und BIldervielfalt geht das rezensierte Werk unter. Der Mittelpunkt deines Textes bist du selbst und nicht Düffels neuer Roman. Es gibt keine Hinführung zum Werk, an der sich der Leser orientieren kann; der Titel wird undeutlich zwischen den Zeilen erwähnt und es fehlt eine explizite Inhaltsangabe oder Figurenvorstellung. Für den nächsten Versuch empfehle ich etwas mehr Informationen und Geradlinigkeit.

  2. Zitat aus dem ZEIT Magazin Nr.52 vom 22.12.2011, Heike Faller / Redakteurin:

    „Die Faustregel lautet: Vorsicht mit funkelnden Sätzen. Die Sätze die man selbst am tollsten findet, sind oft diejenigen, die nur der eigenen Eitelkeit dienen. Das gilt für alle Genres. Von dem britischen Literaturkritiker Arthur Quiller-Couch stammt ein Satz, der in diesem Zusammenhang oft zitiert wird: „Murder your darlings.“. Das heißt: Streichen Sie die Stellen, auf die Sie besonders stolz sind. Das tut weh, aber den Text macht es fast immer besser, weil es einen zu der Frage zwingt, was man eigentlich mitteilen möchte.“

    Ich finde den Vorschlag der Redakteurin und auch das Zitat von Quiller-Couch sehr treffend und hilfreich.

    Übrigens besteht das aktuelle Magazin, zum Teil aus von Lesern verfassten Texten, die von ZEIT Redakteuren redigiert werden. Passt doch gut zu unserem Seminar!

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