Gedärme und abgehackte Hände

David Diop: Nachts ist unser Blut schwarz; Cover: Aufbau Verlag

In Nachts ist unser Blut schwarz erzählt David Diop von einem jungen senegalesischen Soldaten, der für Frankreich im Ersten Weltkrieg kämpft. Die Brutalität des Kriegsalltags und der Tod seines besten Freunds treiben den Protagonisten Alfa Ndiaye in einen Blutrausch, der nicht nur die feindlichen deutschen Soldaten in Angst und Bange versetzt. Der Roman überzeugt besonders durch die bisher wenig beachtete Perspektive eines sogenannten „Senegalschützen“ sowie der Thematisierung der Verknüpfungen zwischen Kolonialismus, Krieg, Gewalt, Wahnsinn und Rassismus. Das tröstet auch über langatmigere Passagen hinweg.

von CAROLIN KAISER

Im Juni diesen Jahres hat der französisch-senegalesische Autor David Diop zusammen mit seiner englischsprachigen Übersetzerin Anna Moschovakis den renommierten International Booker Prize für seinen Roman Frères d’âme (englischer Titel: At Night All Blood is Black) gewonnen. Aber nicht nur in Großbritannien überzeugte der Roman die Jurymitglieder: Auch in Frankreich, den Niederlanden, Italien, der Schweiz und den USA stieß Diop mit seinem zweiten Roman auf Preise bringende Resonanz. Angesichts dieses großen, internationalen Echos bietet es sich an, einen Blick auf die bereits 2019 erschienene deutsche Übersetzung von Andreas Jandl (Nachts ist unser Blut schwarz) zu werfen.

Zwei Freunde, zwischen ihnen ein aufgeschlitzter Bauch

Der junge Senegalese Alfa Ndiaye kämpft zusammen mit seinem Kindheitsfreund und Quasi-Bruder Mademba Diop auf Seiten der Franzosen an der Westfront im Ersten Weltkrieg. Während Alfa muskulös gebaut ist, ist Mademba von schwächlicher Statur und muss sich dafür von Alfa freundschaftliche Sticheleien anhören. Um Alfa zu zeigen, dass er auch ohne große körperliche Stärke ein mutiger Krieger ist, stürmt Mademba an einem Kampftag, der verspricht, besonders brutal und kräftezehrend zu werden, ohne jede Rücksicht auf seine eigene Unversehrtheit in den Kampf. Auf dem Schlachtfeld wird ihm ein deutscher Soldat, der sich tot stellt, zum Verhängnis: mit seinem Bajonett verletzt dieser Mademba schwer am Bauch und flieht. Als Alfa seinen Freund findet, ist Mademba dem Tode zwar bereits geweiht, sein Todeskampf aber zieht sich hin. Er fleht Alfa an, ihn von seinem Leid zu erlösen, seine Gedärme dampfend neben ihm. Doch Alfa kann sich nicht dazu bringen, seinem besten Freund den Todesstoß zu versetzen und so schaut er zu, wie Mademba langsam und qualvoll stirbt. Madembas Tod markiert den Beginn von Alfas blutigem Abstieg in den Kriegerwahnsinn. Als Rache für seinen Freund fängt Alfa an, einzelne deutsche Soldaten auf besonders bestialische Weise zu töten: Er schlitzt ihnen den Bauch auf, holt ihre Gedärme aus ihrem Inneren heraus und hackt ihnen schließlich die Hand ab. Diese bringt er, blutüberströmt, als Trophäe mit zurück in den eigenen Graben. Zunächst wird er dort von seinen Kameraden wie ein Kriegsheld gefeiert, doch nach der vierten Hand wird ihnen unwohl bei der Sache. Weiße wie schwarze Kameraden fangen an zu glauben, dass Alfa sich in einen Kriegsdämonen verwandelt hat, der großes Unglück bringt. Schließlich wird Alfa von der Front weg ins Hinterland geschickt, wo er sich in einem Lazarett von seinen psychischen Strapazen erholen soll – doch psychische Heilung findet er auch hier nicht.

Erst die Liebe, dann die Papiere

Während die erste Hälfte des Romans von Alfas Erlebnissen an der Front erzählt, spielt die zweite Hälfte in eben diesem Militärkrankenhaus weiter entfernt von der Front. Hierbei stehen jedoch nicht Alfas medizinische Behandlung im Vordergrund, sondern Rückblicke auf sein vorheriges Leben in einem Dorf im Senegal. Wer sich davon einen konkreten Einblick in die Kultur und Lebensweisen im ländlichen Senegal zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhofft, wird nicht komplett auf seine Kosten kommen. Dafür ist der Roman zu sehr auf seinen Protagonisten und dessen Perspektive beschränkt, so dass kulturelle und historische Einordnungen der Handlung und der Figuren nicht vorgenommen werden. Auch das Thema, das im Zentrum des Romans steht – der französische Kolonialismus in Sub-Sahara-Afrika –, wird den Lesenden nicht plakativ vor die Nase gehalten. Stattdessen sind es kleine Details, die auf das schwierige und komplexe Verhältnis von Kolonialmacht und Kolonisierten hindeuten. So setzt Alfa zwar sein Leben für Frankreich im Krieg aufs Spiel, für Gespräche mit seinen Vorgesetzten braucht er aber einen Dolmetscher, da er kein Wort Französisch spricht. Sein Freund Mademba hingegen spricht fließend Französisch, weil er wegen seiner Intelligenz als Kind auf eine französische Kolonialschule geschickt wurde. Dort hat er nicht nur die Sprache, sondern auch die Vaterlandsliebe gelernt: „Als wir in unser zwanzigstes Jahr kamen, wollte Mademba in den Krieg ziehen. Die Schule hatte ihm in den Kopf gesetzt, das Vaterland retten zu wollen, Frankreich.“ Mademba erhofft sich durch seinen aufopfernden Liebesbeweis gegenüber seinem beigebrachten Vaterland Frankreich auch tatsächlich ein Sohn dieses Landes zu werden und mittels der französischen Staatsbürgerschaft seiner ländlichen, afrikanischen Heimat zu entkommen. Selbst Alfa, der deutlich stärker in seiner Heimat verwurzelt zu sein scheint, hofft auf die französische Staatsbürgerschaft und sieht für sich keine Zukunft im Senegal. Anhand seiner beiden Protagonisten zeigt der Roman, wie Kolonialmächte die von ihnen Kolonisierten nicht nur durch Propaganda mittels Bildung von ihrer Heimat entfremden und entwurzeln, sondern auch durch Wohlstandsversprechen und die Aussicht auf ein interessanteres, abwechslungsreicheres Leben – ein Versprechen, das so stark zu sein scheint, dass Mademba und Alfa in Kauf nehmen für ein Land, das sie zuvor niemals gesehen haben, in einem brutalen, schmutzigen Krieg, der sie eigentlich nichts angeht, massakriert zu werden.

Ein Streber der europäischen Rassenpropaganda

Auch in den Passagen, in denen Alfa von seinen Erlebnissen an der Front berichtet, sticht das Thema Kolonialismus immer wieder durch, ohne sich den Lesenden als die Perspektive aufzudrängen, durch die der Roman gelesen werden muss. Der Roman ist dort besonders stark, wo er die Diskussion um Kolonialismus und negative Stereotype über Afrikaner mit der Diskussion um Krieg, Gewalt und Wahnsinn verbindet. Alfa ist sich nämlich bewusst, dass die französische Armeeführung ihn und seine nicht-weißen Kameraden benutzt, um deutsche Angstvorstellungen von „wilden Schwarzen“ zu bedienen. Sie werden somit sowohl als physische als auch als psychologische Waffen gebraucht und sollen dementsprechend auf eine Art und Weise kämpfen, die diesen rassistischen Stereotypen entspricht, um die Angst der deutschen Gegner zu maximieren. Das ist der Grund, warum Alfa mit seinen abgehackten Händen zunächst so enthusiastisch gefeiert wird – er ist der ungebändigte, unzivilisierte, leicht kannibalistisch veranlagte Wilde aus Afrika par excellence, ein Übererfüller rassistischer Propagandarollen. Dass diese Vorstellungen nichts weiter sind als haltlose Rassenpropaganda, zeigt der Roman dadurch, dass alle seine Kameraden – egal ob französisch oder afrikanisch – nach der vierten abgehackten Hand Angst und Terror beim bloßen Anblick Alfas empfinden.

Zivilisierter Krieg – ein Oxymoron?

Dabei stellt sich unwillkürlich die Frage, was bei einem so brutalen Krieg wie dem, der von 1914 bis 1918 auf französischen Boden geführt wurde, eigentlich noch als „zu brutal“ gelten kann? Sein Vorgesetzter sagt Alfa, dass „[i]m zivilisierten Krieg“ die Gegner nur getötet, nicht aber verstümmelt werden. Alfa hingegen hat noch nie „so etwas Hässliches“ gesehen wie das Töten der eigenen Kameraden, die – psychisch komplett ausgelaugt – einen Befehl verweigern. Das eine gilt als „unzivilisiert“, das andere als normales Prozedere in einer „zivilisierten“ Kriegsarmee zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Aussage von Alfas Vorgesetzten suggeriert, dass es so etwas wie einen „zivilisierten“ Krieg tatsächlich gibt. Alfa hingegen hinterfragt die vermeintlich strikte Trennung zwischen Mut und Wahnsinn, zivilisierter und unzivilisierter Kriegsführung: „Der kurzeitige Wahnsinn ist der Bruder des Kriegermuts. Aber wer die ganze Zeit so tut, als wäre er verrückt, immerzu, ohne Pause, der verbreitet Angst, sogar unter Kriegsfreunden.“

Blutrausch im Bewusstseinsstrom

Mit dieser Erkenntnis reiht sich der Roman ein in die Tradition des Antikriegsromans, der dem heroischen Verteidigen des Vaterlandes die Gasmaske abreißt, um die hässliche Fratze von Mord, Verstümmelung und Wahn offenzulegen. Diops Roman sticht dabei in erster Linie durch seine Perspektive hervor – im doppelten Sinne. Der Roman ist im Bewusstseinsstrom Alfas verfasst, die Lesenden bekommen somit aus erster Hand mit, wie Alfa in den Wahnsinn abdriftet und wie er sein – oftmals moralisch äußerst verurteilenswertes – Verhalten rechtfertigt. Perspektivtechnisch fällt der Roman aber besonders durch die Identität seines Protagonisten auf. Das Schicksal der „Tirailleurs sénégalais“ ist bisher in der voluminösen Literatur zum Ersten Weltkrieg nur selten in den Fokus gerückt worden. Allein schon deswegen lohnt sich die Lektüre von Nachts ist unser Blut schwarz. Frische Perspektiven in einem so emsig literarisch verarbeiteten Thema wie dem Ersten Weltkrieg sind ein hochzuschätzendes Gut und auch sprachlich bietet Diop – sowie Andreas Jandls Übersetzung – einige wuchtige Passagen. Allerdings hätte hier sprachlich noch mehr aus der Erzählperspektive und der Prämisse des vom Krieg psychisch gebrochenen Soldaten herausgeholt werden können. Geraden in den rückblickenden Passagen auf Alfas Leben im Senegal vor dem Krieg verliert der Roman sprachlich wie inhaltlich einiges von seiner Faszinationskraft, die – man muss es so hart ausdrücken – zu einem großen Teil von der Brutalität der Geschehnisse ausgeht; „sensationalism sells“. Es ist aber auch gut möglich, dass der Roman durch seine eindeutige Vermarktung als „Kriegsroman“ und seine ersten 80 Seiten, bei den Lesenden eine Erwartungshaltung kultiviert, in der die gemächlicheren Rückblicke in den ländlichen Senegal einfach nicht die bestmögliche Resonanz erzeugen können und deswegen wie der „schwächste“ Teil des Romans wirken. Nichtsdestotrotz hat Diop mit Nachts ist unser Blut schwarz einen beachtenswerten Roman verfasst. Wer sich für die literarische Verarbeitung von Kriegen – insbesondere natürlich des Ersten Weltkriegs – interessiert, der wird an Diops Roman nicht vorbeikommen. Gut möglich (und wünschenswert!), dass wir in Zukunft mehr Romane über die Kriege der Vergangenheit sehen werden, in denen bisher unbeachtete Perspektiven eingenommen werden.

David Diop: Nachts ist unser Blut schwarz. Aus dem Französischen von Andreas Jandl
Aufbau, 160 Seiten
Preis: 18,00 Euro
ISBN: 978-3-351-03791-8

Ein Gedanke zu „Gedärme und abgehackte Hände

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